Altlasten aus Österreich

Neben der Creditanstalt in Wien ist jetzt der Frankfurter Degussa-Konzern mit Entschädigungsansprüche von Holocaust-Überlebenden konfrontiert

Kurzes Interview, große Wirkung: Zu Beginn der vergangenen Woche kündigte Edward Fagan, US-Anwalt von rund 30 000 Überlebenden des Holocaust, an, sich nun intensiv der Rolle österreichischer Banken während der Nazi-Zeit zu widmen. Besonders Österreichs zweitgrößtes Kreditinstitut, die Creditanstalt (heute Tochter der Bank Austria), hat es Fagan angetan. Per Ultimatum, das am vergangenen Donnerstag um sechs Uhr auslief, verlangte Fagan von Creditanstalt-Chef Erich Hampel die unverzügliche Aufnahme von Verhandlungen. Doch Hampel pochte darauf, daß seine Bank sich vom Ultimatum nicht einschüchtern lassen werde. Allerdings bot Hampel Fagan "jede Kooperation" an.

Nun geht der stolze Bankier das Risiko ein, sich mit Fagan vor Gericht zu treffen und in einen langwierigen, teuren und publicitymäßig ruinösen Prozeß verwickelt zu werden. Der böse Onkel aus Amerika hat schon angekündigt, in den nächsten Tagen Klage beim New York Southern District Court einzubringen. Dabei stützt er sich auf die Erkenntnisse, die von der Steinberg-Kommission bei der Durchleuchtung der Deutschen Bank gesammelt wurden und die Creditanstalt als willige Erfüllungsgehilfin der Berliner Nazi-Bankiers ausweisen.

Kurz nach dem "Anschluß" Österreichs wurde die Creditanstalt Tochtergesellschaft der Deutschen Bank und wirkte zwecks Erhaltung eines gewissen Einflusses eifrig als Drehscheibe diverser Geldtransfers von Berlin in die Filiale der deutschen Großbank in Istanbul. Zwischen 1942 und 1945 transferierte die Creditanstalt fünf Tonnen Gold der Deutschen Bank an den Bosporus. Davon stammten 747,2 Kilogramm aus jüdischem Besitz. Nach Erkenntnissen der Steinberg-Kommission stammten 3,2 Kilo Gold aus den Zahnkronen von 12 000 Juden, die im Oktober 1941 im ukrainischen Stanislaus ermordet worden waren.

Entscheidend für den Prozeß wird nun sein, ob die Creditanstalt bloß unbezahlter Erfüllungsgehilfe der mörderischen Goldtransfers war - oder für ihre Bemühungen von der Zentrale in Berlin honoriert wurde.

Doch die Klärung dieser Angelegenheit könnte äußerst zeitraubend werden, weil die Bankmanager sich angeblich nur noch lückenhaft erinnern. Mehrmals hatte die Steinberg-Kommission versucht, die Creditanstalt zur Herausgabe der Archiv-Dokumente zu bewegen. Ohne Erfolg. Die Bankiers behaupteten, es gebe überhaupt keine Archive aus der Zeit der NS-Herrschaft.

Während also die Creditanstalt auf Zeit spielt, könnte auf anderer Ebene der Weg vor den Kadi leichter fallen. Die New Yorker Anwältin Deborah Sturman arbeitet inzwischen an einer Klage gegen österreichische Industrieunternehmen, die vor 60 Jahren im Besitz der Creditanstalt standen und Zwangsarbeiter beschäftigt hatten. Sturman möchte für die überlebenden Zwangsarbeiter Entschädigungszahlungen einklagen und beschäftigt sich nun mit Österreichs Industriegiganten Steyr-Daimler-Puch.

Den Aufstieg zur Oberliga der heimischen Industrie hat Steyr nämlich der Fürsorge durch die deutsche Wehrmacht zu vedanken. Während der Jahre 1938 bis 1945 stieg der Umsatz von eher bescheidenen 50 Millionen Reichsmark auf 450 Millionen. Schließlich brauchte sich die Firma als Hersteller von Gewehren, Kugellagern und Panzern keine Sorgen um eine schlechte Auftragslage machen. Förderlich war auch, daß der ehemalige Generaldirektor des österreichischen Konzerns schon seit den zwanziger Jahren ein persönlicher Freund Hermann Görings war. Dieser sorgte für eine drastische Reduzierung der Personalkosten, indem er in sieben Jahren etwa 30 000 KZ-Häftlinge und weitere 25 000 Zwangsarbeiter in den Fertigungshallen arbeiten ließ.

Die Manager der Creditanstalt berufen sich darauf, daß Steyr-Daimler-Puch gleich nach dem "Anschluß" Österreichs verstaatlicht wurde und die Bank erst nach Kriegsende wieder die Mehrheitsanteile an dem Werk erhielt.

Doch diese eigenwillige Geschichtsschreibung wird von Historikern widerlegt. So sagt etwa der Wiener Historiker Bertrand Perz, Autor eines Buches über Steyr-Daimler-Puch, gegenüber Jungle World: "Es ist richtig, daß Steyr und andere Firmen in die Herman-Göring-Werke eingebracht und damit verstaatlicht wurden." 1942 sei es allerdings zu einer Reprivatisierung gekommen, und die Creditanstalt erhielt 49 Prozent der Anteile wieder zurück.

Gerade in der Zeit zwischen 1943 und Kriegsende wurden Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge bei Steyr-Daimler-Puch exzessiv ausgebeutet. Weil Luftangriffe auch die Industriekomplexe in Österreich bedrohten, wurde bei Steyr-Daimler-Puch die "Operation Quarz" begonnen. Die kriegswichtige Produktion sollte in einen 65 000 Quadratmeter großen Stollen in die Nähe der niederösterreichischen Stadt Melk verlagert werden. Bei den Arbeiten an diesem Stollen starben schätzungsweise 5 000 Zwangsarbeiter, weitere 5 000 KZ-Häftlinge wurden anschließend in den KZ ermordet.

Selbst wenn die Creditanstalt als Steyr-Teilhaber feststeht - die heutigen Bankiers versuchen nun einen anderen Kniff, um sich der Verantwortung zu entledigen. Schließlich sei die Creditanstalt nun tatsächlich nicht mehr Eigentümerin der Steyr-Daimler-Puch-Werke. Vor einigen Monaten übernahm der austro-kanadische Millionär Frank Stronach den Konzern. Nach Ansicht der Bank seien auch die historischen "Altlasten" verkauft worden. Stronach bestreitet dies natürlich. Nun droht ein langer juristischer Dreikampf zwischen Bank, Stronach und Holocaust-Überlebenden.

Außer mit der österreichischen Creditanstalt beschäftigt sich der Anwalt Edward Fagan jetzt auch mit der deutschen Degussa AG. Vier Holocaust-Überlebende hatten am Freitag vergangener Woche in den USA eine Sammelklage gegen das Frankfurter Unternehmer eingereicht. Degussa habe das Zahngold von Holocaust-Opfern eingeschmolzen. In der Klageschrift heißt es weiter, der Konzern habe konfiszierte jüdische Firmen erworben und Anteile der Firma Degesch, Herstellerin des Giftgases Zyklon B, gehalten. Sein Ziel sei, sagte Fagan, daß den Klägern wegen der damals erzielten Profite der Besitz der Degussa übertragen wird. Auch hier ist keine schnelle Einigung zu erwarten.

Kooperativer zeigte sich hingegen die italienische Assicurazioni Generali in Triest. Als erste europäische Versicherung einigte sie sich mit den Anwälten von Holocaust-Überlebenden auf die Zahlung von 100 Millionen Dollar. Der israelische Abgeordnete Kleiner bezeichnete die Zahlung als "Kleingeld", da dies gerade mal 2,5 Prozent der eigentlichen Schadenssumme sei.

Dennoch schwächt Generali durch die Einigung die Position der anderen europäischen Assekuranzen: Generali wird aus der Kommission von 15 Versicherungen aussteigen, die sich noch zwei Jahre Zeit lassen möchten, die Forderungen Tausender Geschädigter zu prüfen.