Der Schrei nach Führung

Der Hase ist immer schon da. Joseph Fischer auf dem Weg ins Außenministerium.

"Ich habe aus meiner Vergangenheit nie ein Geheimnis gemacht."
Joseph Fischer

Dieses Land könnte einen Außenminister bekommen, der wie kaum ein anderer seine Biographie schönschreibt. Einen, der sich hemmungslos den Medien ausliefert. Wen sieht der Mann, wenn er sich im Spiegel betrachtet? Verläßt ihn seine Frau, inszeniert er sich als Hauptfigur in einer Tragödie. Speckt er ab und joggt, spielt er den lonesome Leistungsträger des deutschen Standorts. Er macht sich komplett zur Ware.

Bislang kokettierte Fischer mit seiner kleinbürgerlichen Herkunft, dem harten Leben seiner Eltern. Der machistische Kämpfer befreite sich aus der schwäbisch-dörflichen Enge wie Rocky aus dem höllischen Dschungel. Das sollte alle möglichen Brutalitäten rechtfertigen. Heute entdeckt er in der Familiengeschichte bürgerliche Ahnen, die in einem "ansehnlichen Gehöft" vor Budapest lebten, mit Kindermädchen und Waschfrau. Der Mann will Außenminister werden. Seine Partei paßt ihm wie seine neuen Anzüge. "Jetzt ist in historisch umwölkter Düsternis, große Oper angesagt", spottete Jürgen Leinemann im Spiegel.

Die ehemaligen Frankfurter Spontis um Joseph Fischer und Daniel Cohn-Bendit sind vermutlich die erfolgreichste Karrieristengruppe, die die Linke je verlassen hat. Christian Schmidt beschreibt in "Wir sind die Wahnsinnigen. Joschka Fischer und seine Gang" den Kitt zwischen den Protagonisten als ein Material "aus Hunderten von persönlichen Freundschaften, Abhängigkeiten, sexuellen und nicht-sexuellen Beziehungen (...) Klatsch, Tratsch und intimstes Wissen übereinander".

Für einen Außenstehenden hat Schmidt eine Menge Wahrheit über die Grünen herausgefunden, mehr als die meisten anderen Bücher, die bisher über die Partei erschienen sind. Das macht das Buch, trotz seiner Schwächen, empfehlenswert. Zu diesen Schwächen gehört z.B. sein Unverständnis für die gesellschaftliche Lage Ende der sechziger Jahre und die alberne Empfehlung, die Grünen zu wählen, um "Joschka Fischer beim Abschreiten einer militärischen Formation beobachten" zu können.

Bei der Beschreibung des Kitts dieser pressure group vergißt Autor Schmidt die Ökonomie. Die Spontiszene war abgehalftert, als Cohn-Bendit und Fischer ihre alten Kumpel 1983 bis 1985 mobilisierten, um die hessischen Grünen zu überrollen. Die beiden Häuptlinge verhießen Geld und neue Perspektiven - bei koalitionsförderndem Abstimmungsverhalten. Dutzende Fischer-friends bekamen Jobs mit Staatspensionen auf höchstem Niveau oder Geld aus rosagrünen Töpfen für ihre Projekte. Da konnten Gewerkschafter über die bevorzugte Einstellung und Beförderung von Unqualifizierten so zornig protestieren wie sie wollten.

Mißt mensch die Alt-Spontis am Anspruch einer humanen Gesellschaft, in welcher Menschen sich aus demütigenden und ausbeuterischen Verhältnissen befreien, sind Fischer und Co. heute armselige Gestalten. Sie mißdeuten ihr abgrundtiefes Scheitern als Sieg. Für die Anerkennung durch die Herrschenden müssen sie ihre Geschichte umschreiben. Dabei hilft ihnen ein Netz von befreundeten Meinungsmachern, die in öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und in den Printmedien, in Buchverlagen und Radiostationen gegen Fischer-KritikerInnen mobil machen. Gibt es erst eine rosagrüne Bundesregierung, wird der Opportunismus und die Zensur gegen kritische Linke noch gewaltiger. Die Erinnerung an frühere eigene politische Ansprüche muß in schäumenden Angriffen gegen alle, die noch links sind, erstickt werden.

Anfang 1979 schwärmte Fischer für den islamischen Fundamentalismus in Gestalt der religiösen Massenerhebung im Iran. Die "Glaubenskraft" der Mullahs beeindruckte den Katholiken derartig, daß "die Religion und das Heilige" für Fischer mindestens zweitweise als etwas "Wesentliches" Bedeutung gewannen. Zu der für Fischer typischen Verarbeitung des eigenen Irrationalismus gehörte die Erfindung des Stigmas "Fundamentalisten" für die linken Grünen, jene lästigen innergrünen GegnerInnen. Den eigenen Anpassungsprozeß verklärten die Alt-Spontis als "Realpolitik". Bei der Durchsetzung des Stigmas halfen die üblichen Verdächtigen: Spiegel, taz, Frankfurter Rundschau und andere.

Wolfgang Kraushaar, früher ein Fischer-Kritiker aus dem Spontilager, machte mich etwa 1984 auf diesen Ursprung des Schimpfwortes "Fundamentalist" aufmerksam. Heute hat sich Kraushaar, der für das Hamburger Institut für Sozialforschung das dreibändige Werk "Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost zum Molotowcocktail. 1945 bis 1995" herausgeben hat, unter die eingereiht, die die Geschichte im Interesse jener Altsponti-Clique umschreiben (Jungle World, Nr. 26 /98). Neben ihnen existiert in seiner "Chronik" fast keine Linke. Nicht der KBW, die zeitweise stärkste Frankfurter K-Gruppe. Nicht die antiautoritäre Linke wie wir Anti-AKW-AktivistInnen und spätere linke Grüne. Und auch das Sozialistische Büro (SB) wird klein geschrieben. Damit dies nicht auffällt, werden wichtige Ereignisse in Frankfurt in Kraushaars Werk weggelassen oder subjektlos. - Natürlich nennt er mich in seiner Chronik heute "fundamentalistisch".

Ich kam Ende 1977 nach Frankfurt, da gab es die Spontis nicht mehr. In Szenekneipen hingen traurige Gestalten herum, perspektivlos, zynisch. Wir, undogmatische Linke, die nicht aus dem Spontimilieu kamen, gründeten eine Bürgerinitiative gegen Atomanlagen. Zur Eröffnungsveranstaltung kamen tausend Leute. 1979 besetzten wir die Stadt mit einer 50 000-Menschen-Demo und "Rock gegen rechts". Die NPD wurde verjagt, die Frankfurt/Main zur "Hauptstadt der Bewegung" machen wollte. Die Alt-Spontis waren nicht im Bündnis. Kraushaar führt "Rock gegen rechts" in seinem Buch auf, als wäre es vom Himmel gefallen, und nicht Produkt der Zusammenarbeit von undogmatischen Linken, Kommunistischem Bund, linken Gewerkschaftern, Jusos u.a. 1979/1980 wurden die Grünen gegründet. Keine Spontis. 1981 tobte der Kampf um die Startbahn West, das Hüttendorf wurde geräumt, Demonstrationen z.B. in der Rohrbachstraße, von der Polizei überfallen. Kein Fischer, kein Cohn-Bendit. Kein Wort in Kraushaars Chronik.

Fischer und Cohn-Bendit bekämpften die neu gegründeten Grünen - bis wir Erfolg hatten. Barbara Köster, die ehemalige Lebensgefährtin von Daniel Cohn-Bendit, kommentierte die Anstrengungen der Spontis: "Sie machen das bei den Grünen, was sie immer gemacht haben: Es entsteht etwas, sie müssen den Fuß reinkriegen und dann müssen sie's übernehmen, und dann ist es kaputt, weil es keinen Inhalt mehr hat."

Nach den Mai-Unruhen von 1968 wurde Cohn-Bendit aus Frankreich ausgewiesen, obwohl selbst der Polizeipräsident von Paris sich gegen seine Ausweisung ausgesprochen hatte. Die Legende vom "Roten Dany" wurde geboren. Fischer erkannte seine Chance: Cohn habe de Gaulle "fast mitgestürzt". Fischers Gruppe, der "Revolutionäre Kampf" (RK), der intellektuell im Schatten von Hans-Jürgen Krahl verschwand, hatte nun wenigstens einen "echten" Revolutionär.

Während Joseph Fischer und friends für ein paar Wochen oder Monate bei Opel Rüsselsheim am Fließband arbeiteten, besetzten im Herbst 1970 etwa 100 Leute im Westend drei Häuser, ein Protest gegen Spekulation und Stadtzerstörung. Fischer schönte später seine Biographie für die Grünen (1983) und behauptete "(...) besetzten wir in Frankfurt die ersten Häuser". Aber Fischer war am Anfang überhaupt nicht dabei. Im Gegenteil, der RK verspottete die Hausbesetzer: Man kämpfe nicht im "Reproduktionsbereich", sondern habe das Bündnis mit der Arbeiterklasse zu suchen.

Im September 1971 räumte die Polizei ein besetztes Haus mit überraschender Brutalität. Die Hausbesetzer leisteten erbitterten Widerstand. Oberbürgermeister Möller (SPD) gab nach und erließ ein Moratorium. Dieser Erfolg anderer - das bleibt das Muster bis heute - zog die Spontis enorm an. Wenige Tage später besetzte auch der RK einen ganzen Häuserblock nahe der Universität.

Fischer will eigentlich nur eines: Erfolg. Welche Rolle er dafür spielen muß, hängt von den Rahmenbedingungen ab. Bis heute hat er keine einzige inhaltliche Position gehalten, sofern sie seiner Karriere im Weg stand.

Physische Gewalt untereinander gehörte im RK zu den Verkehrsformen. Notfalls verprügelte Fischer auch die eigenen Leute. Der Zeitschrift Autonomie gestand Fischer seine "Lust am Schlagen", ein "tendenziell sadistisches Vergnügen". 1986 kokettierte er im Spiegel, "er habe selbst im engsten Realokreis immer wieder daran gedacht, Probleme auf die bewährte Weise zu lösen: 'Dann stand die Gewaltfrage im Raum.'" Nach dem Niedergang des RK wurde Mitte der siebziger Jahre die Frauenbewegung stark. Wollte mann von diesem Erfolg profitieren, war eine opportunistische Spitzkurve nötig und ein Spezialist: Fischer.

Die frustrierten Spontis versuchten "sich verzweifelt an diese neue alternative Großmacht [die neue Frauenbewegung] heranzuschmeißen" (Schmidt). Fischer biederte sich an und legte 1977 ein Bekenntnis ab. Er geißelte die "Militarisierung", die "zentralisierten Strukturen", ein System von "Befehl und Unterordnung" und bekannte: "Es ist unser und mein dunkelstes Kapitel, ich weiß oder ahne es besser nur, weil ich da selber wahnsinnige Angst vor bestimmten Sachen in mir habe, Bartsch und Honka sind Extremfälle, aber irgendwo hängt das als Typ in mir drin." Einfache Mörder genügen dem Flagellanten nicht: "Stalin war so ein Typ wie wir, nicht nur, daß er sich als Revolutionär verstanden und gelebt hat, sondern er war im wahrsten Sinne des Wortes eben auch ein Typ." Ein Typ. Ein echter Mann. Frau traute ihm nicht.

Während in der Szene der Frust herrschte und manch ein Kind aus Perspektivlosigkeit gezeugt wurde, vertrieb sich Fischer schlecht gelaunt die Zeit als Taxifahrer, klaute Bücher, probierte Drogen, schwärmte für den ideologischen Wegbereiter der NS-Faschisten, Ernst Jünger, den er 1982, als Jünger den Goethepreis der Stadt Frankfurt erhalten sollte, gegen Kritik in Schutz nahm und zum "Geheimtip der Linken" erklärte. "Die [Spontis] sagen, Jünger sei zwar ein Faschist, ein Denunziant usw. gewesen, aber: Hand aufs Herz, wie hätten wir uns verhalten? Sie kommen mir so vor, als wollten sie schon heute - ganz ungefragt - ihre Rechtsschwenkung oder ihr Mitläufertum von morgen rechtfertigen", schrieb die Schriftstellerin Renate Wiggershaus in weiser Voraussicht.

Wir, die erste Fraktion der Grünen im Römer, machten unterdessen spektakuläre radikale linke Politik, verstärkten mit einer aktionsreichen palamentarischen und außerparlamentarischen Arbeit den Widerstand - gegen die Startbahn West, das Atomkraftwerk Biblis, gegen die Hanauer Atomanlagen, gegen die Stationierung von Pershing-Raketen, gegen das Zwangsröntgen von Roma-Kindern und andere Rassismen, gegen die Arbeitsbedingungen bei der und die Naturvergiftung durch die Hoechst AG.

Bei den Landtagswahlen im September 1982 bekamen die Grünen acht Prozent. Am Wahlabend brabbelte Willy Brandt in der Elefantenrunde von einer "neuen Mehrheit links von der Union". Fischer war elektrisiert. Sein Sponti-Kreis entschied, die Grünen für eine künftige Koalition mit der SPD zu nutzen. Sie traten massenhaft ein, verbargen ihren Plan, wohlwissend, daß die Grünen Koalitionen ablehnten - alle Strömungen der Partei, von links bis wertkonservativ. Cohn-Bendits Zeitschrift Pflasterstrand begann mit der Hetze gegen Andersdenkende. Zwischen Oktober 1982 und Mai 1983 traten rund 600 neue Mitglieder in den hessischen Landesverband ein.

Nur sechs Monate später, im März 1986, saß Fischer im Bundestag. Beeindruckt erzählte der Parvenu dem Freund Cohn-Bendit: "Ich wundere mich immer noch, daß ich jeden Tag mit den Verantwortlichen dieses Landes zu tun habe und man von gleich zu gleich miteinander umgeht." Mensch lese Rosa Luxemburgs Spott über die Sozialdemokraten im Badischen Landtag. Wer so beeindruckt ist von den Vertretern der Herrschenden, ist verloren.

Umso bereitwilliger sich Fischer den herrschenden Verhältnissen unterwarf, umso mehr mimte er den Rebellen: Stoppeln, Lederjacke, rüpelhaftes Benehmen. Ein- oder zweimal trug er, ein bißchen alternative Sensibilität war angesagt, die Babyflasche seiner Tochter gut fotografierbar in der Jackentasche. Ansonsten gibt er heute gern zu, daß er sich um seine Kinder kaum gekümmert hat.

Heute wächst das Mißtrauen eines Teils der Wähler, ob es Fischer nicht in Wahrheit doch nur um den eigenen Aufstieg geht. So ist dessen bevorzugte Heldenlegende derzeit: "Ich habe eine Koalition in Hessen beendet." Auch gelogen. Nach einer geplatzten Tolerierung einer SPD-Minderheitsregierung (1984) organisierten Fischer & Co. erneut Masseneintritte in die Grünen. Die Neumitglieder konnten eines wirklich gut: Wenn Cohn-Bendit oder Fischer "Jetzt!" brüllten, sank die Bierflasche, legte man das Skatblatt weg und stimmte ab, wie befohlen. Das grüne Programm wurde verwässert, die Koalition mit der SPD beschlossen (1985). Der Bundestagsabgeordnete Fischer kokettierte: "Ich habe nicht die Absicht, Minister zu werden." Wenig später ließ er sich, tief beeindruckt vom neuen Amt, vereidigen.

Aber beim ersten Krisenfall versagte der großmäulige Narziß. Am 26. April 1986 geschah die Katastrophe im Atomkraftwerk Tschernobyl. Der Hessische Minister für Umwelt und Energie Fischer tauchte ab. Erst am 1. Mai wurde in Hessen ein Krisenstab gebildet, in dem Fischer die Verantwortung auf Sozialminister Armin Clauss (SPD) abschob. Später schrieb Joseph ("Regieren geht über studieren"): Er habe am 30. April den grünen Bundesvorstand energisch zum Handeln aufgefordert. Ein lächerlicher Versuch, die eigene Unfähigkeit zu rechtfertigen - und nicht einmal wahr. In der Taschenbuchausgabe wird er diesen Anruf auf den 29. April 1986 vordatieren.

Die SPD trieb - auch in Hessen - den Ausbau der Atomenergie weiter. Die grüne Bundesversammlung in Hannover zwang Fischer zu erklären, daß er die hessische Koalition bis zum Ende des Jahres 1986 aufkündigen würde, wenn nicht bis dahin alle Atomanlagen in Hessen stillgelegt seien. Die grüne Landesversammlung in Hessen schloß sich an.

Im Oktober 1986 begann die Staatsanwaltschaft Hanau gegen die Hanauer Atomanlagen zu ermitteln. Sie erhob im Oktober 1986 Anklage gegen die drei wichtigsten Atombeamten im Wirtschaftsministerium sowie gegen den Geschäftsführer von Alkem. Fischer drohten Ermittlungen wegen Beihilfe zum illegalen Betrieb einer atomtechnischen Anlage durch Unterlassen. Er wußte längst, daß das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) ihm ermöglichte, die gefährlichen Plutoniumfabriken in Hanau zu schließen. Aber Fischer wollte Minister bleiben, koste es, was es wolle. Er mißachtete die Beschlüsse der Partei und gab Gutachten über Gutachten in Auftrag. Eines schlug gegen ihn zurück: das "Geulen-Gutachten" vom Februar 1987. Reiner Geulen, Rechtsanwalt in Berlin bestätigte: Die Hanauer Atomanlagen Alkem und Nukem sind illegal betriebene Plutonium-Produktionsstätten. Minister Fischer habe Einfluß auf den Betrieb und könne sein Einvernehmen gemäß ¤¤ 4 ff BImSchG verweigern. Auch das Gewerberecht gebe ihm Möglichkeiten zu handeln. Fischer geriet unter Druck und riß, wie so oft, das Maul weit auf. Er kündigte auf einer grünen Landesversammlung seinen letzten Rechenschaftsbericht für den Fall an, daß die SPD bei ihrer Alkem-Entscheidung blieb. Ministerpräsident Börner sah die Rede und feuerte seinen Minister. Fischer war bleich wie nie.

In der Bundespartei wurde Fischer uns, seine linken Gegner, nicht los. Jeder Abwahlantrag scheiterte. Jeder Versuch, die Partei auf reformistische Linie zu bringen, wurde mit Blamagen bezahlt. Man brauchte andere Methoden. Man inszenierte eine Finanzaffäre, warf dem Bundesvorstand Veruntreuung von Parteigeldern vor und spielte Spiegel, Bild am Sonntag und der Staatsanwaltschaft Unterlagen zu.

Jedes Medium, das den Grünen das Linkssein austreiben wollte, griff zu. In den Archiven läßt sich diese einzigartige achtmonatige Schlammschlacht nachlesen (April 1988 bis Dezember 1988). Wieder intervenierten taz, Spiegel und Frankfurter Rundschau in der vordersten Reihe. Nach einem Jahr war die Partei mürbe und verweigerte dem Bundesvorstand im Dezember 1988 mit knapper Mehrheit das Vertrauen.

Wir zeigten uns selbst bei der Staatsanwaltschaft an, gaben Prüfungsaufträge an unabhängige Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Alle sprachen uns (später) frei. Es gab nicht einmal einen staatsanwaltlichen Anfangsverdacht, daß im Bundesvorstand Geld veruntreut worden war. 1989 gab die taz zu, daß die Intrige als "Hebel" benutzt worden war, "um eine die Partei lähmende Frontstellung aufzubrechen und neue Mehrheiten zu erringen, die in der politischen Debatte nicht zu erzielen waren. Die Rechnung ging auf (...). Zugleich bereicherte die Affäre das Instrumentarium der Grünen um das Mittel der Intrige." Dieses bemerkenswerte Geständnis - auch die Rolle der taz - fehlt selbstverständlich in der Pro-Grünen-Broschüre "Die grüne Gefahr", mit der die taz jetzt zugunsten der Grünen in den Bundestagswahlkampf eingreift

- Fischers heutige Mehrheit beruht auf einem Betrug.

Als die Partei noch linker war, mit einem mehrheitlich radikal linken Bundesvorstand an der Spitze, hatten die Grünen ihr bis heute höchstes Wahlergebnis: 8,3 Prozent (1987). Der Erfolg des realpolitischen Siegeszugs - nach der "Wiedervereinigung" und dem Auszug der Hamburger ÖkosozialistInnen -, war das Wahlergebnis von 1990: 4,8 Prozent. Heute hat die Nachfolgepartei der FDP um die Fünf-Prozent-Hürde zu kämpfen.

Wer anders als die Grünen könnte das alternative, verbürgerlichte Restpotential der Republik so erfolgreich in die herrschenden Verhältnisse integrieren? Niemand sonst hätte frühere Linke, Pazifisten und Antimilitaristen auf den Kurs der neuen deutschen Kampfgemeinschaft schleppen können. Nur die Grünen konnten im Wahlkampf 1998 behaupten, sofort aus der Atomenergie aussteigen zu wollen, aber gleichzeitig die Modernisierung der Atomenergie betreiben: Verlängerung der Laufzeiten auf 25 Jahre, "Ausstiegsfrist" bis zu 14 Jahren, Schweigen zum Euroreaktor von Framatome und Siemens, kein Widerstand gegen die Atomfusion, die Zukunftsoption des Atomkapitals. Eine Partei der alternativen Modernisierung der Atomenergie.

Die Aufregung in manchen Kreisen ist heute groß, weil die CDU die Festnahme von Hans-Joachim Klein nutzt, um Fischer und Cohn-Bendit eine reinzuwürgen. Aber wer hat ihnen die Vorlage geliefert? Warum fragt niemand, warum Klein sich - offensichtlich auf Anraten seiner alten Spontifreunde - ausgerechnet kurz vor den alles entscheidenden Bundestagswahlen stellen sollte? Waren die so sicher, daß sie einen grünen Außenminister haben würden, der vereint mit dem grünen Landesjustizminister Plottnitz, den alten Kumpel raushauen würde? Vertraute Klein etwa darauf? Oder war es nicht vielleicht so, daß der Emigrant der Bauer sein sollte, mit dem die beiden Oberspontis vor den Wahlen den Herrschenden noch einmal vorführen wollte, wie meisterlich man sich aufs Befrieden linker Opposition versteht? Ist es dem reaktionären Teil des Staatsapparates zu verdenken, wenn der die List durchschaut und den schönen Plan vereitelt?

Cohn-Bendit wütet gegen Christian Schmidts Buch "Wir sind die Wahnsinnigen", weil untere CDU-Chargen die Geheimnisse früherer Spontijahre für den Wahlkampf nutzen. Fällt denn niemandem auf, daß die oberen CDU-Etagen vornehm schweigen? Wundert sich keiner, daß ausgerechnet das BKA Fischer gegen alte Anwürfe verteidigt? Andere Linke, die mal ein Flugblatt für die Zusammenlegung von Gefangenen aus RAF und 2. Juni unterschrieben oder gegen die Haftbedingungen protestiert haben, erfuhren soviel Fürsorge nie, manche haben bis heute keinen Job. Außenminister können sie schon gar nicht werden. Wem nützt Fischer?

In den letzten zehn Jahren hat sich ein Netz von grünen und grünnahen Amigos und Amigas ausgebreitet, das Fischers Einfluß vorbereitet, absichert, und jeden denunziert und stigmatisiert, der ihn von links kritisiert. Viele von ihnen sind ehemalige RedakteurInnen und AutorInnen des Pflasterstrand: der verbitterte Konvertit Reinhard Mohr, der früher Fischer von links kritisierte und heute für den Spiegel Fischer-Kritiker wie Christian Schmidt niedermachen darf. Albert Sellner (Lektor), der stets schrieb, was Cohn-Bendit von ihm verlangte. Elisabeth Kiderlen (Kulturchefin der Badischen Zeitung), Edith Cohn (stern-Autorin), Matthias Horx ("Trendforscher"), Cora Stephan, Thomas Schmid (Die Welt), Thomas Hartmann, Klaus-Peter Klingelschmitt (taz Frankfurt/Main) und viele andere.

Braver Adlatus ist auch Tom "Ärmelschoner" Koenigs. Der ehemalige grüne Stadtkämmerer redet nicht so gern über Kürzungen von Sozialleistungen und städtischen Stellen und auch nicht über Zwangsarbeit für Sozialhilfeberechtigte. Margarethe Nimsch (Ex-Ministerin) stolperte über ihre "Cousinenwirtschaft" und begreift bis heute nicht, weshalb sie Steuergelder nicht ohne Ausschreibung an grüne Freundinnen geben darf. Da ist Matthias Beltz (Kabarettist), der 1985 die linken Grünen mit Nazis verglich ("alternativer Volksgerichtshof") und so Fischer half, Minister zu werden. Ralf Scheffler, Chef der Batschkapp und des subventionierten "Nachtleben", der 1997 die rechtsextreme Dark Wave-Gruppe Death of June auftreten ließ und über antifaschistische Kritiker herfiel.

Nicht zu vergessen Johnny Klinke, der Chef des 1988 gegründeten Varieté-Theaters Tigerpalast und ehemaliges Mitglied des RK. Während bis heute Jugendzentren in Frankfurt Stück für Stück das Geld gestrichen wird, wurde Fischers friend großzügig bedient. Der Tigerpalast erhielt von Wirtschaftsminister Steger (dem Nukem/Alkem-Lobbyisten) 700 000 Mark Kredit, vermutlich zinsfrei. Die Stadt Frankfurt gab zwei Millionen Mark für den Umbau. Später wurde der Tigerpalast mit einer halben Millionen Mark jährlich von AEG gesponsert, seit 1996 von der Henninger-Brauerei. Der "urbane Citoyen" Klinke wurde zum Vorzeigegeschäftsmann von La Familia. Aber der exotische Tiger ist nur ein deutscher Goldhamster. Als der Kabarettist Heinrich Pachl einige Scherze zum Tode von Lady Di machte, entschuldigte sich Klinke bei Bild.

Mit seinem Freund Udo Corts, dem CDU-Dezernenten für Ordnung, einem lautstarken Befürworter der Vertreibung von Wohnsitzlosen und Bettlern aus der Frankfurter Innenstadt, kämpft Johnny Klinke heute gegen die "Hegemonie der Nachtruhefraktion" für immer längere Kneipenöffungszeiten. Auch dort wo Menschen wohnen, schlafen und dummerweise früh aufstehen müssen, so sie noch Arbeit haben, sollen die Kneipen die ganze Nacht aufhaben. Bürgersteige für Menschen, Plätze als Freiräume in einer Stadt? Nein! Klinke verlangt "freies Parken" überall in Frankfurt. Dann blüht sein Geschäft. Eine Bauunternehmermafia könnte eine Kleinstadt nicht fester im Griff haben.

Und die Grünen? "Realpolitik" sollte wahrhafte Veränderungen bringen. Mit dieser Verheißung wurden gegen Linke intrigiert, die Partei betrogen, das Programm zerbröselt, die Strukturen geschliffen. Es gibt keine "realpolitischen" Erfolge. Das Experiment ist gescheitert, teuer bezahlt mit dem Verlust einer zeitweise emanzipatorisch-linken Organisation. Für Fischer haben die Grünen ihren Zweck erfüllt. Aus seiner Partei hört Fischer heute einen "Schrei nach Führung", wie er ihn noch nie zuvor erlebt habe. Aus einem rebellischen, emanzipatorischen, staatsfernen Haufen wurde eine autoritär strukturierte bürgerliche Partei. Der Pate mit dem kleinkarierten Siegelring schafft immer mehr Posten, Beziehungen und Knete heran. Dafür läßt sich die Partei, einschließlich der sogenannten Linken, nach seinem Willen formen. Die kommende Strukturreform wird die letzten demokratischen Krümelchen beseitigen: die Trennung von Amt und Mandat, die Quotierung. Fischer will Parteivorsitzender werden, Außenminister sowieso.

Falls sich irgendwelche sogenannten Linken zieren, werden sie mit Posten zum Schweigen gebracht: "Wir schütten einfach Gold in die Rachen, das minimiert den Durchknallfaktor erheblich." Darin haben Fischer und seine Freunde viel eigene Erfahrung. Schon als Minister in Niedersachsen stimmte Jürgen Trittin fast allen umweltzerstörerischen Großprojekten zu. Die Realos wollen mehr Posten, mehr Einfluß, mehr Geld. Es gibt neue Planspiele. Der Einstieg in Schwarz-Grün wird sich schneller vollziehen als der Ausstieg aus der Atomenergie.

Christian Schmidt: "Wir sind die Wahnsinnigen". Joschka Fischer und seine Gang. Econ, München / Düsseldorf 1998, 319 S., DM 39,80