DJ Koze im Gespräch über seine neue Platte, Unerleuchtetes und das Popgeschäft

»Man kann im Club nicht zwei Orgasmen nacheinander bringen«

DJ Koze, der sich jetzt Swahimi, der Unerleuchtete, nennt, hat zwar keine Erleuchtung gehabt, aber im Lauf der Zeit viele Erfahrungen gesammelt, mit den Majors, dem Minimalismus und der Frank-Sinatra-Geste in der Musik.

Wir kennen Sie als DJ Koze. Aber der sind Sie nun nicht mehr. Sie nennen sich jetzt Swahimi?
Ja, ich bin Swahimi, der Unerleuchtete.
Ist der Name Ihnen eingegeben worden, so wie dem Jazzmusiker Roland Kirk der Name Rhasaan im Traum offenbart worden sein soll?
Es ist die reine Transformation: Leid in Gutes umwandeln, sage ich jetzt mal. Ich zieh’ das jetzt einfach mal durch und schaue, was passiert. Das kann ich mir leisten nach so vielen Jahren Koze.
Werden die Clubs, in denen Sie auflegen, Sie in Zukunft auch so ankündigen? Das stelle ich mir unter marketingtechnischen Gesichtspunkten etwas problematisch vor. Also ein Club hat DJ Koze gebucht und bekommt statt dessen Swahimi, den Unerleuchteten.
Ich denke, spätestens im April haben sich alle an Swahimi gewöhnt.
Ist der neue Name Teil eines Konzepts? Oder ein simpler PR-Gag, um die neue Platte zu bewerben?
Wenn ich ehrlich bin, kam ich nur auf die Idee, weil mir Marcnesium dieses tolle Cover gemacht hat. Das fand ich so spitze, und als ich es zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich spontan: Das ist doch Swahimi, der Unerleuchtete. Ich meine: Man hat den ganzen Tag schon genug zu tun. Und dann auch noch im Laufe der Zeit die Erleuchtung finden? Ich denke eh: Erleuchtung ist überschätzt!
Das Remix-Album heißt »Reincarnations«. Remixversionen als die Wiedergeburt des Songs?
Genau. Die Wiedergeburt von Liedern, die es alle schon mal gab.
Ist die Coverversion eines Songs auch eine Wiedergeburt?
Das kommt drauf an, ob und wie die Seele des Songs darin erscheint. Lustigerweise hat Justus Köhnke gerade eine Coverversion von »Du bist mein Stern« von DJ Ötzi gemacht. Er hat daraus eine Ballade gemacht – ganz deep. Die Version ist wirklich wie eine Wiedergeburt. Das Stück ist komplett entkarnevalisiert, fast schon bedeutungsschwanger geworden, weil der Text an sich eigentlich gar nicht so schlecht ist.
Wie ist Ihr Verhältnis zum Schlagerkitsch?
Alles, was mir gefällt, hat immer so eine gewisse Reibung. Im Moment des Schaffens ist man ja oft bezaubert, wenn man etwas sehr Harmonisches herstellt, aber es ist nicht das Ausschließ­liche, was mir in der Musik gefällt. Ich möchte die Schönheit etwas verdeckter darstellen: Es gibt dann vielleicht nur einen Moment in der Musik, an dem sich die ganze Schönheit zeigt, und das muss sich nicht über sieben Minuten ständig wiederholen. Manchmal tendiert man dazu, die Musik zu schön zu machen. Klar, mitunter muss man auch einfach dazu stehen. Das haben wir mit International Pony ja auch oft versucht; das ist jetzt einfach schön, das ist so! Meiner Meinung nach ist es einfacher, schöne Musik zu machen als …
 … das Schöne nur anzudeuten?
Ja, genau. Und dann ist es oft so: Wenn du was Schönes gefunden hast, ist es schwer, das wieder in den Hintergrund zu schieben, zu verstecken. Die Halbwertzeit der Musik ist aber einfach länger, wenn sich nicht sofort alles erschließt und es nicht so kokett ist.
Eine Musik, die es darauf anlegt, Glücksgefühle zu erzeugen, hat wenig mit der Realität da draußen zu tun.
Es gibt ja auch kaum Texte, die dieses Glücks­gefühl tragen können. Mit den Texten bricht oftmals alles ein. Das Problem des Künstlers ist doch auch, dass er Bock auf eine so große Ansage haben muss. Ich meine, wann hört man schon mal Musik mit einer Sinatra-Geste. Man kann die Musik vielleicht so machen, aber: Das ist eigentlich gar nicht die Musik, die man gut findet. Aber das begreift man erst im Lau­fe seines Lebens. Sich diese Frage zu stellen: »Toll, das hast du jetzt gemacht – aber bist du das auch selber? Würde ich so ein Stück einer Freundin auf eine Kassette packen? Ist man nicht selber eigentlich viel kleiner? Viel versteckter?«
Wenn man noch sehr jung ist und überhaupt mal die Möglichkeiten hat, Musik zu machen, kann man relativ schnell über das Ziel hinaus schießen. Wenn das passiert, dann geschieht das eben, und dann ist es vielleicht auch gut so, aber ich bin künstlerisch einfach auf der Suche nach anderen Stimmungen. Nicht gleich so obvious, so greifbar. Ich versuche immer gegen die Routine anzukämpfen. Dass es selbst für mich noch interessant klingt. So entwickelt man sich weiter.
Anfänglich haben Sie HipHop produziert, heute minimale elektronische Musik. Glauben Sie, dass die Musik zukünftig immer »feinstofflicher« wird, also immer mikrokosmischer, weg vom grobschlächtigen Rockspektakel des Mainstream?
Sie meinen: bis nichts mehr übrig bleibt? Ich habe das Gefühl, dass kaum noch etwas in den letzten paar Jahren übrig geblieben ist. Mich hat die Idee des Minimalismus – diese transformierte Technomusik – im Geiste von Wolfgang Voigt mit seiner frühen Studio-1-Platte immer wieder begeistert. Diese Monotonie und die minimalen Verschiebungen in der Struktur der Musik sind für mich immer noch mit das Größte. Das kombiniert mit der anderen großen Idee der Musik: der Psychedelic aus der Zeit, als man noch Gitarrenmusik gehört hat! Das ist es!
HipHop ist ja auch eine sehr einfach gemachte Musik. Man kann sehr schnell am Sampler einen Beat programmieren. Gleichzeitig gibt es aber eben auch diesen magischen Beat, was eben ganz ähnlich funktioniert wie im Minimal-Techno. Vieles in der Minimal-Techno-Musik der letzten Jahre ist aber leider sehr öde: Sie trifft diesen Nerv eben nicht mehr. Da kriege ich eine Krise, weil sich das ja in »meiner Szene« abspielt. Eigentlich ist das ja auch ein ganz guter Begriff gewesen: Minimal.
Für Sie bezeichnet der Begriff »Minimal« also ein schwer zu definierendes Gefühl des »Aussparens«?
Ja, aber ich weiß bei den ganzen neuen Sachen teilweise gar nicht mehr, auf was die sich eigentlich beziehen.
Was weggelassen wurde?
Genau. Es kann ja nicht nur darum gehen, dass eine Bassdrum im Viervierteltakt durchgeht. Das allein hat eben keine Seele.
Wie sollen junge Musiker wissen, was man weglassen kann, wenn sie, von minimaler Musik beeinflusst, minimale Musik machen wollen? Das ist ja simple Reproduktion.
Klar. Als ich jung war, musste es auch brachial und laut sein und auch gleich los gehen! Heute möchte ich Musik machen, die eine gewisse Distanziertheit hat und nicht diese Hysterie sofort einfordert.
Es gab aber mal eine Zeit, da war DJ Koze der DJ, der genau für diese Art von Hysterie stand. Der DJ, mit dem sich die Generation »Spex-Sonic Youth« mit einem Mal der Techno­musik zuwandte.
Die Musik hatte zu der Zeit aber auch noch »mehr Knall«. Die Indie-Leute haben damals begriffen: »Ahh … Hier geht das ja auch ab!! Techno-Musik kann auch anstrengend und hart sein!«. Für mich ist es aber gerade das Ödeste, nach Knall und Signal zu suchen und damit ein Haus zu rocken. Musik kann viel mehr.
Ich hatte den Eindruck, dass Sie immer der humorvolle Typ in einer fast schon humorlosen Szene waren.
Die Ernsthaftigkeit in der elektronischen Musik ist teilweise wirklich beklemmend. Dieser Anspruch und diese Selbstdarstellung – diese Selbst­einschätzung vor allem! Ich muss aber auch aufpassen. Ich habe festgestellt, wenn man einmal einen Gag bringt, der so ein neues Fass aufmacht, dann ist das plötzlich das Einzige, was die Leute in dir wollen. Ich will die Leute an ­einem Abend ja vielleicht mal mit einem Gag befreien, aber wenn es dann am Ende heißt: »Du bist doch der Lustige … rapp doch mal!« – dann werde ich richtig aggressiv. Deshalb werde ich wahrscheinlich auch immer subtiler in meiner Arbeit, um auch noch mal auf den Begriff des Psychedelic zurückzukommen.
Wie definieren Sie denn »Psychedelic«?
Schwer zu sagen. Ich finde, dass beispielsweise James Holden mit seinem Entwurf, Indiemusik in Techno hinein zu bringen, eine Welt geschaffen hat, die neu ist, aber eben auch wieder Erinnerungen an die Musik erzeugt, die man liebt. Und trotzdem weiß man nie genau, was einen nach ein paar Takten erwartet. Wohin die Musik einen führt. Wann kommt der Refrain …
Reden wir noch mal über Ihren Humor?
Ich sage immer: »Humor ist, wenn man immer lacht!« Aber grundsätzlich: Humor ist ein ganz heißes Eisen. Man weiß ja selbst, wie sich der Humor von Leuten, die man nicht ganz wasserdicht findet, anfühlt. Doofer Sexismus z.B.: Da habe ich dann gar keine Lust mehr, die Musik zu hören. Ironie oder Sarkasmus finde ich zum Beispiel auch total schrecklich in der Musik. Dass man sich versteckt hinter irgendwas, was man nicht wirklich ernst meint.
Aber wie gehen Sie dann selbst mit so einem Stück wie »Zu viel Zeit« um, in dem Sie einen peinlichen Ausrutscher von Gunther Gabriel zu einem Unterhaltungsstück machen?
Ich weiß auch nicht.
Gabriel hatte bei einem Konzert von der Bühne herab das Publikum beschimpft. Von ­wegen »Ihr habt ja so viel Zeit, sonst wärt ihr ja nicht am Nachmittag schon hier. Ich hab leider keine Zeit, ich muss meinen Arsch immer in Bewegung halten, damit die Knete stimmt.«. Das Publikum hatte den Sänger vorher ausgepfiffen, weil der sie hatte warten lasen. Diese Rede Gunther Gabriels hätte ohne Ihr Stück niemals den Weg in mein privates Reich gefunden.
Ich will mit solchen Stücken nicht wirklich witzig sein, sondern nur verstören, nerven. Das mache ich schon fast zwanghaft. Auch im Privat­leben. Beim Bäcker zum Beispiel. Ich kann es einfach nicht aushalten diese gesellschaftlichen Rollen ständig zu erfüllen. Das geht mir eben beim Musik machen auch so.
Wenn Sie zur Primetime für viel Geld in einem Club gebucht werden: Gibt es da einen Ausweg aus dieser Rolle? Die Verpflichtung »ordentlich abzuliefern« – wie man seit Heinz Strunks »Fleisch ist mein Gemüse« so zu sagen pflegt?
Im Club bedeuten solche »Verstörer« ja nicht, dass plötzlich alle aufhören sollen zu tanzen. Das meine ich nicht. Solche Momente können eben auch psychedelische Momente sein. Es geht eben um das Unerwartete, das Durchrütteln! Ich kann immer nur in einem ganz bestimmten Kontext überraschen. Ich muss erstmal eine Fährte legen, um dann unerwartet abzubiegen. Ich habe mal eines Nachts ein Set gespielt, und plötzlich sind alle durchgedreht. Da kam jemand zu mir und wollte wissen: »Hey! Was ist denn das für ein Stück?« Da habe ich geantwortet: »Das ist nicht das Stück. Das sind die zehn davor … « Es hat mich damals tierisch genervt, dass der Typ das nicht geschnallt hat.
Das ist ja auch das Absurde im Popgeschäft. Es geht immer nur um die Hitsingle.
Ganz genau, die Hitsingle ist der Orgasmus. Aber: Man kann im Club nicht zwei Orgasmen nacheinander bringen. Das ist auch ein Wahnsinn, ein halbes Jahr an einer Vier-Minuten Pop­nummer herumzuschrauben, mit der man dann durch die Radiosender tingeln darf, weil das angeblich die Offenbarung ist für eine gewisse Zeit. Diesen großen Popgedanken, den habe ich einfach nicht. Dieser Run auf den Jackpot. So wie in England – abends im Pub. Plötzlich denken alle: »Was ist das für eine Nummer? Die läuft schon zum dritten Mal.«
Wie lange werden Sie denn noch als DJ arbeiten können?
Meine Zeit ist zu Ende. (lacht)
Und was folgt? Hörspielproduktionen?
Logisch. Dann hänge ich mich an die Hochkultur dran. Oder ich werde Maler. Aber ich habe Angst vor der Kunstwelt. Da muss man so richtig das Enfant terrible spielen. Ich habe schrecklich viele Ängste, aber komischer Weise habe ich keine Angst um meine musikalische Karriere.
Vor wenigen Tagen ist der Hamburger Produzent Sebastian Hackert von Deichkind im Alter von nur 32 Jahren völlig überraschend verstorben. Waren Sie befreundet?!
Nein, befreundet nicht. Aber ich kannte ihn natürlich. Sein Tod hat mich aber sehr verwirrt. Man denkt bei so einem Todesfall über alles Mögliche nach, über seinen Beruf, über sein eigenes Leben … .
Er ist am Wochenende der Echo-Verleihung verstorben …
Ich war nur einmal auf einer Echo-Verleihung, zu Fischmob-Zeiten. Und das war ausgerechnet der historische Abend, an dem Moses P. Stefan Raab eine reingehauen hat. Es war alles ganz schrecklich da. Nie wieder mit denen einlassen.
Mit denen?
Mit der Majorindustrie. Weil es einfach das falsche System ist. Das ist mir in all den Jahren klar geworden. Es sei denn, man hätte vielleicht einen Karnevalshit gemacht, der unbedingt raus muss.

DJ Koze: Reincarnations - The Remix Chapter 2001 - 2009. Get Physical