Christina Schenk

»Wahlverwandtschaften statt Homo-Ehe«

Von der PDS bis zur SPD, im Wahlkampf entdeckten sie plötzlich fast alle Bundestagsparteien für sich: die "Homo-Ehe". Allein die Unionsparteien wollten sich die legalisierte Heirat von Schwulen und Lesben nicht auf die Fahne schreiben. In die Diskussion ist Bewegung gekommen: Auch der künftige Kanzler Gerhard Schröder kündigte im September an, ein Rechtsinstitut schaffen zu wollen, "welches die gleichen Rechte und Pflichten wie die Ehe umfaßt".

Christina Schenk ist Frauenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion. Die 1962 geborene "Atheistin, in lesbischer Partnerinnenschaft lebend" (Bundestags-Handbuch) gehörte nach Mitgliedschaft in der SED (1974-81) und Engagement in der DDR-Oppositionsbewegung während der Wende zu den Mitgründerinnen des Unabhängigen Frauenverbands (UFV). Von 1990 bis 1994 saß sie als Vertreterin des UFV in der Gruppe Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, seit 1994 für die PDS.

Vor den Bundestagswahlen ist die "Homo-Ehe" zum Wahlkampfschlager avanciert. Selbst Gerhard Schröder kündigte an, "Flagge zu zeigen" und die Heirat von Schwulen und Lesben zu erlauben. Der Schwulenverband in Deutschland hörte daraufhin bereits die Hochzeitsglocken läuten. Sie auch?

Schröder hat deutliche Einschränkungen gemacht. Er hat gesagt, ein Adoptionsrecht werde es nicht geben, ebenso wenig wie ein gemeinsames Sozialrecht. Damit wird Lesben und Schwulen mal wieder bescheinigt, daß sie keine Kinder erziehen können. Das "Flagge zeigen" ist schon zu einem richtigen Markenzeichen von Schröder geworden: Man sieht zwar irgend etwas, aber man weiß nicht, was er damit meint.

Die Grünen fordern seit langem gleiche Rechte für homosexuelle Partnerschaften.

Ja, aber was heißt denn "gleiche Rechte" - die gleichen Rechte wie wer? Es ist klar, daß sie die gleichen Rechte meinen, die heterosexuelle Ehepaare genießen. Ich finde es nur bedauerlich, daß die Grünen vorhandene patriarchale Strukturen nicht mehr zum Gegenstand von Politik machen wollen. Die Ehe, so wie sie ist, einfach nur für Homos öffnen zu wollen, ist zu wenig.

Die PDS, die im Osten von etwa 35 Prozent aller homosexuellen Wahlberechtigten ihr Kreuzchen bekommen hat, reimte in Wahlanzeigen: "Ob Ehe oder keine, entscheidet ihr alleine!" Soll da jetzt endlich der Staat abgeschafft werden?

Man muß zu Regelungen kommen, in denen es für die rechtliche Situation von Lebensgemeinschaften - ob nun zu zweit oder zu mehreren - keine Rolle mehr spielt, ob man verheiratet ist oder nicht. Wir haben die juristische Entkernung der Ehe im Blick, weil es ohne die keine Gleichstellung aller Lebensweisen geben kann. Erst dann besteht ja eine wirkliche Wahlfreiheit, ob man nun heiratet oder nicht.

Das scheint sich in der PDS noch nicht herumgesprochen zu haben: Im Juli sagte Gregor Gysi, wenn die Homo-Ehe heute im Bundestag zur Entscheidung stünde, "dann würde ich dafür stimmen, auch wenn es nur ein Zwischenschritt wäre. Wenn wir die Vergünstigungen der Ehe nicht abbauen können, dann müssen wir die Ehe öffnen und stellen sie damit zunehmend in Frage." So argumentiert auch der grüne Homo-Ehen-Befürworter Volker Beck im Bundestag. Haben Sie Gysi inzwischen Nachhilfe gegeben?

Gysi hätte damit nicht unrecht, wenn es tatsächlich um die volle Ehe ginge. Aber das wird ja nicht debattiert, sondern lediglich eine Ehe light ohne Adoptionsrecht und anderes. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Gysi dem zustimmen würde.

Vor vier Jahren sind Sie als parteilose Bundestagskandidatin zur PDS gewechselt, weil man Vertreterinnen mit feministischen Positionen bei den Grünen auf hintere Listenplätze verwies. Zur Bundestagswahl ist Ihnen dasselbe nun bei der PDS passiert. Spielen sich dort jetzt mit Verzögerung die gleichen Prozesse ab?

Diese Frage habe ich mir auch gestellt. Allerdings gibt es da ziemliche Unterschiede zwischen den einzelnen PDS-Landesverbänden. Der Landesverband Sachsen, wo die Aufstellung der Wahllisten benutzt wurde, um innerparteiliche Machtkämpfe auszufechten, dürfte da - hoffentlich - eine Ausnahme sein. Parteilose, die innerhalb der Partei natürlich keine so starke Lobby haben, geraten da schnell unter die Räder. Insofern würde ich diesen Vorgang noch nicht - ich sage noch nicht - so interpretieren. Ich habe dennoch ein sehr kritisches, aufmerksames Auge auf diese Partei.

Die kurz vor der Wahl vom rot-grünen Hamburger Senat eingeführte "Hamburger Ehe" hat ausschließlich symbolischen Charakter, weil sich daraus keinerlei Rechte ableiten. Damit dürften selbst diejenigen Homo-Ehe-Befürworter nicht zufrieden sein, die, wie etwa Hella von Sinnen, Heiraten für eine primär romantische Angelegenheit halten.

Deshalb wundere ich mich auch, daß das Ereignis dennoch als großer Fortschritt gefeiert wird. lch halte das für einen Selbstbetrug, denn de facto ist nichts passiert. Die Regelung enthält deutlich diskriminierende Bestimmungen. Man muß beispielsweise eine Bankbürgschaft beibringen und muß sich notariell bestätigen lassen, daß man die Absicht hat, eine auf Dauer angelegte Gemeinschaft zu führen. Göttin! Jeder geht eine Beziehung ein mit der Hoffnung, sie möge möglichst lange dauern. So etwas justitiabel machen zu wollen, ist Blödsinn.

Ihr kürzlich vorgestellter Entwurf "Zur Gleichstellung aller Lebensweisen" plädiert selbstbewußt "für eine neue Familienpolitik" in Form von Wahlverwandtschaften für alle. Wie soll das konkret aussehen?

Jeder Mensch soll individuell das Recht bekommen, die Rechtsverhältnisse in seiner Beziehung oder seinem Beziehungsgeflecht völlig selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu regeln. Dies soll sowohl die Binnenverhälinisse der Beziehung als auch die Rechtsverhältnisse dieser Beziehung gegenüber dem Staat betreffen. Jeder Mensch könnte demnach ihm Nahestehende zu seinen "Verwandten" erklären, denen gegenüber er Rechte wahrnehmen möchte bzw. denen er Rechte geben will, die ihn selbst betreffen.

Die AutorInnen des Entwurfs sprechen selbstkritisch von einer neuen Unübersichtlichkeit, die seine Verwirklichung möglicherweise mit sich bringe. Wie will man die in den Griff bekommen?

Zunächst muß es einen Bestandsschutz geben: Wer jetzt verheiratet ist, behält alle bisherigen Rechte und Pflichten. Das andere wird ein langer Prozeß sein, in dem Aufklärung ein zentraler Punkt ist. Im Grunde beschreibt der Entwurf einen Ansatz für eine neue Familienpolitik. Zur "Familie" gehören danach alle Menschen, zu denen man ein besonders enges Verhältnis hat. Das kann die EItern einschließen, muß es aber nicht.

Ein wichtiger Punkt im Konzept ist das Aufenthaltsrecht für ausländische PartnerInnen. Das ist bislang nur über die herkömmliche Ehe zu erreichen. Die Regelung im Sinne des Konzepts auszudehnen bedeutete, "offene Grenzen für alle" zu fordern. Dies, so hieß es in einem Vorentwurf aus dem Frühjahr, sei "gegenwärtig weder in der PDS konsensfähig noch einer breiteren Öffentlichkeit vermittelbar". Warum?

Nach unserem Konzept hat jeder Mensch das Recht, seine Wahlverwandtschaften zu bestimmen, ohne daß irgendwelche Kriterien geprüft werden. Das heißt, daß jeder, der hier mit gesichertem Aufenthaltsstatus lebt, Menschen ohne deutschen Paß einladen kann, um mit ihnen diese Wahlverwandtschaft zu leben. Das aber bedeutet in der Konsequenz den Übergang zum Konzept "offene Grenzen für alle". In der PDS hat man bislang den Ansatz "offene Grenzen für Menschen in Not" formuliert, der auch mit Überzeugung getragen wird. "Offene Grenzen für alle" ist hingegen auch in der PDS gegenwärtig nicht mehrheitsfähig.

Muß man nicht trotzdem bei der politischen Forderung bleiben?

Ja klar, aber ich gebe zu, daß ich hier ein wenig ratlos bin. Diffuse und auch irrationale Ängste kann man eben nicht mit rationalen Argumenten aus der Welt schaffen.

Das Kölner Schwulenblatt Queer fand jüngst zu einer sehr feinsinnigen Unterscheidung: "Jungen Männern", die in binationaler, eheähnlicher Partnerschaft mit einem Deutschen leben, müsse ein Aufenthaltsrecht gewährt werden. Ausländer hingegen, die nachts im Park Schwule überfallen und sonstwie homophob sind, könnten, ginge es nach Queer, durchaus abgeschoben werden. Was halten Sie von von dieser Art schwuler "Bürgerrechtspolitik"?

Eine hanebüchene Auffassung. Zum einen gibt es auch Deutsche, die Schwule klatschen - wohin soll man die abschieben? Zum anderen kommt Homophobie aus einer bestimmten Männlichkeitsvorstellung und nicht automatisch aus einer nichtdeutschen Herkunft. An diese Männlichkeitsbilder muß man ran - in Kindergärten, Schulen und anderswo, egal, ob es sich um Deutsche handelt oder um Menschen nichtdeutscher Herkunft.

Konservative werden Ehe und Abendland vor Ihren Ideen retten wollen ...

Die Konservativen stehen da ohnehin in einem Widerspruch. Einerseits wird die Familie hochgehalten, andererseits wollen sie die völlige Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitswelt sogar noch fördern, bei der dann Familienleben überhaupt nicht mehr möglich ist. Ich bin sicher, daß uns mit dem Konzept "Für eine neue Familienpolitik" ein Wurf gelungen ist, der die Debatte um AIternativen jenseits der Homo-Ehe in Deutschland befruchten wird.