Blümende Landschaften

Mit den neuen Billig-Jobs nimmt die Zahl der "working poor" weiter zu

Wer als Hilfsarbeiter oder Germanistik-Absolvent jahrelang in den Statistiken des Arbeitsamtes verschwand, wird sich vielleicht bald vor Angeboten nicht mehr retten können. Das erhofft sich zumindest Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU), der vergangene Woche sein Modell des Kombi-Lohns präsentierte. Mit seiner Initiative will er schwer vermittelbaren Langzeitarbeitslosen "wieder eine Chance auf dem Arbeitsmarkt" eröffnen. Das Konzept sieht vor, niedrig bezahlte Arbeit so weit aufzubessern, daß die Einkommen der Betroffenen um ein Drittel über der bisherigen Arbeitslosenhilfe liegen.

Blüm hofft, daß der Kombi-Lohn ganz neue Beschäftigungsfelder im Niedriglohnbereich erschließt, etwa in privaten Haushalten oder im Handel. Bis zu 150 000 neue Jobs könnten damit geschaffen werden. Der Kombi-Lohn garantiere allerdings keine Dauerarbeitsplätze, sondern sei ein "vorübergehender, auf einen klaren Zeitraum begrenzter Anreiz", auch schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen.

Die CDU zielt mit ihrem Modell auf die mehr als eine Million EmpfängerInnen von Arbeitslosenhilfe und die 700 000 Langzeitarbeitslosen, die Sozialhilfe beziehen. Die Finanzierung des Kombi-Lohns soll ausschließlich aus Mitteln, die bei der Bundesanstalt für Arbeit und bei der Sozialhilfe eingespart werden, erfolgen. Nur neugeschaffene Jobs werden subventioniert, betonte Blüm, um "Mitnahmeeffekte" zu verhindern. Unternehmer könnten schließlich auf die naheliegende Idee kommen, ihre Angestellten zu entlassen, um sie im Anschluß wieder zu Dumping-Löhnen einzustellen.

Der Kombi-Lohn drücke die ohnehin schon niedrigen Tarife noch tiefer, befürchten jetzt die Gewerkschaften. Das Modell, das die CDU-Sozialpolitiker Heiner Geißler, Ulf Fink und Bundesarbeitsminister Norbert Blüm in Zusammenarbeit mit Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) konzipiert haben, wird vermutlich auf längere Sicht das Lohnniveau der unteren Tarifgruppen um 20 bis 30 Prozent senken, so wie es sich der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) und Arbeitgeberpräsident Wolf-Dieter Hundt schon seit längerem wünschen. Die Unternehmen haben keine Bedingungen zu erfüllen, um die Job-Subventionen zu erhalten.

"Patent-Rezepte gibt es nicht", erklärte Blüm lapidar auf die Kritik. Neue Idee müßten erprobt werden, um endlich mehr Jobs zu schaffen. Doch neu ist das Blüm-Rezept nun wirklich nicht. Bereits 1996 wurde mit der Reform des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) sogenannte "Prämienarbeitsplätze" auf kommunaler Ebene für Sozialhilfeberechtigte geschaffen. Die Sozialämter haben innerhalb eines Jahres gemeinsam mit den Unternehmern 200 000 derartige "Arbeitsplätze" ausgewiesen. Die privaten Arbeitgeber sparen seitdem nicht nur ihre Sozialbeiträge ein, sondern auch einen Teil des Lohnes, der für neu eingestellte Langzeitarbeitslose bereits 20 Prozent unter dem alten Gehalt liegen kann. Mit dem Kombi-Lohn-Modell wird dieses Modell auf Empfänger von Arbeitslosenhilfe ausgedehnt - staatlich subventionierte Zwangsarbeit zu Dumpingpreisen für die Industrie.

Für die Langzeitarbeitslosen bedeutet der Kombi-Lohn eine weitere Verschlechterung. Ein Qualifikationsschutz existiert für sie schon lange nicht mehr; bereits nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit gilt jeder Job als zumutbar, wenn ein Einkommen in Höhe des Arbeitslosengeldes bzw. der Arbeitslosenhilfe erreicht wird. Einkommenseinbußen von 30 bis 50 Prozent netto sind hinzunehmen.

Die Erwerbslosen haben zudem kaum eine Möglichkeit, die Kombi-Jobs abzulehnen, ohne eine zeitweilige Streichung ihrer Hilfe zu riskieren. Sollten die Kombi-Löhner dann nach zwei Jahren wieder auf der Straße stehen, bleibt ihnen nur noch der Antrag auf Sozialhilfe. Und die wird voraussichtlich unter dem heutigen Niveau liegen. Ab Juli 1999 tritt das sogenannte Lohnabstandsgebot in Kraft: "Arbeit muß sich wieder lohnen" - damit die Niedriglohn-Jobs weiterhin attraktiv bleiben, wird der Sozialhilfesatz gesenkt, um einen entsprechenden Abstand einzuhalten (Jungle World, Nr. 6/98).

Schon heute lebt jeder neunte Beschäftigte in Deutschland unterhalb des Existenzminimums. Statt zu einer Abschaffung der Arbeitslosigkeit führt diese Art der Lohnsubventionen zu einer steigenden Zahl von working poor, d.h., von Beschäftigten, die einen Vollzeitjob haben, deren Einkommen aber nicht zur Bestreitung der Lebenshaltungskosten reicht. Denn die Lohnsubventionen sollen ja nicht ewig gelten, sondern an das neue, von der CDU bis zur SPD verfochtene "Trampolinmodell" des Sozialstaates angelehnt sein: Die Kombi-Hilfe gibt es für maximal zwei Jahre, wer sich dann nicht alleine mit dem eingeführten Niedriglohn über Wasser halten kann, wird in die Armut ohne Arbeit zurückgeschickt.

Auch ein Regierungswechsel nach den Bundestagswahlen würde daran vermutlich wenig ändern. Die Grünen lehnen das Modell zwar ab, doch die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits dafür plädiert, in einem Modellversuch für gering qualifizierte Tätigkeiten die Sozialversicherungsbeiträge staatlich zu fördern. Der stellvertretende Vorsitzende und Sozialexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Ottmar Schreiner, unterstützt wie Gerhard Schröder die Pläne der jetzigen Regierung: "Im Ziel sind wir alle einig. Wir brauchen mehr einfache Arbeitsplätze."