Ödipale Wunschmaschine

Im Western nichts Neues: Stephen Frears' "Hi-Lo Country" ist eine Männerphantasie

Ödipus sei keine Puppe, sondern eine Sekretion, schreibt Gilles Deleuze in seinen "Unterhandlungen". Woraus zu folgern ist, daß nicht alles, was in ödipaler Manier abgesondert wird, genießbar ist. Um so ärgerlicher ist es, wenn im Kino alte Mythen und Erzählweisen wieder aufgenommen werden, wie dies in Stephen Frears' "Hi-Lo Country" geschieht.

Schauplatz dieses hervorragend besetzten Westerns ist eine unwirtliche, von Gegensätzen geprägte Landschaft, hier treffen die weitläufigen, ewigflachen Ebenen des mittleren Westens auf die Rocky Mountains. Diese frontier ist ein mythischer Ort. Als anhaltend verschobenes Grenzgebiet der amerikanischen Landnahme nach Westen hin verweist sie immer auch auf die Begegnung mit dem "Anderen".

Im Western ist das Andere zumeist die Natur, die wilde Indianerhorde oder der Gesetzesbrecher. Weil "Hi-Lo Country" jedoch ein moderner Western ist, der vor und nach dem Zweiten Weltkrieg spielt, dringt das Unbekannte zunächst in Form kapitalistischer Lebensweisen in die soziale Welt der Protagonisten ein: Cowboys werden zu Angestellten, weil sie der marktwirtschaftlichen Konkurrenz nicht standhalten können.

Inszeniert wird ein Kampf zwischen zwei unterschiedlichen Lebensstilen, deren Maßstab vor allem das richtige "Mannsein" ist. Die Cowboys alter Schule sind frei und unabhängig; sie können trinken, pokern, schießen, Frauen schwängern, Pferde reiten und Bullen zu Boden werfen. Alles Dinge, die die kapitalistischen Weicheier nicht beherrschen. Und da Regisseur Frears sich der Geschichte zweier echter Cowboys annimmt, dürfte auch klar sein, auf welcher Seite die Zuschauerin oder der Zuschauer stehen darf.

Die beiden Freunde, Pete Calder (Billy Crudup) und Big Boy Matson (Woody Harrelson), gehen gemeinsam durch dick und dünn, stehen einander bei jeder Schlägerei bei und teilen die einfachen Freuden ihres Cowboy-Alltags miteinander. Das Vordringen des Kapitalismus kann dieser Männeridylle nichts anhaben; es bedarf eines anderen Dramas, um die Handlung in Gang zu setzen. Dieses kommt über sie in Gestalt einer schönen, aber gefährlichen Frau. Und weil der eine sie als Geliebte hat, während der andere sich vor Eifersucht verzehrt, könnten sie Konkurrenten werden. Nicht Liebe steht hier auf dem Spiel, sondern eine Männerfreundschaft.

Mona Birk (Patricia Arquette) gibt sich lasziv und setzt auf Erotik, um sich Freiräume zu verschaffen: Wenn sie über die Leinwand stöckelt und sich ihre Einkäufe von Pete tragen läßt ("thank you, Pete"), wissen wir, daß diese Frau eine Spielerin ist. Die Gefühle der Männer, denen sie den Kopf verdreht, sind ihr gleichgültig. Sie ist ein echter Vamp und damit eine Gefahr für den mühsam ausbalancierten Frieden in der kleinen Männerwelt. Welche äußeren Einflüsse auch immer diese Idylle an der Demarkationslinie gefährden mögen und eine Spaltung vorbereitet haben, erst durch Mona entwickelt sich daraus ein Kampf um Leben und Tod. Denn ihre Liaison mit dem unbedarft-wilden Big Boy bleibt auch ihrem Ehemann Les, den sie während des Krieges aus Vernunftgründen geheiratet hat, nicht verborgen. Ihr Mann sinnt auf Rache, aber sein Mordkomplott bleibt erfolglos - schließlich können echte Cowboys schneller ziehen.

Währenddessen erlebt Pete einen klassischen Konflikt. Einerseits ist auch er vom Gedanken an Mona besessen ("I could only think of her - Mona"), andererseits will er die Freundschaft zu Big Boy nicht verlieren. Und obwohl Mona eine Gegenspielerin hat, die weniger auf Erotik als auf Liebe setzt, kann er seine Obsessionen nicht aufgeben. Das, was ihm Josepha zu bieten hat, läßt ihn kalt. Ein quälendes Spiel beginnt, in dem Pete zum Komplizen seines Freundes wird. Dennoch ist der Reiz des Verbotenen stärker und fordert schließlich die gewaltsame Aneignung des Liebesobjektes. Pete hofft, sich durch sexuelle Gewalt von seinem Liebesobjekt lösen zu können.

Dies ist keineswegs die einzige Männerphantasie (als Theweleitsche Kategorie verstanden), in der sich der Film ergeht. Aus feministischer Sicht ist der Film eine einzige Männerphantasie. Zunächst erfolgt die Aufspaltung der weiblichen Sexualität in zwei Frauenfiguren, Mona und Josepha. Da ist zunächst die frivole Hure, deren ungenierte weibliche Sexualität zu einer Bedrohung stilisiert wird. Währenddessen ist ihre Gegenspielerin die Heilige, die sich dem romantischen Liebesideal hingibt. Aus ihrem Mund erfahren wir dann auch, was wir als ZuschauerInnen von Mona zu halten haben: "She is just playing with you, Pete, don't you see it?" Aber Pete kann eben nicht hinter die Kulissen blicken, und schon sind sämtliche Übel dieser Welt aus Pandoras Büchse in die Welt entlassen. Gegen eine solche Übermacht der Götter kann Mann natürlich nichts tun.

Die Dramaturgie von "Hi-Lo Country" unterstützt diese Interpretation. Frears bedient sich einer Erzählstrategie, über die die Wissenschaftlerin Laura Mulvey schon vor 25 Jahren schrieb, daß sie ihrem Verfall "mit kaum mehr als sentimentalem Bedauern zusehen" könne. In "Visuelle Lust und narratives Kino" zeigt sie auf, wie Frauenfiguren als erotisches Objekt zwischen Publikum, männlichen Protagonisten und Kamera zirkulieren; innerhalb der Erzählung werden Frauenfiguren handlungstragende Funktionen verwehrt. Während im Hitchcock-Klassiker "Vertigo", an dem Mulvey ihre Kritik erarbeitet, zumindestens an einer entscheidenden Stelle aus der Perspektive der weiblichen Protagonistin erzählt wird, gesteht Frears seinen Frauenfiguren nicht mal für einen Moment zu, sich aus ihrer Rolle als erotisches Objekt, verstrickt in die Geschichten der Männer, zu befreien. Ihre Wünsche und Hoffnungen, Lebensvorstellungen und Pläne finden nicht statt.

"Hi-Lo Country" rollt das Ödipus-Drama wieder auf: Da ist der jungenhafte, sympathische Pete, der uns in der Anfangssequenz mit einer Flinte in der Hand und mörderischer Wut im Bauch vorgestellt wird. Er beginnt, seine Geschichte zu erzählen. Sie handelt von Begehren und Eifersucht unter zwei sich nahestehenden Männern und einem Konflikt, der nur durch die Abwendung vom Liebesobjekt Frau gelöst werden kann.

Am Ende des Films, als die ödipale Wunschmaschine Mona durch eine Schwangerschaft zum Stillstand kommt, begegnen sich Pete und Mona noch einmal. Sie bereden, was nach einer Vergewaltigung noch zu bereden ist. "I never told him", sagt Pete. "It was my fault, as well", antwortet Mona. Thank you, Stephen. For all you did. Und wenn wir uns das nächste Mal im Kino treffen: "Sag, daß es Ödipus ist, oder ich knall' dir eine!" (Deleuze/Guattari)

"Hi-Lo Country". USA 1999. R: Stephen Frears. D: Woody Harrelson, Billy Crudup, Patricia Arquette. Start: 8. April