Volksgenossen auf Schnäppchenjagd

Eine Ausstellung in Düsseldorf über die ganz gewöhnlichen Profiteure der Shoah

Am 28. Februar 1942 schreibt der Steuersekretär Adam Schmitt aus Köln-Ehrenfeld an das Oberfinanzpräsidium Köln: "Im Haus Eichendorfstr. 43 in Köln-Ehrenfeld sind infolge der Judenaktion Wohnungen freigeworden. Ich bitte, mir in diesem Haus eine Wohnung zu vermieten. Sollte die Absicht bestehen, das Haus zu verkaufen, bitte ich, mir Vorkaufsrecht einzuräumen. Ich bin Ortsgruppenleiter der NSDAP-Ortsgruppe Alpener Platz in Köln-Ehrenfeld. Die Geschäftsstelle befindet sich in der Lessingstr. 53. Meine Wohnung ist Nussbaumerstr. 37, die Wohnung Eichendorfstr. 43 ist der Geschäftsstelle näher gelegen und würde mir so ein Stück Weg erspart werden. Ich bitte um gütige Berücksichtigung. Heil Hitler!"

Der Brief ist eines von mehreren Hundert Dokumenten, die seit dem 2. November bis zum 10. Januar kommenden Jahres im Stadtmuseum Düsseldorf zu sehen sind. "Betrifft: 'Aktion 3' - Deutsche verwerten ihre jüdischen Nachbarn" heißt die Ausstellung. "Aktion 3" war der Name, unter dem in allen deutschen Großstädten ab 1941 regelmäßig Massenversteigerungen ehemals - sprich: bis zur Deportation - in jüdischem Besitz befindlicher Möbel, Kleidung etc. stattfanden, stets unter großer Beteiligung der Bevölkerung.

Preisgünstiger konnte man allerlei erwerben - vom Klavier bis zum eingeweckten Gemüse, von der Stehlampe bis zum Lyrikband, von Gemälden bis zu Kohlevorräten aus dem Keller der "abgereisten" Nachbarn. Nicht nur Privatleute drängten zur Schnäppchenjagd. Das Städtische Waisenhaus Köln erwarb günstig das Mobiliar des jüdischen Kinderheims, die Schulbehörde der Domstadt kaufte die jetzt nicht mehr benötigten Schulbänke und Tafeln der jüdischen Schulen auf.

Die Dokumente über die Arisierungsbeute der "kleineren Leute" stammen aus dem Aktenbestand der Oberfinanzdirektion Köln und Düsseldorf. Zusammengetragen und aufgearbeitet hat sie der Düsseldorfer Hochschulprofessor Wolfgang Dreßen zusammen mit einer studentischen Arbeitsgruppe. Das hätten sie eigentlich nicht tun dürfen: Juristisch gesehen ist die Ausstellung illegal. Denn die gezeigten Dokumente sind rechtlich noch bis zum Jahr 2038 gesperrt. Anders als gewöhnliche Akten, für die eine gesetzliche Sperrfrist von dreißig Jahren gilt, wurden diese Dokumente nämlich von den Verantwortlichen als Steuersachen klassifiziert. Und solche sind achtzig Jahre lang der Öffentlichkeit nicht zugänglich.

Dabei zeigt ein Blick auf die Akten, daß Steuerangelegenheiten hier so gut wie überhaupt nicht Thema sind. Und so drängt sich der Verdacht auf, daß es wohl weniger die Sorge um fiskalische Geheimhaltung war, die 1988 zur Sperrung führte, sondern andere Gründe eine Rolle spielten.

Zum einen natürlich das Eigeninteresse der Steuerbehörden, die verständlicherweise ungern ihre eigene Rolle

am Rand der Shoah beleuchtet sehen woll(t)en. Zeigt die Ausstellung doch, wie deutsche Finanzbeamte fleißig und penibel noch Pfennigwerte aus dem Besitz tags zuvor gerade deportierter deutscher Juden erfaßten und auflisteten. Und gelegentlich waren es dann dieselben Beamten, die nach 1945 zuständig für die Prüfung von Restitutionsforderungen der wenigen zurückgekehrten Überlebenden waren, die sie, gelegentlich auch "in schärfster Form", ermahnten, bei der Suche nach ihrem geraubten Eigentum den ordentlichen Rechtsweg einzuhalten.

Doch die Brisanz dieser Ausstellung liegt nicht so sehr darin, daß sie die bürokratischen Begleitumstände der Vernichtung dokumentiert. Das Thema ist bekannt und relativ oft aufgearbeitet worden (wenn auch noch nicht am Beispiel der Finanzbehörden). Anstoß erregen die Dokumente vor allem, weil sie auf ein bisher viel zu wenig beachtetes Forschungsfeld der Geschichte verweisen - die "kleinen Leute" im "Dritten Reich", die, anders als die Nachkriegslebenslüge gerne glauben machen wollte, von der Shoah nicht nur sehr wohl gewußt, sondern auch profitiert haben. Was Hermann Göring seine Gemäldesammlungen und Helmut Horten seine Kaufhäuser waren, das war dem Steuersekretär Adam Schmitt eben die Wohnung in der Eichendorfstraße und der Metzgergattin Müller der kostengünstige, kaum getragene Tuchmantel mit Pelzbesatz. Jedem Volksgenossen sein Anteil an der Beute.

Christopher Browning und Daniel Goldhagen haben die Rolle der ganz gewöhnlichen Deutschen beim Morden beleuchtet; jetzt öffnet sich der Blick auch auf die ganz gewöhnlichen Profiteure der Vernichtung. Hier harrt ein Stück deutscher Sozialgeschichte seiner Erforschung. Zu Recht fordert Wolfgang Dreßen denn auch, die zigtausend Akten, die in den Finanzämtern deutscher Städte lagern, endlich freizugeben. Denn was hier am Beispiel Kölns und Düsseldorfs sichtbar wird, hat sich genauso auch in München und Berlin, Mühlheim und Zittau abgespielt.

Dreßen und seine Mitarbeiter überlegen deshalb, die Dokumente als Wanderausstellung auf eine Reise quer durch die Republik zu schicken. Falls das gelingt, wäre zu überlegen, ob die Konzeption der Ausstellung nicht überarbeitet werden sollte. In ihrer gegenwärtigen Form besteht sie fast ausschließlich aus Ablichtungen von Akten und kursorischen Erklärungen. Die anfänglich starke Suggestivität wirkt nach einer Weile selbst auf den interessiertesten Besucher verwirrend und ermüdend.

"Betrifft: 'Aktion 3' - Deutsche verwerten ihre jüdischen Nachbarn". Stadtmuseum Düsseldorf, Berger Allee 2, dienstags bis sonntags, 11 bis 17 Uhr, mittwochs bis 21 Uhr.

Im Dezember erscheint im Aufbau-Verlag ein begleitender Band zur Ausstellung, "Betrifft Aktion 3. Dokumente zur Arisierung", herausgegeben und kommentiert von Wolfgang Dreßen.