Junge deutsche Politikertalente

Talentschuppen

Sie sind die Wildesten ihrer Parteien. Sie sind jung und hemmungslos und schrecken in Wahlkämpfen vor nichts zurück. Achtung: Von diesen Talenten werden Sie im »Superwahljahr 2009« noch hören!

Die ausgleichende Kraft
Unsicherheit herrscht in der »Linken«. In der Frage, wie man es mit den USA und Israel halte, war früher und in den Vorgängerparteien nur eine Antwort möglich: »Pfui, pfui, igitt!« Doch mittlerweile warnen Parteimitglieder vor Anti­amerikanismus, bekennen sich zum Existenzrecht Israels, manch forsche Jungpolitiker be­stehen sogar auf dem Selbstverteidigungsrecht des jüdischen Staats.
Doch zum Glück der Traditionalisten gibt es Christine Buchholz. Das Mitglied des geschäftsführenden Parteivorstands der »Linken« stapft unaufhörlich auf Oster- und Friedensmärschen herum, denn für sie ist der war on terror der »erste imperialistische Krieg des 21. Jahrhunderts«. Wackere Kämpfer in Afghanistan, die von der »westlichen Presse pauschal als ›Taliban‹ eti­kettiert« werden, haben ihr zufolge ein »Recht auf Widerstand«. Schließlich leiden nicht nur sie, sondern auch andere unterdrückte Völker, unter anderem im Irak und in Palästina, unter »der Besatzung«. Und diese Kräfte des »Widerstands« geben nach Ansicht von Buchholz gute Gesprächs- und Bündnispartner ab, besonders eine »antikoloniale Befreiungsbewegung« wie die Hez­bollah.
Während also z.B. Katja Kipping gut Wetter gen Westen macht und zugesteht, dass nicht alles aus den USA schlecht ist, verwaltet Buchholz die traditionellen Bestände des Antiimperialismus. Das kann zwar manchmal zu Ärger führen, doch meist geht die Aufgabenteilung reibungslos vonstatten. Denn auf ihre Art tut Buchholz ihr Bestes für die »Linke«, und das manchmal auch zusammen mit Kipping: Das Buch »G8: Gipfel der Ungerechtigkeiten« haben die beiden gemeinsam herausgegeben.
markus ströhlein

Das fleißige Bienchen
Sven Giegold weiß, was er will: »Einerseits pragmatisch und professionell Politik für tiefgreifende soziale und ökologische Veränderungen machen und andererseits anders leben und wirtschaften.« Was einigermaßen vernünftigen Menschen ein Graus ist, nämlich sich nicht nur einer Funktionärskarriere, sondern noch dazu in einer Landkommune der Lebensreform zu widmen, ist Giegolds Lebensinhalt.
Im Attac-Koordinierungskreis war der Mann deshalb von 2001 bis 2007 gut aufgehoben. In dieser Zeit mokierte er sich in Büchern über »Steueroasen« und forderte, diese umgehend »trockenzulegen«. Er plapperte also vor, was derzeit auch Angela Merkel als eine Ursache der Krise ausgibt: Steuersünder und parasitäre Kleinstaaten wie Liechtenstein, Andorra, Monaco und die Schweiz brächten Deutschland um verdiente Steuergelder.
Nicht nur für diese vorausschauende Analyse wurde Giegold von den Grünen belohnt: Im Januar erhielt er den aussichtsreichen vierten Platz auf der Liste für die Europawahl. Zuvor hatte er schon maßgeblich an einem Papier namens »Die Krisen bewältigen – für einen grünen New Deal!« mitgearbeitet. Wie Merkel fordert Giegold darin: »Die Krise als Chance nutzen!« Doch anders als die Kanzlerin empfiehlt der Grüne der Welt nicht die soziale Marktwirtschaft, sondern die »grüne Marktwirtschaft«. In ihr geht es unglaublich »nach­haltig«, »ökologisch«, »sozial«, »lokal« und »gemeinwohlverpflichtet« zu. Denn in der Welt der grünen Marktwirtschaft wohnen »Bienen statt Heuschrecken«: »Junge Unternehmer«, die bereitwillig auf den »Shareholder-Value« verzichten, wenden ihren ganzen »Pioniergeist« dazu auf, den Klimaschutz zu perfektionieren. Und ehe nicht alle Menschen als tatkräftige, aber dennoch ökologisch abbaubare Wald- und Wiesenzombies auf Biobauernhöfen vegetieren, wird auch das fleißige Bienchen Sven Giegold nicht ruhen.
markus ströhlein

Der digitale Böhning
Die Faust ist das erste, was auf seiner Website ins Auge fällt. Sogar wenn sich Björn Böhning (SPD) noch so emsig bemüht, lässig an einem Laternenpfahl zu lehnen, kommt seine Kampfeslust zum Ausdruck – die nur äußerst böse Zungen als Verkniffenheit interpretieren können. Böhning ist einer, der austeilen kann. Fast wie die Großen. Und besonders im Wahlkampf. »Grüne eiern rum«, beschwert sich der ehemalige Juso-Vorsitzende, und setzt knallharte Politikerfloskeln entgegen. Er plädiert für »eine Kultur des Mit­einanders, nicht des Gegeneinanders«, er will »gemeinsam vor Ort« dies und jenes tun und »nachhaltig« an »Lösungen« arbeiten. Wer kann dazu schon nein sagen?
Geradezu atemberaubend experimentierfreudig und innovativ ist der »junge Wilde«. »Raumschiff Berlin« heißt ein kleines Videoblog bedeutungsschwanger, auf dem er Botschaften verbreitete mit keinem geringeren Ziel als »das Raumschiff Berlin zu durchbrechen«. Live aus dem Willy-Brandt-Haus erfuhr man, er wolle daran arbeiten, »dass der Fahrstuhl nach oben zeigt«.
Neuerdings demonstriert Böhning eindrucksvoll über Twitter, dass sogar ein Text von weniger als 160 Zeichen schläfrig machen kann: »Interessante diskussion mit eltern beim bezirkselternausschuss. Habe mich für bessere frühkindliche bildung eingesetzt.« Hauptsache online! Schließlich tritt er bei der Bundestagswahl gegen den knapp 40 Jahre älteren »Offline-Kandidaten« (Böhning) Hans-Christian Ströbele im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg an.
regina stötzel

Die Spezialfeministin
»Man gründet ein Unternehmen, um Gewinn zu machen, und nicht, weil man was Gutes tun will in der Welt.« Ein Satz, der viel aussagt über den Kopf von Silvana Koch-Mehrin (FDP), geboren 1970.
Das »Glamour-Girl der Liberalen« (Die Welt), das auch eine so genannte »Streitschrift für einen neuen Feminismus« verfasst und »Kolumnen« für das bekannte feministische Druckerzeugnis Praline fabriziert hat, in dem Interessierten beispielsweise alles Wissenswerte über »Furzgeräusche beim Poppen« mitgeteilt wird, dürfte wohl eine etwas, hm, sagen wir … eigenwillige Vorstellung davon haben, worum es sich genau bei Feminismus handelt. Aber das macht nichts. Denn Koch-Mehrin, eine Art Westerwelle-Klon, sieht ihre Aufgabe als Politikerin darin, »alle Schichten der Gesellschaft anzusprechen«. Auch Leute, die sich überwiegend für die feministischen Bilder in Praline interessieren, müssen schließlich irgendwie über die Europa-Politik der FDP in Kenntnis gesetzt werden.
Die Abgeordnete im Europa-Parlament scheint wie geschaffen für die FDP: Der übliche astreine Zombielebenslauf (»Blondinentopaussehen« (taz), Volkswirtschafts­lehre, Unternehmensberaterin, Heirat mit einem Juristen, Rama-Frühstücks-Familie usw.) ist makellos. Für ein Geschöpf wie unsere spezialfeministische »Vorzeige-Politikerin mit Model-Figur« (Bild) stellt es kein Problem dar, den dumpfen Stolz auf die eigene Fremdbestimmung durch Arbeit und Familie mit Populismus, Kapitalismus-Reklame und schmierigen, eitlen Auftritten in der Klatsch- und Boulevardpresse zu verbinden. Die extrem kritische und unabhängige Tageszeitung taz beschreibt es auf ihre Art: »Koch-Mehrin steht für die fröhlichen Seiten der Globalisierung.«
thomas blum

Der affirmative Rebell
Obwohl immer noch unter 30 Jahre alt, ist Philipp Mißfelder bereits ein Urgestein der konser­vativen Kaderschmiede. Schon früh erkannte die Süddeutsche Zeitung (SZ) den ewigen Vorsitzenden der Jungen Union als »Mächtigen von morgen«, da er »Rückrat« zeige und »Paroli bieten« könne. Durch seine erstaunlichen gesellschaftlichen Analysen und Tabubrüche konnte der reaktionäre Häretiker dies eingehend beweisen. In der Schlammschlacht, die seinen faszinierenden sozialpolitischen Überlegungen zur übertriebenen Inanspruchnahme künstlicher Hüftgelenke durch alte Menschen folgte, bewies er »Stehvermögen« (SZ). Nach der taktisch raffinierten Entschuldigung des pragmatischen Vorausdenkers unterstützte später selbst die Senioren-Union seine Wahl ins Parteipräsidium. Die jüngste Erkenntnis des kompetenten Polit-Wunderkindes, die Erhöhung von Hartz IV könne nur ein »Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie« sein, nannten naive Kritiker »zynisch und menschenverachtend«. Doch »wenn mal der Wind etwas kräftiger bläst, dann ist der Zwei-Meter-Mann der Letzte, der umkippt« (SZ). Die linke Hetze enthüllte der affirmative Rebell in Bild: »Wir dürfen uns nicht bei jeder Diskussion politische Tabus auferlegen.« Seine rhetorische Brillanz hat Mißfelder offensichtlich bei seinem Freund Helmut Kohl abgeschaut, den er »oft in Oggersheim« besuche, wie er der Bunten sagte.
Der nächste Coup des gut gekleideten Dynamikers auf dem Weg in die wertkonservative Hall of Fame könnte der Posten des stellvertretenden Parteivorsitzenden in NRW werden. Eine neue Chance für Deutschland, das derzeit »nach links rückt«, wie sein bürgerliches Manifest offenbart. Als Partisan im Kampf gegen die »fundamentale Ablehnung von Leitbildern und wertsetzenden Institutionen« ist Supertalent Mißfelder der Richtige, denn er ist, wie er sagt, »konservativ im Herzen – progressiv im Geist!«
maximilian haase