Die Welt braucht mehr Massenproduktion

Mach es selbst oder stirb!

In der Krise wird das Selbermachen wiederentdeckt und als Basis einer humaneren Wirtschaftsform gepriesen. Allerdings bekommt der alte Punk-Slogan »DIY or Die« dabei eine ganz neue Note.

Regale bauen, Pullis stricken, Marmelade kochen: Weil sich in der Krise jeder selbst helfen soll, wird die Wiederkehr des Selbermachens gefeiert. Toll! Wie bei Oma! Die Oma hatte freilich keine Ahnung, dass ihre vom nächtlichen Nähen kaputten Augen die »Revolution des Selbermachens« vorwegnahmen – einer Revolution, von der manche Enkel nun annehmen, sie werde sie von der entfremdenden Erwerbsarbeit befreien. Denn der »Prosument«, wie die Revolutionäre des Selbermachens den Bastler nennen, bastle selbstbestimmt und handle zu »fairen« Konditionen – wohl fast so »fair« wie die Oma auf dem Markt.
Nur handeln die Enkel im Internet, etwa auf Etsy.com oder DaWanda.com, wo jeder seinen Stand errichten kann, um Selbstgemachtes zu verkaufen. Die »persönliche Beziehung zwischen Käufer und Verkäufer« mache das »Wesen Etsys« aus, sagt der Etsy-Günder im Werbevideo. Eine Oma sagt: »Schön, dass die alten Handwerkstraditionen wiederkommen.« Etsy und DaWanda boomen, denn »immer mehr Menschen ­entdecken ihre kreativen Talente und stellen in Wohnzimmern, Werkstätten und Ateliers ein­zigartige Dinge her« – Millionen gebastelter Knöpfchen, Gürtelchen, Tischchen, Täschchen und Töpfchen.

Der Stil dieser Produkte sagt alles über die angebliche »Revolution des Selbermachens«. Gegen die individuelle Gestaltung der Waren wäre nichts einzuwenden, schließlich bringt die Einzigartigkeit der No-Logo-Waren nun mal mehr Distinktionsgewinn als der Kram von Nike. Das Problem ist aber, dass etwa die Bilder, die bei Etsy als »Kunst« verkauft werden, ungefähr so einzigartig sind wie die Tigerbaby-Bilder, die man bei Obi zwischen Badewannen und Bohrmaschinen findet. Die kreativen Nischenproduzenten basteln tatsächlich Ringe, die aussehen wie der Modeschmuck von Karstadt. Zum Massengeschmack der Selbermacher passen die Kätzchen auf den Sofakissen, die infantile Regressi­on, die sich mit der historischen paart: die omahaften Rüschen, die Wiederkehr des Ornaments. Weiße Rüschen an neonfarbene Unterhosen nähen: coole Scheiße! Wie kreativ ist das denn?
Fast alles, was hier gebastelt wird, ist Nippes. Wer produziert, was man wirklich braucht? Eisenbahnschienen, Wasserleitungen, Siliziumchips? Auch wenn die digitale Revolution vorgaukelt, wir verfügten mit unseren Laptops schon über alle Produktionsmittel, ist es bei den meisten Dingen, die unsere Zivilisation am Laufen halten, mit Laptop, Nähmaschine oder Lötkolben nicht getan. Die Selbermacher erfinden zwar allerhand Ergänzungen für die Segen der Zivilisation. Die selbst verdanken sich aber der Industrie, die – wie man betonen muss – glücklicherweise so gut funktioniert, dass sie massenhaft Arbeitskräfte freisetzt. Dass die jetzt ihr Geld mit dem Gebastel unnützen Krimskrams verdienen müssen, daran ist bekanntlich nicht die Massenproduktion schuld, sondern eine komplett irre Gesellschaftsordung.

Statt des »Aufstands der Massen gegen die Massen­produktion« braucht die Welt einen Aufstand für mehr Massenproduktion, für mehr Maschinen, damit die endlich auch chinesischen Sweatshop-Opfern die Arbeit abnehmen. Denn Basteln bringt keinen Fortschritt. Wenn die Bastlerin merkt, dass sich ihre Stofftasche in Dackelform bestens verkauft, wird sie das Ding in Massen anfertigen oder das schlauerweise andere machen lassen. Wer in der Bastelökonomie Erfolg hat, dem droht entweder selbst stupide Massenproduktion oder er mutet sie anderen zu.
Die Bastelrevolutionäre halten das Selbermachen jedoch für einen »listenreichen und lustvollen Kampf gegen globale Ausbeutungsverhältnisse«. Auf einem Bastelblog heißt es: »Was früher die Menschen vielleicht aus Geldnot oder Zweckgedanken an die Nähmaschine trieb, wird heute durch einen kreativen und künstlerischen Ansatz ersetzt. Diese Entwicklung finde ich sehr interessant, bin gespannt, was sich da noch tut!«
In der Tat tut sich da einiges, nur geht das nicht immer Richtung Bastelspaß. Old-Q.de ist ein »Internet-Marktplatz Marke Eigenbau, exklusiv für Mikro-Unternehmen von Menschen über 40«. Old-Q will »Menschen mit viel Erfahrung« zur Selbständigkeit verhelfen: »Gerade in der Lebensmitte und aufwärts ist dies eine große Chance – oftmals die einzige, da Älteren der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt und Rentenlücke und Altersarmut drohen«, wirbt das Portal. Angesichts dessen scheint das in der Krise neu entdeckte Do-It-Yourself so befreiend wie Sweatshops oder Omas nächtliche Heimarbeit an der Nähmaschine.
Das DIY des Punk war mattschwarz und voller Nieten. Das DIY von heute ist rosa und hat weiße Rüschen. Die neue Harmlosigkeit ist bezeichnend. Die in der Krise wieder entdeckte Drohung »DIY or Die« richtet sich nicht mehr gegen Konsumkids, sondern an alle potenziellen Loser. Du kannst dir den Zahnarzt nicht leisten? Nimm die Beißzange. Mach es selbst oder stirb.