»Pavelic und Hitler gut - Genscher super«

Die kroatische Regierung will vom ehemaligen Ustascha-Konzentrationslager Jasenovac nichts mehr wissen.

Nach Jasenovac reist man nicht besonders bequem. Von Zagreb, der kroatischen Hauptstadt, kommen Reisende mit dem Zug nur bis Nowski, neun Kilometer von dem Dorf im Norden Kroatiens entfernt. Einen Hinweis auf die Gedenkstätte für das ehemalige Konzentrationslager Jasenovac sucht man vergebens. Einheimische, von denen viele Deutsch sprechen, lächeln vielsagend: Ach ja, deutsche Touristen - nach dem Konzentrationslager erkundige sich sonst kaum jemand.

Ja, ein Bus fahre in den Nachbarort, erklärt der Bahnhofsvorsteher - die Haltestelle liege direkt am Marktplatz. Doch nach zwanzig Minuten Fußmarsch im Stadtinneren angekommen, stellen wir fest, daß der Bus nur dreimal am Tag fährt. Der nächste kommt erst in fünf Stunden.

Per Autostopp haben wir mehr Glück. Schon nach zehn Minuten hält ein Wagen. Der junge Fahrer spricht uns in fließendem Deutsch an: Erst vor einer Woche sei er nach Kroatien zurückgekehrt, um seinen Wehrdienst abzuleisten. Davor hat er als Kriegsflüchtling über ein Jahr bei Verwandten im Ruhrgebiet gelebt.

Kurz hinter Nowski beginnt das ehemalige Kriegsgebiet. Zwischen 1991 und 1995 lieferten sich hier die Truppen der kroatischen Armee und die bewaffneten Aufständischen der "Freien Republik Krajina" erbitterte Kämpfe. Die Gegend zwischen Nowski und Jasenovac wechselte mehrmals den Besitzer - mal lag sie in der Hand der serbischen Unabhängigen, dann fiel sie wieder unter kroatische Hoheit.

Kein Haus ist unzerstört. Telegraphendrähte und Stromleitungen liegen auf dem Boden. "Hier habe ich meine Kindheit verbracht. Hier kannte ich fast jeden. Jetzt bin ich nach langer Zeit zum ersten Mal wieder hier", erzählt unser Fahrer fast wehmütig. In der Kaserne, in der er jetzt stationiert ist, fühlt er sich gar nicht wohl. Der Rekrut im Bett neben ihm habe vor Jahren im Rausch einen Türken erstochen - "einfach so", "ohne jeden Grund", wie er sagt.

Zur Geschichte von Jasenovac befragt, sagt er: "Das war schon schlimm, wie damals die Juden und Serben behandelt wurden. Aber das wurde in Jugoslawien doch alles sehr übertrieben."

Jasenovac war eines der berüchtigten Todeslager des kroatischen Ustascha-Regimes. Zwischen 1941 und 1944, als Ante Pavelic den faschistischen Satellitenstaat führte, sind dort nach vorsichtigen Schätzungen über zweihunderttausend Serben, Roma und Juden ermordet worden. Nach der Befreiung von den deutschen Besatzern war Jasenovac in der Volksrepublik Jugoslawien als nationale Mahn- und Gedenkstätte in jedem Reiseführer aufgelistet. Selbst im kleinsten Dorf gab es Hinweisschilder.

Nachdem der Ort im Sommer 1995 endgültig von den kroatischen Truppen zurückerobert wurde, montierten die neuen Herrscher sämtliche Schilder, die auf das KZ hinwiesen, ab. Durchaus konsequent, denn schon Anfang der achtziger Jahre hatte der heutige Präsident Kroatiens, Franjo Tudjman, als revisionistischer Historiker mit Schriften über die "Jasenovac-Lüge" die damalige jugoslawische Justiz auf sich aufmerksam gemacht.

Hinter den Bäumen ist der geschwungene Rand des Denkmals zu erkennen. Auch in unmittelbarer Nähe findet sich nicht der kleinste Hinweis oder eine Wegbeschreibung. Früher noch, vor dem letzten Krieg, konnte man den kürzesten Weg über die Wiesen nehmen. "Aber das würde ich jetzt nicht raten. Hier hat niemand die Minen geräumt", warnt unser Chauffeur. Nach mehrmaligen Verfahren findet er den Zufahrtsweg, der schmal und mit Gras überwachsen ist. Besucher scheinen hier schon länger nicht mehr hingekommen zu sein.

Wir sind fast allein, nur ein Vater kommt uns mit seinen Sohn entgegen. Auf dem Rücken tragen sie Angelruten. Die beiden sind auf dem Weg zur Sava, die bei Jasenovac mit der Una zusammenfließt. In der Ferne ist eine Hügellandschaft im Dunst zu erkennen. Das über zehn Meter hohe Mahnmal steht einsam in der Landschaft. An beiden Seiten sind die kleinen Treppen an den Ränden mit Plastikbändern abgesichert. Nicht weitergehen: Minengefahr. Auf einem aufgeschütteten Hügel stehen alte Eisenbahnwaggons. Hier wurden die Deportierten ausgeladen: Roma, Juden, Kommunisten, Widerstandskämpfer.

"Wenn neue Häftlinge eingeliefert wurden", sei es üblich gewesen, die alten, "verbrauchten", zu töten, schreibt Josip Erlih. Der Mann aus Osijek ist einer der wenigen ehemaligen jüdischen Häftlinge, die Jasenovac überlebten. Wahrscheinlich habe ihm eine Typhuserkrankung das Leben gerettet, glaubt er.

Jasenovac war ein Todeslager ohne Gaskammern. Die Mordwerkzeuge waren Hammer, Messer, Stangen, Galgen - und das Maschinengewehr. Besonders der Lagerkommandant Dinko Sakic hat sich ein Vergnügen daraus gemacht, den Häftlingen beim Appell ins Gesicht zu schießen. "Eines Morgens", berichtet Josip Erlih, "befahl er allen Juden, sie sollen vortreten. Dann schrie er einen schmächtigen Juden an: 'Nieder auf die Knie'. Dann schoß er ihn zweimal in den Kopf. Anschließend wurden wahllos Namen verlesen und die Häftlinge wurden sofort hingerichtet."

Jetzt soll Sakic in Kroatien der Prozeß gemacht werden. Dem internationalen Druck konnte selbst das Tudjman-Regime nicht standhalten. Dabei wurde Sakic noch 1994 vom kroatischen Präsidenten während eines Argentinien-Besuchs empfangen. Mit Hilfe des Vatikans war Sakic - wie viele der Ustascha-Funktionäre - nach Südamerika geschleust worden. Später wurde ihm seine Gier nach Publicity zum Verhängnis. Auf dem alljährlichen Treffen alter Nazis im österreichischen Bleiburg diktierte er noch 1990 Journalisten ins Mikrophon: "Ich bedauere, daß wir nicht getan haben, was sie uns vorwerfen. Alles, was wir getan haben, war im Interesse Kroatiens und der Christenheit."

An Ort und Stelle sucht man allerdings vergeblich nach Berichten über das blutige Treiben im KZ Jasenovac. In der einstigen Gedenkstätte sind alle Spuren getilgt. Das frühere Museum ist leergeräumt, selbst die Lampen wurden abgeschraubt. Nur noch die leeren Gebäude sind übriggeblieben.

Auf dem Weg vom Denkmal ins Dorf laufen wir an zerstörten Häusern vorbei, hinter leeren Fensterhöhlen ist demoliertes Mobilar zu erkennen. Aus manchen Ruinen wachsen kleine Bäume. An die Außenwände der meisten Häuser sind Zeichen angebracht, ein großes "U", das an einigen Stellen übermalt wurde durch ein Kreuz mit vier kleinen "s". Das U ist das Symbol für die Ustascha, das Kreuz steht für die serbischen Tschetniks.

Es dauert eine Weile, bis wir auf den ersten Einwohner treffen. Auf den Verbleib der Bewohner der leeren Nachbarhäuser angesprochen, sagt der alte Mann: "Die sind jetzt alle bei Milosevic", und zeigt über den Fluß nach Bosnien, wo die bosnisch-serbische Republika Srpska liegt. Obwohl nur wenige Meter entfernt, gibt es keine Verbindung über die Una.

Die einzige Brücke ist zerstört und hängt senkrecht in der Luft. Der alte Mann scheint auch keinen Kontakt zu den Bewohnern auf der anderen Flußseite zu suchen. Die Serben haben sogar die katholische Kirche zerstört, klagt er und weist auf die Kirchenruine, die während des Krieges von einer Granate getroffen wurde. Die orthodoxe Kirche aber sei unversehrt geblieben, meint er fast bedauernd.

Da hatten die katholischen Fundamentalisten unter dem Ustaschaführer Pavelic während des Zweiten Weltkrieges gründlichere Arbeit geleistet. Fast 300 orthodoxe Gotteshäuser zerstörten die Faschisten bis 1945. Viele wurden zu Schlachthäusern oder öffentlichen Toiletten umfunktioniert. Über dreihundert orthodoxe Geistliche wurden ermordet, die meisten vorher gefoltert.

Das Motto des Ustascha-Regimes lautete: "Es kann keine Serben und keine Orthodoxie in Kroatien geben, die Kroaten werden sobald als möglich dafür sorgen." Der Historiker Carlo Falconi schrieb in seiner Studie über den Ustascha-Staat: "Es ist fast unmöglichâ sich eine Strafexpedition der grauenhaften Ustaschakader ohne einen Priester vorzustellen, vor allem ohne einen Franziskaner, die sie anführt und aufreizt."

Der Franziskanerpater Miroslav Filipovic war vier Monate lang Lagerkommandant von Jasenovac. Allein in dieser Zeit sind dort über 40 000 Menschen ermordet worden. Der Primas von Kroatien aber, der Erzbischof Stepinac, war immer voll des Lobes für das Pavelic-Regime. "Es ist leicht, die Hand Gottes in diesem Werk zu erkennen", schwärmte er. Diesem treuen Sohn des Vatikans und der Ustascha wurde am ersten Oktoberwochenende posthum eine besondere Ehre zuteil, als Papst Johannes Paul II. ihn bei seiner Kroatienvisite selig sprach. Dem Kardinal, der die "katholischen Schlachtfeste in Kroatien" (Karlheinz Deschner) bis zum bitteren Ende des Ustascha-Regimes verteidigte und dafür in der Volksrepublik Jugoslawien fünf Jahre lang inhaftiert war, wurde vom Papst als "die leuchtendste Gestalt der katholischen Kirche Kroatiens" bezeichnet.

Die Papstvisite war auch eine besondere Ehrerweisung des Vatikans für das kroatische Tudjman-Regime. Nach dem Zerfall Jugoslawiens konnte sich die katholische Kirche wieder zur hegemonialen Macht im Lande aufschwingen, ganz so wie im Kirchenstaat von Pavelic. Man muß nicht lange suchen in Jasenovac, um unverbesserliche Ustascha-Fans zu finden. Der Verkäufer des einzigen Ladens im Ort kann über Kundschaft eigentlich nicht klagen. Doch die Besucher aus Deutschland wecken schlagartig seine Gastgeberinstinkte. Im Nu werden einige Kisten zu Sesseln umfunktioniert, der Kaffee aufgesetzt. Dazu wird Schokolade gereicht, auf deren Packung ein Bild der kroatischen "Heldenstadt Vukovar" zu sehen ist. Ein Teil des Kaufpreises ist für deren Wiederaufbau bestimmt.

Wie beiläufig gibt der Mann Kostproben seiner Gesinnung. Als der Name Tito fällt, geht sein Daumen nach unten. Auch auf Tudjman ist er nicht gut zu sprechen. "Der wirtschaftet nur in die eigene Tasche und bereichert sich und seine Familie." Er hat andere Favoriten: "Pavelic und Hitler gut - Genscher super", sagt er. Als er sich weitschweifig darüber ausläßt, wie schlimm sich die Serben während des Krieges aufgeführt hätten, sich die kroatische Seite dagegen überhaupt nichts vorzuwerfen habe, widersprechen die beiden jungen Frauen, die beim Dolmetschen helfen, lachend.

Es ist schon Nachmittag - Zeit, an die Rückfahrt zu denken. Wieder heißt es, daß der Bus nach Nowski bald komme. Doch wieder warten wir vergeblich - und verlegen uns aufs Trampen. Schon wenige Minuten später hält ein Wagen an. Obwohl die junge Fahrerin gut Deutsch spricht, ist sie nicht sehr gesprächig. Besonders, als sie auf die diversen Wimpel angesprochen wird, die in ihrem Auto baumeln. Auf einem ist eine Karte von Großkroatien in den Grenzen des Ustaschareichs abgebildet - inklusive großer Teile Serbiens und Bosniens. Auf anderen finden sich Symbole der HOS, jener faschistischen Miliz, die für viele Massaker während des letzten Krieges verantwortlich gemacht wird.

In dieser Zeit waren nicht nur alte Ustascha-Funktionäre, sondern auch ausländische Rechtsextremisten gern gesehene Gäste in Kroatien. Der ehemalige Rep-Europaabgeordnete Harald Neubauer schwadronierte dort über ein Europa der Nationen, Neonazis kämpften mit der Waffe in der Hand Seite an Seite mit kroatischen Faschisten gegen die Serben.

Inzwischen hat das Tudjman-Regime die offen agierenden Faschisten fallengelassen - auf internationalen Druck hin, und weil sie in Friedenszeiten nicht mehr gebraucht werden.

Und auch unsere Fahrerin will nicht mehr erzählen, als wir sie auf die Wimpel ansprechen. Zwar sei die HOS im heutigen Kroatien nicht verboten - vorsichtig müsse man aber dennoch sein.