Rassismus als Mainstream

Bei der Hessen-Wahl hat die CDU ein neues Rezept entdeckt: Die Parolen der Rechten, für die Mitte der Gesellschaft übersetzt

"Ausländerfreunde täte ich aufhängen", hat eine CDU-Frau beim Unterschriftensammeln auf der Frankfurter Zeil dem Volk im Vorwahlkampf versprochen, und ihr Kollege sekundierte: "Oder an die Wand stellen." Denn, so wußte ein Dritter: "Der Türke ist nicht integrierbar." (alle Zitate nach: taz, 25. Januar) Am vergangenen Sonntag haben die Wähler solche Versprechungen der hessischen CDU honoriert.

Mit Volksverhetzung, nur halb verschämt als "Ja zur Integration" getarnt, hat der CDU-Spitzenkandidat Roland Koch die neue Mitte wieder nach Hause geholt - zur Überraschung selbst des Landeswahlleiters in Hessen. Dessen Homepage vermeldete noch am Montagmittag, die SPD habe 41,3 Prozent errungen, die CDU nur 35,6 (tatsächlich: SPD 39,4; CDU: 43,4). Auch die Analysten von FAZ bis Jungle World hatten mit ihren Prognosen durchgehend falsch gelegen: Daß allein der Appell ans primitive Ressentiment ausreicht, um in Deutschland Wahlen zu gewinnen, das hatte doch keiner glauben wollen.

Mehr als der 13-Prozent-Erfolg der DVU in Sachsen-Anhalt im Mai 1998 ist der Sieg der Christdemokraten - die Folge eines Acht-Prozent-Stimmenzuwachses seit dem Beginn der Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft im Januar - wegweisend für die künftige politische Auseinandersetzung in Deutschland. Als "Volksabstimmung gegen die Doppelpaß-Pläne" von Rot-Grün bezeichnete CDU-Kandidat Koch selbst nicht etwa nur seine Unterschriftensammlung gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, sondern auch die Landtagswahl selbst.

Kaum hatte er diese gewonnen, hatte Koch Kreide gefressen: Am Wahlabend mußten die "Verkehrspolitik in Nordhessen", die "Bildungspolitik" und das "rot-grüne Chaos in Bonn" zur Erklärung seines überraschenden Erfolgs herhalten. Daß Hessens CDU-Chef offenbar mit den Überresten seines Gewissens zu kämpfen hat, ändert nichts daran, daß Koch für die Zukunft bewiesen hat: Rassismus lohnt sich wieder. Bislang galt: Wer sich - politisch eindeutig - mit Stimmungsmache gegen Ausländer profilieren wollte, landete in der Regel weit unter der Fünf-Prozent-Hürde. Wahlerfolge rechtsradikaler Parteien blieben, so sie auf kommunal- und landespolitischer Ebene überhaupt erzielt wurden, Strohfeuer.

Das könnte sich nun ändern. Von der Stimmungsmache gegen Ausländer profitierte nicht nur die CDU, die sich gegenüber ihrem Wahlergebnis von 1995 um 4,2 Prozent verbessern konnte, sondern auch die neofaschistischen Republikaner, die mehr als 20 000 Wähler zulegten und nun über 2,7 Prozent der Stimmen verfügen. In rechten Hochburgen wie der Stadt Fulda, wo die CDU über 60 Prozent der Stimmen erhielt, legten auch die Republikaner kräftig zu: In der nordosthessischen Stadt verdoppelten sie ihr Ergebnis annähernd und landeten bei fast drei Prozent. Landesweit sind die Rechtsextremisten die fünfte Kraft hinter CDU, SPD, Grünen und FDP.

Sei es bei der Bundestagswahl 1994, sei es bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 1998: Stets haben in Deutschland von rassistischen Kampagnen der bürgerlichen Parteien die Rechtsextremisten profitiert, denn solche Wahlpropaganda stärkt nicht nur die Partei, die sie betreibt, sondern das Thema als solches. 99 500 Wähler gaben am Sonntag ihre Stimme den rechten Parteien und Splittergruppen REP, NPD, BFB, ÖDP, BüSo und PBC - 16 000 mehr als vor vier Jahren. Daß die Rechtsextremisten nicht noch mehr profitieren konnten, liegt nur daran, daß die CDU längst kein Glaubwürdigkeitsproblem mehr hat, wenn es darum geht, den Neger beim Namen zu nennen. Der Lohn: 130 740 neue Stimmen für die Union.

Mit ihrer Selbstfindungskampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft haben die Christdemokraten nicht nur das rassistische Ressentiment hof- und parlamentsfähig gemacht. Sie haben bewiesen, was Teile der Linken zwar seit Jahren prophezeien, in ihrer Konsequenz jedoch oft selbst nicht glauben wollten: mit dem Haß auf alles Undeutsche, dem Einschwören auf den rassistischen Konsens sind in Deutschland sechzig Jahre nach der Reichspogromnacht gesellschaftliche Mehrheiten zu gewinnen. Wenn es sein muß, wie in Bayern, auch absolute.

Die Folgen der Hessenwahl gehen weit über einen Verwaltungswechsel in Hessen hinaus. Schließlich steht die doppelte Staatsbürgerschaft in keinem Zusammenhang mit der Landespolitik, und auch die Kommentatoren der Tagespresse merkten an, daß kein Mensch sich vorstellen könne, was Koch denn nun anders machen wolle als sein sozialdemokratischer Vorgänger. Parteienforscher sprechen bereits von einem möglichen Machtwechsel in Bonn, der auf der Strategie von Wiesbaden basieren könnte: "Das Signal heißt, daß Rot-Grün auch im Bund zu kippen ist. Nicht heute und nicht morgen, aber vielleicht in dreieinhalb Jahren", so der Parteienforscher Joachim Raschke am Wahlabend im ZDF. Jede Wette, daß die Union schon jetzt anfängt, an der großen Anti-Ausländer-Kampagne für die Bundestagswahlen im Herbst 2002 zu basteln.

Daß der Rassismus mit der Hessen-Wahl zum parlamentarischen Mainstream avancieren könnte, daran ändert auch die Tatsache nichts, daß seit dem 27. September 1998 diejenigen an der Macht partizipieren, die mit Antje Vollmer glauben, diese Gesellschaft "gründlich zivilisiert" zu haben. Im Gegenteil: Erst die Übernahme der Regierungsverantwortung durch ehemalige Linke dürfte die Konservativen auf eine Linie eingeschworen haben, der sie sich bislang - vor allem aus außenpolitischen Gründen - weitgehend verweigerten. Damit, das hat der Wahlsieger schon vor seinem Sieg der Süddeutschen Zeitung zu Protokoll gegeben, ist jetzt Schluß: "Die meisten Menschen, die unterzeichnen, sind sehr abwägend in ihrem Urteil. Es gibt aber auch andere - bei ihnen ist unsere Integrationsfähigkeit gefordert. Mir ist lieber, diese wird an CDU-Ständen geleistet, als daß wir diese Leute in die Arme rechtsradikaler Parteien treiben." Im Klartext: Die Union will die rund 19 Prozent der Wähler mit rechtsextremer Einstellung, die sie bislang mit den Sozialdemokraten teilt, mit offenen Armen empfangen und darauf ihre parlamentarischen Mehrheiten gründen. "Die nächsten Landtagswahlen gewinnt die CDU mit einem Volksentscheid über die Wiedereinführung der Todesstrafe", witzelte ein Sozialdemokrat nach der Niederlage.

Tatsächlich könnten jetzt, im Superwahljahr 1999, in Sachsen und Brandenburg, in Thüringen und Berlin die Dämme bersten. 39 Prozent der unter 30jährigen haben am letzten Sonntag nach Angaben der Forschungsgruppe Wahlen ihre Stimme der CDU gegeben. Bei den 30- bis 40jährigen waren es immerhin noch 36 Prozent. Es sei völlig neu, so resümiert die Forschungsgruppe Wahlen, daß die CDU in den unteren Altersgruppen dazugewonnen habe.

Und schließlich lassen sich mit dem Haß gegen Ausländer auch parteiübergreifend neue Mehrheiten bilden: "Gibt es zu viele Ausländer in Deutschland?", fragte das Forsa-Institut im Auftrag der Woche (Ausgabe vom 29. Januar) Anhänger der SPD. Das erschreckende, aber angesichts Otto Schilys Bootsrhetorik wenig überraschende Ergebnis: 49 Prozent aller Befragten antworteten mit "Ja". Die Gegenposition fand nur bei 42 Prozent Akzeptanz. Die Deutschen kennen in ihrer Mehrheit keine Parteien mehr, sondern nur noch das Ressentiment gegen Ausländer.

Was für die SPD-Wähler gilt, das ist für die Gesamtwählerschaft erst recht richtig: Rund ein Drittel lehnt die Doppelte Staatsbürgerschaft ab. Die vor der Wahl gestellten Prognosen einiger Analysten, von dem Konflikt zwischen CDU/CSU und Rot-Grün werde vor allem die FDP profitieren, weil deren Modell (Doppelte Staatsbürgerschaft für Jugendliche, die sich mit dem Erreichen des 18. Lebensjahres für einen Paß entscheiden müssen) die größte Zustimmung genieße, bewahrheitete sich nicht. Die FDP verlor im Gegenteil deutlich an Stimmen und fuhr in ihrer traditionellen Hochburg Hessen mit knapp fünf Prozent das zweitschlechteste Wahlergebnis der letzten fünfzig Jahre ein - nicht trotz, so ist zu befürchten, sondern gerade wegen ihres als gemäßigt geltenden Staatsbürgerschaft-Vorschlags. Die Mehrheit befürwortet aber das kaum verbrämte "Ausländer raus" der Union.

SPD und Grüne scheinen alles andere als gewillt zu sein, das zu vergessen. Noch am Wahlabend unternahm Grünen-Geschäftsführer Reinhard Bütikofer in der Bonner Runde einen ersten Schritt zum Abschied von der doppelten Staatsbürgerschaft: "Lassen Sie uns die rechtlichen Grundlagen für einen Volksentscheid schaffen", schlug er vor. Angesichts der bekannten Umfrageergebnisse kann das nur heißen, im Staatsbürgerrecht alles beim alten zu lassen.

Auch SPD-Chef Oskar Lafontaine erkannte schnell, daß "die Diskussion um das Staatsbürgerschaftsrecht ausschlaggebend" gewesen sei für den Ausgang der Hessen-Wahl und kündigte an, "Konsequenzen" zu ziehen. "Die CDU", so der SPD-Chef, "kann nicht nur Stimmung machen, sie muß sich jetzt seriös mit der Materie beschäftigen. Ich plädiere dafür, zu einem sachlichen Dialog zurückzukehren." Schon am Freitag hatte Bundesinnenminister Otto Schily im Bundesrat die Frage gestellt, ob es nicht eine Volksbefragung zur doppelten Staatsbürgerschaft geben solle. Die Arbeit hat Roland Koch ihm abgenommen.