Machtkampf in Thailand

Wenn Elefanten kämpfen

Nach gewalttätigen Protesten löste das thailändische Verfassungsgericht die ­Regierungspartei auf. Hinter dem Konflikt steht eine Spaltung in der herrschenden Klasse des Landes.

Seit Tagen besetzten Aktivisten der Volksallianz für Demokratie (PAD) in Bangkok den Flughafen, bis zu 350 000 Touristen strandeten oder mussten ihren Urlaub absagen. Nachdem die Polizei bei einem Räumungsversuch in die Flucht geschlagen worden war, spitzte sich die Lage zu. Am Dienstag setzte das Verfassungsgericht Premierminister Somchai Wongsawat ab, er darf sich in den kommenden fünf Jahren nicht politisch betätigen. Die Regierungspartei People’s Power Party (PPP) muss sich auflösen. Partei und Premierminister hätten sich des Wahlbetrugs schuldig gemacht, befanden die Richter. Es war die zweite Absetzung einer Regierung durch das Gericht innerhalb von drei Monaten.
Die Gewalttätigkeit der Auseinandersetzungen passt nun gar nicht in die touristisch geprägte Sicht auf Thailand. Die exotisch-aufregenden Neuig­keiten werden in den westlichen Medien meist mit dem gleichen einfachen Schema erklärt: Eine »städtische Elite« in der PAD versucht, den von der »armen ländlichen Bevölkerung« für seine »populistischen Maßnahmen« geliebten und demokratisch gewählten Premierminister Thaksin Shinawatra bzw. die Nachfolgeregierungen mit unrechtmäßigen Mitteln zu stürzen. Interessant ist, dass auch bei Linken eine ähnliche Analyse vorherrscht. Der marxistische Dozent Giles Ji Ungpakorn etwa erklärt in der Internet­zeitschrift Prachathai, dass die »faschistischen Schläger« der PAD sich mit dem Militär und dem konservativen Establishment gegen die Demokratie und die wohlfahrtsstaatliche Politik von Thaksin zusammengetan hätten.
So hat man scheinbar klare Verhältnisse. Was aber, wenn Thaksin und sein Schwager Somchai, der derzeitige Premierminister, keine Demokraten wären? Oder wenn Somchais Vorgänger Samak Sundaravej, der im September »wegen einer Kochsendung« zurücktreten musste (Jungle World, 38/08), 1976 an der Ermordung von protestierenden Studenten beteiligt war und anschließend als Innenminister der rechten Militärregierung Tausende verhaften ließ? Wenn in der Führung der PAD auch Chamlong Srimuang, ein Anführer der Demokratiebewegung des Jahres 1992, Suri­ya­sai Katasila, Sekretär der damals gegründeten Campaign for Popular Democracy, und Somsak Kosaisuk, ein ehemals führender Gewerkschafter, vertreten sind? Verwirrt? Keine Sorge, die Linke in Thailand ist es auch.

Die Bewegung gegen Premierminister Somchai ist eine Neuauflage der Proteste gegen Thaksin Shinawatra, die 2006 zum Militärputsch führten. Die PPP ist die unbenannte TRT (Thais lieben Thais) Thaksins, und Somchai galt den Anhängern der PAD nur als dessen Marionette.
Thaksins Popularität und sein Ruf als wohlfahrtsstaatlicher »Populist« beruhen auf seinen Sozialprogrammen, allen voran der steuerfinanzierten Gesundheitsversorgung. Doch Thaksin war kein Linker. Seine Regierung war eine Regierung »von den Reichen für die Reichen«. Er selbst wurde mit seinem Konzern Shin Corp zum reichsten Mann Thailands, andere Großkonzerne wie das agroindustrielle CP, das Hähnchen, Shrimps und Fertiggerichte exportiert, regierten mit.
Thaksins innenpolitischer Kurs eines »milden Keynesianismus« diente dazu, eine wirtschafts­liberale, exportorientierte Außenpolitik sozial ab­zufedern. Kritiker wurden von den kontrollierten Medien und der Repression mundtot gemacht. Im muslimisch geprägten Süden regierte Thaksin mit harter Hand, er war 2004 für das Massaker von Tak Bai verantwortlich, bei dem 84 Demons­tranten in Polizeigewahrsam erstickt sind. Thaksin bezeichnete sich selbst als CEO (Chief Execu­tive Officer) von Thailand, das er wie seine Firma zum Erfolg führen würde. Wahlen waren für ihn mit Medienpropaganda und seinem modernen Parteiapparat zu gewinnende Übungen in Public Relations, die ihn als Führer der Nation bestätigen sollten.
Doch wenn Thaksin und seine Nachfolger die Geschäftsführer der Thailand GmbH sind, wozu braucht man noch einen König? Und wenn die politische Macht zentralistisch über die PPP abgesichert wird, wozu sind die ehemaligen Generäle, Staatssekretäre und sonstigen Beamten des »königlichen Netzwerkes« noch gut, die Jahrzehnte lang das Land mal direkt regierten, mal hinter den Kulissen lenkten? Hierin liegt der Kern des Konfliktes. Vereinfachend können zwei Kapitalfraktionen ausgemacht werden, eine »nationale« und eine »transnationale«.
Repräsentieren Thaksin und seine Nachfolger das global agierende thailändische Kapital, wird die nationale Fraktion durch das Crown Pro­perty Bureau (CPB) verkörpert, das als könig­liche Invest­mentholding charakterisiert werden kann. Das CPB akkumulierte seit 1890 über seine Konzerngruppe Siam Cement, die Siam Commercial Bank und als größter Landbesitzer Thailands um die 27 Milliarden Dollar. Entsprach Thak­sins schneller Privatisierungs- und Liberalisierungskurs den Interessen von Shin Corp und CP, die Investitionen in benachbarten Ländern wie Kambodscha und China tätigten, wird die etwas globalisie­rungs­kritischere Haltung des natio­nalen Kapitals durch König Bhumibols »Theorie der selbstgenügsamen Ökonomie« ausgedrückt.
Kulturell steht eine »McThailand GmbH« einem »Thailand Royale« gegenüber. Diese keineswegs unüberbrückbaren Differenzen sind verknüpft mit der entscheidenden Frage, welche Kapitalfraktion den Staat kontrolliert und somit Tempo, Strategie und Gewinner der Wirtschaftspolitik bestimmen kann. Thaksin schuf seine eigene, unabhängige Machtbasis und erweiterte sie systematisch auf Kosten des königlichen Netz­werks. Dadurch kündigte er die Tradition der Kon­sensfindung innerhalb der herrschenden Klasse auf.

Der Unmut über Thaksins Politik explodierte im Februar 2006 in den Straßen von Bangkok. Hun­derttausende beteiligten sich an wochenlangen Protesten. Die PAD war dabei als breites Bündnis gegründet worden, an dem sich neben dem Medienunternehmer Sondhi Limthongkul auch Gewerkschaften der Staatsbetriebe, protestierende Lehrer, die NGO-Koalition gegen das Freihandelsabkommen mit den USA und andere Gruppen beteiligten. Die Allianz war ursprünglich ein Zweckbündnis zwischen den monarchis­tischen Anhängern Sondhis und den eher progressiven Basisbewegungen und NGO.
Eine monarchistische Ausrichtung und die Forderung nach dem Eingreifen König Bhumibols war ausdrücklich nicht Teil des PAD-Programms. Für einige Wochen bot die PAD vielen die Möglich­keit, Kritik an Thaksins Freihandelspolitik, der Gängelung der Medien und seinem repressiven Vorgehen im Süden des Landes zu artikulieren. Doch bald schlossen sich die NGO-Vertreter wie Suriyasai aus machtpolitischer Räson heraus der Forderung nach »königlicher Intervention« an – um Thaksin stürzen zu können. Damit veränderte sich die PAD grundlegend, sie wurde von einer vielfältigen Bewegung zu einem Anhängsel des königlichen Netzwerkes. Schritt für Schritt wur­de aus der taktischen Forderung nach dem Eingreifen des Königs eine öffentliche Akzeptanz undemokratischer Mittel, wenn sie nur dem Zweck dienten, Thaksin zu entmachten. Daher unterstützte die Volksallianz den Militärputsch im September 2006.
Als der Putsch die Macht der Thaksin-Anhänger nicht brechen konnte, wurden immer schril­lere nationalistische und antidemokratische Töne laut. Unrühmliche Höhepunkte in diesem Jahr waren die Kriegshetze für die »Rückkehr« des Tem­pels Preah Vihear aus Kambodscha, die Kam­pagne gegen eine Gewerkschafterin, die das Recht verteidigte, im Kino während des obligatorischen Abspielens der Königshymne sitzen zu bleiben, und die Forderung, 70 Prozent der Parlamentsabgeordneten ernennen statt wählen zu lassen. Suriyasai spricht nun von der »letzten Schlacht für nationale Befreiung« und vom »heiligen Krieg« gegen das »Thaksin-System«.
Die Auseinandersetzung drückt also einen Kon­flikt innerhalb der herrschenden Klasse aus. Dass die zur Fraktion Thaksins gehörende Polizei nicht in der Lage ist, 3 000 Demonstranten aus dem Weg zu räumen, liegt nicht an einer mangelnden Bereitschaft zur Brutalität. Doch wäre sie gewaltsam vorgegangen, hätte dies ein Eingreifen des Militärs rechtfertigen können. Geputscht hat nun nicht das Militär, sondern die Justiz. Die Auflösung der Regierung ist ein Sieg für das königliche Netz­werk, das aber mit dem undemokratischen Eingreifen an Legitimität verliert. Die politische Krise wurde nicht gelöst, auch nach der erneuten Auflösung ihrer Partei wird die Fraktion Thaksins nicht verschwinden.
Eine solche Spaltung unter den Herrschenden ist eigentlich eine gute Voraussetzung für eigenständige Bewegungen von unten. Leider gilt in diesem Fall aber eher das thailändische Sprichwort: Wenn zwei Elefanten kämpfen, dann wird das Gras zertrampelt.

Die PAD hat eine starke Polarisierung hervorgerufen, die die Linke lähmt. Viele Linke unterstützen die Politik der PAD, um den »globalisierten Turbokapitalismus« aufzuhalten. Begünstigt wur­de dies durch eine Tradition, in der die Kritik am Kapitalismus lange als nationale Frage formu­liert wurde. Globalisierung und Kapitalismus galten vielen Linken als Erscheinungen, die von außen, etwa vom IWF oder aus Singapur und den USA, nach Thailand gebracht wurden. Sie betonten dagegen das »ursprünglich Thailändische« und fühlten sich bei der »genügsamen Öko­nomie« des Königs gut aufgehoben.
Andere hingegen arbeiteten mit der Fraktion Thaksins zusammen gegen den Putsch, um den »feudalistischen Nationalkapitalismus« als rückständige Entwicklungsstufe zu überwinden. Dies entspricht auch der unter westlichen Beobachtern vorherrschenden Meinung, die sich allerdings meist mit einem überheblichen Verweis auf die formale Demokratie begnügen. Diese Ansicht ignoriert jedoch die Gründe für die Proteste gegen Thaksin und schließt mit dem Verweis auf die De­mokratie sinnvolle, radikale Militanz wie etwa die Besetzung von Flughäfen prinzipiell aus. Auch wenn die Mehrheit der linken Aktivisten sich weder für die eine noch die andere Seite einspannen lässt, bleibt sie wegen der Spaltung bislang unfähig, effektiv zu intervenieren.