»Mut zum Anti-Amerikanismus«

Linke Kriegsgegner und -befürworter zeigen patriotische Reflexe.

Er war der Topagent im Herzen des Imperialismus, die östliche Geheimwaffe im Brüsseler Nato-Hauptquartier. Der Einsatz gegen den transatlantischen Klassenfeind fand im vergangenen Jahr eine späte Würdigung. Es ist die Geschichte des gefangenen DDR-Spions Rainer Rupp, dessen Amnestierung Martin Walser in seiner preisgekrönten Rede um des lieben innerdeutschen Friedens forderte.

Die Argumentationslogik ist nicht neu und wurde im Osten sofort begierig aufgegriffen: Die bundesrepublikanische Gesellschaft, die die NS-Volksgemeinschaft so erfolgreich integriert hat, müsse auch gegenüber den ehemaligen Gegnern aus dem Kalten Krieg Milde walten lassen, sofern dies dem "Zusammenwachsen" der Deutschen dient. Vielleicht hat Walser sich auch bei der Lektüre von Rupps Kolumnen in der jungen Welt an die eigene Vergangenheit als deutscher Kommunist erinnert gefühlt und daran, wie hierzulande antiimperialistisches Engagement - gegen den Vietnam- oder den Jugoslawien-Krieg - patriotischen Zwecken dienen kann.

Rupp jedenfalls fordert "Mut zum Anti-Amerikanismus" (jW, 12. April) und referiert begeistert den Kampf französischer Politiker gegen die "amerikanische Vorherrschaft". Die Lesenden werden über die fortschrittliche Mission französischer Nationalisten aufgeklärt: Sei es der Widerstand gegen den Neoliberalismus, der dem Rest der Welt von Washington aufgezwungen werde, sei es der "Kreuzzug gegen die amerikanische Popkultur" oder das "Höchstmaß an Unabhängigkeit von den USA", auf das Frankreich in der Waffenproduktion bestehe.

Solch wegweisende Tendenzen kontrastiert Rupp mit der deutschen Regierungspolitik, die es vielleicht gut meine, aber zu feige sei, sich vom Einfluß der USA freizumachen. Denn erst "seit Herr Joseph Fischer in Washington war und Madeleine Albright zu seiner Duzfreundin wurde, kennt man ihn und das, was einmal grüne Außenpolitik sein sollte, ohnehin nicht wieder".

In den Medien ostdeutscher Sozialisten kommt der ungebrochene linke Antiamerikanismus und Antiimperialismus zum Tragen. Alle Zutaten für ein manichäisches Weltbild, das man in Westdeutschland nur aus der Palästina- oder Kurdistan-Solidarität kennt, sind hier gegeben. Denn es wird nicht nur gegen den amerikanischen "Hegemonismus" gewettert, der die europäischen Bündnispartner dem Status annähere, "den der großalbanische Staat von Mussolinis und Hitlers Gnaden einst genießen durfte". (jW, 23. April) Glaubt man dem neostalinistischen jW-Kommentator Werner Pirker, so steht auf der anderen Seite ein gutes Volk mit anständiger Führung, das "durch die Jahrhunderte einen hohen Blutzoll für seine Unabhängigkeit zu entrichten hatte" und jetzt "Demokratie und Menschenrechte auf der ganzen Welt" verteidigt (jW, 20. März, 12. April).

Dieser militärische Elan muß der westdeutschen Friedensbewegung in diesem Krieg abgehen, denn selbst den verwegensten Antiimps fehlt das Verständnis für den objektiv fortschrittlichen Charakter der Milosevic-Regierung. Die meisten ML-Splittergruppen sind vor allem um das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" - am besten des albanischen und des jugoslawischen gleichzeitig - besorgt. Die Revolutionären Kommunisten (die anläßlich der Todesschüsse im israelischen Konsulat in Berlin behaupteten, Israel sei der "einzige Staat der Welt, in dem Folter für legal erklärt wurde und tagtäglich vom Staat offen praktiziert wird") wollen sogar entdeckt haben, daß Rambouillet nur dazu konzipiert war, "daß die UCK ihre Waffen niederlegen und die albanische Bevölkerung des Kosovo sich der mörderischen serbischen Herrschaft unterwerfen müßte".

In der alten Bundesrepublik war es allerdings auch nicht die Identifikation mit dem "proletarischen Internationalismus" kämpfender Völker, die dem Antiamerikanismus zur Massenwirksamkeit verhalf, sondern die "Entdeckung", daß es sich bei den Deutschen selbst um ein von den USA geknechtetes Volk handele. "Die vormals als Hauptnutznießer und Juniorpartner des US-Imperialismus gescholtene Bundesrepublik wird nun als unschuldiges Opfer betrachtet, das als politischer und ökonomischer Aggressor verfemte Modell Deutschland hat sich in einen politischen Sozialfall verwandelt", schrieb Wolfgang Pohrt 1982, und seitdem scheint sich nichts wirklich verändert zu haben. Der ganze deutsche Idealismus der Friedensbewegungen gegen den Nato-Doppelbeschluß und den Golf-Krieg erlebt im aktuellen Restpazifismus sein Revival, noch fehlen ihm jedoch die griffigen Parolen ˆ la "Kein Blut für Öl".

Kaum jemand scheint sich an dem Irrwitz zu stören, daß Mitglieder der grünen Kriegspartei vor amerikanischen Konsulaten gegen die "Kriegspolitik von USA und Nato" agitieren. So tolerant man gegenüber Friedensdemonstranten ist, die wie in Hamburg massenweise mit rot-grünen Parteifahnen aufmarschieren, so reflexartig ist die Gewißheit, daß es sich bei jugoslawischen Demonstranten immer nur um serbische Nationalisten handeln kann. Deutschland dagegen erscheint einmal mehr als ehrlich-dummer Vasall Amerikas und nicht als die Großmacht, die seit 1989 in Osteuropa konsequent das ethnische Prinzip durchgesetzt hat.

Zwar ist die Bewegung kleiner geworden, denn ein Teil von ihr führt jetzt Krieg. In der Einschätzung der deutschen Rolle in diesem Krieg besteht jedoch weitgehende Einigkeit bei friedensbewegten Kriegsgegnern und -befürwortern. So können sich der parteilinke Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele und die Verteidigungspolitische Sprecherin Angelika Beer in einem "Streitgespräch" (taz, 20. April) auf die Unterstützung der "Friedensinitiative" von Joseph Fischer verständigen. Während Angelika Beer weiß, daß es ohne Rot-Grün "noch früher zu Luftangriffen gekommen" wäre, glaubt Ströbele, daß Uno und OSZE ausgeschaltet wurden, "weil UCK und USA nicht wollten". Und beide möchten sich nicht noch einmal von Ausländern vorschreiben lassen, wann Krieg und wann Frieden gemacht wird.

Über die Leerstelle, die die deutsche Großmacht in den Diskursen der Friedensbewegung einnimmt, konstituiert sich der Dämon USA praktisch von selbst. Klartext wird dafür an der Basis geredet, wie z.B. in einem Leserbrief in der taz vom 13. April, der deutsche Soldaten nicht für die "amerikanische Weltordnung" in den Krieg schicken will: "Dann wäre der Krieg auf dem Balkan nur der Anfang, und das deutsche Volk wäre der Dumme (...). Es müßte sowohl die Kriege als auch deren Folgen bezahlen und das Leben junger Menschen opfern."

Mit ihrem selbstmandatierten Kriegseinsatz hat die Nato den Weg frei gemacht zu einer pluralen nationalstaatlichen Interpretation des Völker- und Menschenrechts, die keiner langwierigen diplomatischen Konsensfindung bedarf. Früher oder später kann das Wann und Wie "humanitärer Interventionen" auch innerhalb der "westlichen Wertegemeinschaft" zum Konfliktstoff (z.B. zwischen einer von Deutschland geführten EU und den USA) werden.

Wenn Ralf Sotscheck in der taz vom 12. April die USA als einsame Outlaws des Völkerrechts geißelt, die noch dazu hinterlistigerweise Jugoslawien erst aufgerüstet hätten, um es jetzt zu bombardieren, so könnte dies eine Sichtweise sein, auf die sich dann die deutschen Kriegsbefürworter und -gegner von heute einigen - wenn sie gemeinsam deutsche "Friedens-" gegen US-amerikanische "Interessenpolitik" ins Feld führen.

Angelika Beer hat bereits angedroht, "daß die Bundesregierung die konsequente moralische Haltung, die sie im Kosovo-Konflikt zeigt, zukünftig auch bei anderen Konflikten an den Tag legt".