Der Film »La Journée de la jupe« löst in Frankreich eine Rassismus-Debatte aus

Mit Rock und Valium

Im Film » La Journée de la jupe« wehrt sich eine Lehrerin gegen das Macho-Verhalten ihrer Schüler. Das Schuldrama hat in Frankreich eine Debatte über Rassismus im Film ausgelöst.

Rock tragen als privater Akt des Widerstands. Für Sonia Bergerac, Lehrerin an einer Schule in einer französischen Banlieue mit migrantischer Bevölkerung, gehört das zum ermüdenden Alltag. Gegen den ausdrücklichen Rat des Direktors an die weib­lichen Lehrkräfte, sich neutral in Hosen zu kleiden, stellt sich die Literaturlehrerin im Rock vor ihre lernunwillige Klasse. Schüler be­schim­pfen Lehrerinnen im Rock schon mal als »Nutten«, Lehrer sehen auf ihre Schüler herab und sehen in ihnen Feinde. Röcke tragen und Tablet­ten nehmen zur Beruhigung, so lautet das Über­lebensprogramm von Bergerac, der eines Tages die Waffe eines Schülers in die Hand fällt, woraufhin die Situation eskaliert: Die Lehrerin nimmt ihre Schüler als Geiseln, mit fatalen Folgen.
Am Ende des Films dann die Überraschung, als die Unterhändler des Raid, der Eliteeinheit der französischen Polizei, die das Klassenzimmer umstellt, die Eltern der Lehrerin ans Telefon holen. Plötzlich stellt sich heraus, dass die Lehrerin selbst migrantischer Herkunft ist, dies aber vor ihren Schülern und ihrer Umgebung verborgen hat. »Ich bin Französischlehrerin an einer laizistischen Schule«, führt sie zur Begrün­dung an, als eine Schülerin vor der nun arabisch sprechenden Lehrerin verwundert ausruft: »Wa­rum haben Sie uns das nicht gesagt?« Aus den Worten des alten Vaters erfährt man, dass seine Tochter wegen ihrer Heirat mit einem Franzosen und ihrer westlichen Kleidung aus dem Elternhaus verbannt worden ist. Die Eltern versprechen eine Aussöhnung, und ein Happy End scheint sich kurz vor Schluss anzudeuten, das dann doch ausbleibt.
Das ist die Handlung eines Films, der in Frank­reich für Debatten gesorgt hat: »La Journée de la jupe« mit Isabelle Adjani in der Rolle der ent­nervten Lehrerin. Wie realistisch ist der Film, wie überzogen ist die Darstellung gewalttätiger Schüler? Darüber wird in den Feuilletons gestritten.
Einen »Tag des Rocks« gibt es wirklich. Genau­er gesagt, eine Kampagne, die 21 Tage dauert und »Frühling des Rocks und des Respekts« heißt. Die alljährliche Veranstaltungsreihe findet seit 2006 an einem Collège im westfranzösischen Rennes statt. An der Schule in der Bretagne war im Januar 2006 eine 12jährige Schülerin Opfer einer Gruppenvergewaltigung geworden, die Tä­ter waren zwischen 13 und 16 Jahre alt. Als Regisseur Jean-Paul Lilienfeld im Internet überprü­fen wollte, ob der von ihm favorisierte Filmtitel »La Journée de la jupe« noch zu haben ist, stieß er auf die Initiative.
An der Mittelstufenschule in Rennes wurde der Film am 31. März aufgeführt. Auch Häftlinge aus dem örtlichen Gefängnis waren dazu eingeladen worden. Die Pariser Abendzeitung Le Monde veröffentlichte aus diesem Anlass eine Reportage, die in ihrer Ausgabe vom 7. April erschien. »Alles im Film ist wie in der Wirklichkeit«, sagte ein Schüler der Zeitung. Mindestens eines aber ist anders als in dem Film von Jean-Paul Lilienfeld, handelt es sich bei dem Collège doch um eine katholische Privatschule, die Lycée Jeanne d’Arc in Rennes, deren Bedingungen sich doch erheblich von denen an der im Film dargestellten öffentlichen Schule inmitten der Hochhäuser einer Trabantenstadt unterscheiden dürften. Fast keiner der in der Reportage beschriebenen Schüler ist migrantischer Herkunft, wie auch generell der »Ausländeranteil« in der Bretagne insgesamt gering ist.
Am 9. April erschien in Libération eine Reporta­ge aus Schulen in Pariser Vorstädten und benachteiligten Stadtteilen, die ein insgesamt etwas differenzierteres Bild als der Film zeichnet. Schü­lerinnen berichten darin von sexistischen Sprü­chen und Beschimpfungen und davon, wie sie damit umgehen. Allerdings porträtiert die Zeitung auch eine Reihe von Mittel- und Oberschü­lerinnen, die Röcke tragen und dazu stehen.
In einem Chat mit den Leserinnen und Lesern von Libération stand der Regisseur Jean-Paul Lilienfeld Ende März selbst Rede und Antwort. Dort führte er aus, er sei sich darüber bewusst, dass Sexismus und sexuelle Gewalt keineswegs nur Probleme von Schwarzen oder Arabern seien, sondern die gesamte französische Gesellschaft betreffen. »Aber mein Film handelt nicht nur von Sexismus, und die am stärksten benach­teiligten Klassen – in jedem Sinne des Wortes – bestehen in ihrer Mehrheit aus Schwarzen und Arabern. (…) Ich hätte es ebenso lächerlich gefunden, eine Klasse von Weißen zu nehmen, wie einen Pornofilm mit Schauspielern in Unterhosen zu drehen.«
An anderer Stelle in dem Chat widersprach er einem Diskussionsteilnehmer, der ihn ausdrücklich dafür loben wollte, dass er »Vorstadtmachos« zeige, »deren einziger Bezug der Islam ist«. Lilienfeld korrigierte ihn an dieser Stelle: »Nein, der Islam ist nicht ihr einziger Bezug«, im Übrigen wüssten diese Vorstadtjugendlichen in der Regel ausgesprochen wenig über ihre Religion. Die Schüler konstruierten sich vielmehr eine Identität zusammen: »Wenn man eine unsichere Identität hat oder gesellschaftlich nicht anerkannt wird, dann sucht man sich einen Identitätsersatz, auf den man stolz sein kann.« (Vgl. http://www.liberation.fr/cinema/1201126-la-journee-de-la-jupe)
Diese Differenzierungen werden von einigen Hardlinern, die Lilienfelds Film heftigen öffentlichen Beifall spendeten, zweifellos als zu viel Verständnispädagogik und Gutmenschentum abgetan werden. So wurde der Film schnell auf Webpages wie Fdsouche (für français de souche, also »Abstammungsfranzose«) und in anderen autoritären oder rassistischen Kreisen gefeiert. Dort hieß es dann schnell, dieser Film zeige »ungeschminkt die Realität«.
Zustimmung kam aber noch aus einer anderen Ecke, von jenen Laizisten, die einen Niedergang der republikanisch-universalistischen französischen Staatsideologie beklagen und gern eine stärkere Selbstaffirmation des republikanischen Nationalstaats sehen würden. Zu ihnen gehört ein Konservativer wie der aggressive Figaro-Kom­mentator Ivan Rioufoul, aber auch ein früherer Linker wie Alain Finkielkraut. Finkielkraut hat sich in den vergangenen Jahren, neben dem Kampf gegen Antisemitismus, auch auf jenen gegen »antiweißen Rassismus« und gegen den Niedergang der Hochkultur spezialisiert, die er auch durch den Rückgang der Anforderungen an den Schulen bedroht sieht. Insgesamt verurteilt er die »Selbstaufgabe« des republikanischen Staates und wehrt sich gegen die Senkung des Schulniveaus und der intellektuellen Anforderungen etwa durch »Vermassung« der Bildung. Finkielkraut bezeichnete den Film Jean-Paul Lilienfelds als »historisches Ereignis«.
Heftige Kritik gab es, wie zu erwarten, auf mus­limischen Webpages. Aber auch aus der anderen Ecke. Die Filmkritik der renommierten Abend­zeitung Le Monde warf dem Film, ohne ihn gänzlich zu verreißen, Mitte März »Schwarzweiß­malerei« vor. Auf dem Blog von Le Monde diplomatique wurden an dem Film, in einem detailliert argumentierenden Artikel von Mona Chollet, rassistische Tendenzen aufgezeigt. Für zusätzliche Kritik sorgte, dass der Regisseur Jean-Paul Lilienfeld einer stark rechtslastigen Homepage von militanten Verteidigern des Abendlands, Primo Europe (Europa zuerst), ein Interview gegeben hatte.
Andere Rezensenten meinen hingegen, Lilienfeld zeige mit seinem Film »nur die Wahrheit« auf. Um den Vorwurf des Rassismus zurückzuweisen, verweisen sie auf die migrantische Herkunft der Hauptfigur Sonia Bergerac. (Auch die Darstellerin Isabelle Adjani hat einen Migrationshintergrund. Die 55jährige hat einen algerischen Vater und eine deutsche Mutter.) Der Film bezieht sich positiv auf die im republikanischen Frankreich existierende Tradition des »Integrationsversprechens«, als Anforderung an jene, die man in Wirklichkeit in subalterner Position belässt. 1958, auf dem Höhepunkt des Algerien-Kriegs, zelebrierten französische Militärs auf einem zentralen Platz in Algier eine »Feier der Entschleierung« algerischer Frau­en, die symbolisch ihre Kopfverhüllung ablegten. Dies wurde nicht nur von gläubigen Muslimen als Versuch der Legitimierung eines im Kern illegitimen Herrschaftsanspruchs verstanden. Dieses historische Erbe trägt eine Strömung des französischen Laizismus, sein etatistisch und autoritär geprägter Teil, mit sich herum. Des­halb ist es nicht ganz zufällig, dass auf einer Webpage wie Riposte laïque (»Die Laizisten schla­gen zurück«) – die den Film ebenfalls in den höchsten Tönen lobt – in jüngerer Zeit auch Rechts­extreme enttarnt wurden. Obwohl diese Strömung durchaus aus anderen Kreisen gespeist wird.
Das zentrale Problem des Films dürfte darin bestehen, dass er eine thematische Vermischung vornimmt: Er verquickt die Forderung nach Autorität und das Beklagen einer vermeintlichen Schwächlichkeit des Staats, Herkunftsbezüge und sehr reale Probleme – wie Sexismus und Gewalt, nicht nur, aber auch in den Sozialghettos der Banlieues – miteinander.
Die Debatte fand in den Feuilletons und auf den Blogs statt. Dennoch blieb das Echo schwächer als erwartet, weil der angekündigte große Kinovertrieb von »La Journée de la jupe« ausblieb. Nachdem der Film erstmals auf der Berlinale 2009 gezeigt worden war, wurde er im März von dem deutsch-französischen Sender Ar­te ausgestrahlt. Arte hatte den Film finanziert, einige große Kinoproduzenten hatten zuvor befunden, das Thema sei »zu heiß«. Weil der Film fünf Tage vor seinem Kinostart bereits im Fernsehen ausgestrahlt worden war – wo er an jenem Abend 2,2 Millionen Zuschauer hatte, eine der zehn höchsten Einschaltquoten in der Geschichte der Sendeanstalt Arte –, winkten viele Betreiber von Kinoketten ab.
Auch im Internet war er noch bis zum 26. März umsonst zu sehen. »Das ökonomische Schema lautet, dass ein Film erst in die Kinos kommt, dann kostenpflichtig per DVD oder im Internet vertrieben und erst dann für die Fern­seh­bild­schir­me freigegeben wird«, monierte etwa die Kinokette UGC.
Dass der Kinostart also alles in allem nicht gigantisch ausfiel – der Film kam in etwa 55 Kinos in ganz Frankreich, darunter acht in Paris, auf die Leinwand –, hatte also weniger mit dem Inhalt als mit der Verteidigung eines ökonomischen Kalküls zu tun. Was Webseiten wie etwa die rechtsextreme Fdsouche nicht daran hinderte, sofort ein Komplott gegen einen unbeque­men Film zu vermuten. Darum dürfte es sich definitiv nicht gehandelt haben. Eine Polemik erspart hat sich aber vielleicht mancher Kinobetreiber dadurch schon.

Geändert: 23. April 2009