Doppelt oder gar nicht

Hayat, die erste türkische Zeitschrift in deutscher Sprache, erscheint jetzt bundesweit

Zwischen Brigitte, Hürriyet und Focus mochte sich Tanya Zeran nicht entscheiden. Von keiner der hierzulande erhältlichen Zeitungen habe sie sich wirklich angesprochen gefühlt, denn, sagt Zeran, "die deutsche Presse kann mit Ausländern nicht umgehen".

Damit war die Marktlücke für Hayat ausgemacht: Seit August 1998 gibt die 24jährige die "erste türkische Zeitschrift in deutscher Sprache" (Untertitel) heraus. Zunächst wurde das zweimonatlich erscheinende Magazin nur in Hamburg vertrieben, seit Anfang Oktober auch in Berlin, und seit März dieses Jahres erscheint Hayat mit einer Auflage von 10 000 Exemplaren bundesweit an rund 500 Verkaufsstellen, Verkaufspreis drei Mark.

Hayat - sowohl das türkische als auch das arabische Wort für "Leben" - ist ein Mix aus Frauenzeitschrift, Stadtmagazin und Illustrierter, der noch immer den Charme des Unfertigen besitzt. Ziemlich unentschlossen ist man vor allem beim Layout, lediglich bei der Titelgestaltung scheint sich die Redaktion auf das bewährte Konzept Junge-Frau-in-knapper-Kleidung geeinigt zu haben. Im Heftinneren verwirren die vielen verschiedenen Schriften und Schnitte. Und die Foto-Illustrationen erinnern mitunter an die Schaufenstergestaltung türkischer Foto-Geschäfte.

Aufmacher der aktuellen Ausgabe (April/Mai) ist ein Interview mit der 18jährigen deutsch-türkischen Sängerin Betül Gök. Sie ist in Deutschland geboren und auf dem besten Weg, in der Türkei ein Popstar zu werden. In Hayat räkelt sie sich und verkündet: "Ich fühle mich wie die Brücke am Bosporus." Sie, sagt Gök über das symbolträchtige Bauwerk, "verbindet Europa und Asien. Ich fühle mich, als wenn ich auf einer Brükke stehe, und mich ständig von beiden Seiten angezogen fühle."

Das interkulturelle Thema und die Doppel-Identität sind für Hayat wichtig. Mit dieser Situation des "Zwischen-den-Kulturen-Lebens" klarzukommen, sei nicht immer einfach, sagt Hayat-Herausgeberin Tanya Zeran. Nie, sagt sie, hat sie beispielsweise türkische Musik gehört, sondern natürlich ist sie mit US-Pop groß geworden. Trotzdem hat sie irgendwie versucht, sich mit der Kultur ihrer Eltern anzufreunden. Viele junge Türken hätten ähnliche Probleme: "Den jungen deutschen Türken fehlt Selbstbewußtsein, weil sie sich mit nichts identifizieren können." Das hat natürlich auch damit zu tun, daß "Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern überhaupt nicht multikulturell ist".

Neben Pop bietet das Blatt deshalb auch sozial-politische Themen, z.B. eine Reportage über "Straßenkinder in Istanbul" sowie fünf Seiten zum "Streit um die Neuregelung der Staatsbürgerschaft" in Deutschland. Während Hayat in der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft Position bezieht - und zwar "Doppelt oder gar nicht" -, enthält sich das mit dem Titel "Eine schwere Geburt" überschriebene Porträt des neuen türkischen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit politischer Kommentierungen.

Mit immerhin sechs Seiten bildet die Sport- und Vereinsberichterstattung einen eigenen Schwerpunkt. Vier Seiten der aktuellen Ausgabe widmen sich dem Kickboxen, viel Platz, um Neuigkeiten vom deutsch-türkischen Weltmeister "Bruce" Bahattin Özbek und den "Feuerfäusten" der Brüder Mahir und Deniz Oral zu berichten. Denn: "Treibt Sport", ruft der "Prominentenfriseur" und Vorstand von Örnek-Türksports, Behcet Algan, den deutschen und türkischen Jugendlichen zu und rät: "Macht regelmäßig Sport neben der Schule oder eurem Beruf. Die Schule ist das Wichtigste im Leben. Wer die Schule nicht zu Ende bringen kann, sollte einen Beruf erlernen."

Ganz ohne Pädagogik kommt Hayat nicht aus, Dr. Sommer heißt hier Serap Yildirim, und erzählt "Die Geschichte vom Klapperstorch, und warum man ihn im Islam nicht kennt". Tip zum "Vollzug des Beischlafs" aus dem 11. Jahrhundert: "Wie bei allen Handlungen eines Muslims sollte auch dieser delikate Vorgang mit dem Ausrufen des Namens Gottes beginnen."

"Weil sie die Türken nicht als Zielgruppen wahrnehmen", erzählt die Herausgeberin, habe sie zunächst kaum Anzeigenkunden werben können. Inzwischen scheint sich das geändert zu haben. Vor allem die türkische Community hat das Blatt entdeckt und inseriert. Ein Kredit verhalf dem neugegründeten Verlag First Entertainment zunächst zum nötigen Startkapital. Aber nicht nur finanziell stellte sich der Start des Heftes als schwierig heraus: "Die erste Hayat-Ausgabe habe ich ganz alleine gemacht, und das merkte man auch", sagt Zeran. Nebenbei betreibt die Verlegerin eine Agentur für türkische Models. Zeran glaubt, daß auch hier eine große Marktlücke besteht. Agentur und Zeitschrift arbeiten Hand in Hand: Die türkischen Models, die der Fotograf Manfred Gehrke in Szene setzt, finden sich auf den Seiten von Hayat wieder.

Mittlerweile hat sich die finanzielle und redaktionelle Situation etwas verbessert. Auch größere Werbekunden zeigen sich jetzt interessiert, "weil sie spüren, daß etwas Größeres daraus werden könnte", glaubt Zeran. Etwa zwanzig sowohl türkische als auch deutsche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hat das Blatt inzwischen. "Es haben sich so viele Leute gemeldet, die ihre Mitarbeit angeboten haben", sagt die neue Redaktionsleiterin Simin Falsafi, die für Hayat ihren Job als Online-Redakteurin bei Gruner & Jahr aufgegeben hat.