Castor mit grüner Soße

Schlechte Zeiten für AKW-Betreiber: Jede Woche ein neuer Skandal, und der Minister zeigt Muskeln

Die gute Stimmung auf den Hauptversammlungen von RWE, Veba und Viag konnte nicht darüber hinwegtäuschen: Für die Energieversorger hagelte es in den letzten Wochen bad news. Fast zeitgleich mit dem umstrittenen Krümmel-Gutachten von Inge Schmitz-Feuerhake wurde ein vom bayerischen Umweltministerium wochenlang geheimgehaltener Störfall im AKW Grundremmingen bekannt.

Nach neuen Tests kann die Bundesanstalt für Materialprüfung Korrosionen im Deckelbereich der Castor-Behälter nicht mehr ausschließen, und der französische Wiederaufbereiter Cogema sowie der deutsche Atomtransporteur NTL wurden gleich zweifach der Vertuschung von Sicherheitsmängeln überführt. Mitte der achtziger Jahre hatten sich an einem aus Biblis kommenden Cogema-Behälter Verschmelzungen an der Dichtungsmasse gezeigt. Der Behälter wurde noch jahrelang für Transporte genutzt, die NTL verschwieg dies aber gegenüber den deutschen Aufsichtsbehörden. Und in diesem und dem vergangenen Jahr stellten Mitarbeiter des AKW Unterweser nicht nur Schäden an der Silikonschicht eines Cogema-Behälters, sondern mehrfach auch das Abtropfen einer "grünen Flüssigkeit" fest. Die NTL verwies darauf, daß das Phänomen untersucht werde.

Enttäuscht sind die Stromkonzerne auch, daß Schröder seinem Umweltminister Jürgen Trittin bislang so viel Freiraum läßt. Weil Rot-Grün mit der Novellierung des Atomgesetzes noch vor Aufnahme der Konsensgespräche die "Friedenspflicht" gebrochen habe, gehen die Betreiber nun auf Konfrontationskurs. "Wir bestimmen vielmehr selbst die Restlaufzeiten für die bestehenden Kraftwerke", so Viag-Chef Wilhelm Simson. Der Sprecher der Betreiber, Otto Majewski, geht von "40 bis 60 Vollastjahren" pro AKW aus.

Die Erhöhung der Deckungsvorsorge für Schadensfälle von 500 Millionen auf (immer noch unrealistisch niedrige) fünf Milliarden Mark pro AKW treibt die Versicherungskosten für die Betreiber in die Höhe. Die Verpflichtung auf zusätzliche Sicherheitsüberprüfungen wird ebenfalls dazu führen, daß sie ihre Gewinnerwartungen etwas nach unten korrigieren müssen.

Auch die Verweigerung der Einsicht in die Wiederaufbereitungsverträge mit Frankreich und Großbritannien hat den Betreibern öffentlich geschadet. Von Beginn an stand fest, daß Trittin sich auch auf anderem Wege Zugang zu den Dokumenten würde verschaffen können. Die nun von ihm sowie kritischen Atomexperten vertretene Einschätzung, daß das Verbot der Wiederaufbereitung keine Vertragsstrafen nach sich ziehen werde, wurde von den Betreibern nicht einmal mehr dementiert. Trittin konnte gar noch einen draufsetzen und den Betreibern vorhalten, ohne Vorlage der Verträge seien sie nicht in der Lage, den im Atomgesetz vorgeschriebenen Entsorgungsnachweis zu führen und gefährdeten so selbst den Betrieb ihrer Anlagen.

Trotzdem kann von einem "ausstiegsorientierten Gesetzesvollzug" derzeit kaum gesprochen werden. Das zeigt sich beispielhaft am Umgang mit dem maroden Reaktor Biblis A. Mehrere Stillegungsverfügungen wurden in den letzten Jahren vom hessischen Umweltministerium unter Federführung des grünen Staatssekretärs Rainer Baake erteilt, auf Weisung des CDU-geführten Bundesumweltministeriums (BMU) aber immer wieder zurückgezogen. Nachdem Baake als Staatssekretär ins BMU gewechselt ist, spricht davon kaum noch jemand - die Konsensgespräche sollen nicht unnötig belastet werden.

Dennoch scheint es bei RWE und Veba Überlegungen zu geben, neben Biblis A den ebenfalls besonders störanfälligen Meiler Stade vorzeitig abzuschalten. Dieser Schritt könnte den Versorgern enorme strategische Vorteile verschaffen. Die Konsensgespräche könnten von Rot-Grün als "Einstieg in den Ausstieg" verkauft werden, während sich die gesellschaftliche Diskussion um die Nutzung der Atomkraft vollends auf die Frage von Restlaufzeiten reduzieren würde.

Ein Imageschaden droht den Betreibern nicht nur wegen der jüngsten Transportskandale und erhöhten Leukämieraten (neuerdings auch in der Umgebung des bayerischen AKW Grafenrheinfeld), sondern auch als Folge sich abzeichnender Personalentscheidungen in den Bereichen Strahlenschutz und Reaktorsicherheit.

Während die beabsichtigte Berufung von erklärten Atomkraftgegnern in die Beratungsgremien des BMU in erster Linie zu einem kritischeren Sicherheitsdiskurs führen dürfte, könnte die Neubesetzung zentraler Positionen im Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) sowie in der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) den Handlungsspielraum der Stromkonzerne merklich einschränken. Denn BfS wie GRS sind seit ihrer Gründung von Atomlobbyisten dominiert.

Während für die Leitung des BfS, in dessen Zuständigkeit unter anderem die Planung und Durchführung von Planfeststellungsverfahren für die End- und Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle fällt, der kritische Strahlenmediziner Edmund Lengfelder favorisiert wird, soll Lothar Hahn, Mitbegründer der Reaktorabteilung des Öko-Instituts, die Geschäftsführung der GRS übernehmen. Die GRS wird vor allem mit gutachterlichen Stellungnahmen in Sicherheitsfragen betraut.

Ob eine kritischere Haltung in Sicherheitsfragen auch Eingang in maßgebliche atompolitische Entscheidungen von Rot-Grün finden wird, hängt aber vor allem vom Ausgang der Konsensgespräche ab, bei denen der Kanzler selbst die Federführung übernehmen wird. Berücksichtigt man die Halbwertzeit bisheriger rot-grüner Gesetzentwürfe, so läßt die von Trittin seit Wochen wiederholte Ankündigung, die Atomgesetznovelle werde auf jeden Fall noch vor Beginn der Gespräche "eingebracht", aufhorchen.

Diese regierungsamtliche Sprachregelung könnte erklären, warum Schröder seinen Umweltminister bislang gewähren läßt. Die SPD hält sich damit die Hintertür offen, noch im Verlauf der Konsensgespräche ins Gesetzgebungsverfahren einzugreifen und Teile der vom BMU erarbeiteten Atomgesetznovelle wieder rückgängig zu machen.