Talkum, Tod und Tinto

Nach dem Grubenunglück im österreichischen Lassing sorgte sich die Betreiberfirma um ihr Bergwerk

Bei Hilfskräften und Medienmeute lagen am Freitag der vergangenen Woche die Nerven blank. Wieder mußte der Zeitplan über den Haufen geworfen werden. Dabei war man in der Nacht von Donnerstag auf Freitag zügig mit den Rettungsbohrungen vorangekommen. Spätestens Freitag vormittag werde man Gewißheit über das Schicksal der seit zwei Wochen in 130 Meter Tiefe verschütteten zehn Bergleute haben, gab die Einsatzleitung in Lassing bekannt.

Doch Freitag nachmittag muß die Bergung wieder wegen Pleiten, Pech und Pannen gestoppt werden. Zunächst fällt die Luftkühlung für den Bohrer aus, wenige Stunden später werden Risse in den Rohren entdeckt, die den Rettungsschacht auskleiden. Und es fehlt an Werkzeug: aus dem niedersächsischen Celle muß per Hubschrauber eine Fräse eingeflogen werden.

Erst am Sonntag abend gelingt es, eine Kamera in den Hohlraum hinabzulassen, in dem die Bergleute vermutet werden. Das Ergebnis ist enttäuschend. Auf den lichtschwachen Aufnahmen sind nur technisches Gerät, Schlamm und Wasser zu erkennen. Auch eine zweite Suche mit Mikrofon und Videokamera, diesmal mit stärkeren Scheinwerfern, bringt keine Hinweise auf Überlebende.

Bis dahin hatten sich Hoffnung und Resignation in Lassing die Waage gehalten. Berechnungen, wonach die Luft an dem Aufenthaltsort der zehn Bergleute schon längst aufgebraucht sein müsse, wurden durch Messungen einer angeblichen Luftzirkulation in 130 Meter Tiefe wieder revidiert.

Die Geduld der Lassinger Bevölkerung jedenfalls schien vergangene Woche überstrapaziert. Am Sonnabend wurde mit Transparenten für eine Beschleunigung der Hilfsarbeiten demonstriert.

Viele Einwohner vermuten außerdem, das Unglück sei vermeidbar gewesen. Schuld an dem Schlamassel könnte die Leitung des Lassinger Bergwerkes gewesen sein. Sie habe nach dem Unfall des Bergmannes Georg Hainzl weniger an dessen Rettung, sondern an den Erhalt der Grube gedacht.

Hainzl wurde am 17. Juli in 60 Meter Tiefe im Jausenraum des Bergwerkes durch einen Schlammeinbruch verschüttet. Eine Situation, die nach einer ersten Analyse des Managements leicht in den Griff zu bekommen gewesen wäre. Hainzl retten, das war kein Problem, das Bergwerk retten schien aber wichtiger zu sein. Die Firmenleitung schickte ohne Absprache mit der österreichischen Bergbehörde zehn Bergleute in die Tiefe. Weit entfernt vom Jausenraum, in dem Hainzl gefangen war, begannen sie mit der Sicherung der anderen Stollen. Gegen 22 Uhr jedoch bildete sich an der Oberfläche ein 150 Meter breiter und 30 Meter tiefer Krater, drei Häuser wurden mitgerissen. Unter dem Wasser und den Geröllmassen wurden die zehn Helfer verschüttet.

Warum aber stürzte der Stollen überhaupt ein? Waren es wirklich nur die starken Regenfälle oder waren die Stollen zu schlecht abgestützt? Wurde in der Grube mehr abgebaut als genehmigt? In Lassing wird behauptet, die Naintsch Mineralwerke GmbH habe ungenehmigte und ungenügend gesicherte Schächte anlegen lassen. Und der Spiegel spekuliert über illegale Lagerung von Giftmüll in entlegen Stollen.

Während die zehn Männer am Nachmittag des 17. Juli mit der Sicherung des Bergwerkes beschäftigt waren, sah die Bergwerksleitung offenbar keine Notwendigkeit, Behördenhilfe in Anspruch zu nehmen. Die in solchen Fällen zuständige Bergbehörde wurde erst am Tag darauf hinzugezogen, vorher mühte sich allein die örtliche Feuerwehr um die Suche nach den Verschütteten.

Die Naintsch Mineralwerke GmbH fördert in Lassing vor allem Talkum, ein Mineral, das unter anderem zu Körperpuder verarbeitet wird. Die seit Jahrzehnten in Lassing tätige Firma ist eine 100prozentige Tochtergesellschaft der französischen Luzenac-Gruppe, der europäischen Filiale des Konzerns Rio Tinto. Mit rund 50 000 Beschäftigten weltweit gehört der Multi zu den zehn größten Bergwerksunternehmen. Besonders in Südamerika und der Dritten Welt arbeitet der Konzern daran, Löcher in alle möglichen Berge zu bohren und wertvolle Substanzen rauszuholen. Dabei bedient sich Rio Tinto der Unterstützung von Diktatoren rund um den Erdball. 1937 begann das europäische Engagement von Rio Tinto in Spanien. Der Putschgeneral Francisco Franco half damals bei der reibungslosen Geschäftsabwicklung: Er ließ streikende Bergarbeiter von Rio Tinto vor ein Kriegsgericht stellen. Kollektives Urteil: Tod durch Erschießen.

In den siebziger und achtziger Jahren buddelten die Rio Tinto-Leute im Südafrika angeschlossenen Namibia Uran aus dem Berg und fanden in westlichen Industriestaaten dankbare Abnehmer - obwohl eine Uno-Resolution solche Exporte aus dem Apartheidstaat Südafrika verbot. Auch mit dem chilenischen Diktator Augusto Pinochet verband Rio Tinto eine gewinnbringende Freundschaft. Der Konzern stieg in Chile erst ein, als Pinochet den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende aus dem Präsidentenpalast von Santiago geschossen hatte.

Die hohen Gewinnspannen verdankt Rio Tinto auch seiner budgetschonenden Personalpolitik. Noch Ende Mai dieses Jahres mußte der Multi bei einem internationalen Hearing in London zugeben, bei der Rekrutierung von Beschäftigten kein Mindestalter zu kennen. Kinderarbeit gehört in den Bergwerken und Minen von Rio Tinto zum Alltag.

Dabei gibt sich der Konzern der Öffentlickeit gegenüber meist schweigsam, so auch in Lassing. Bewohner des Ortes berichteten einen Tag, bevor Hainzl verschüttet wurde, von Sprengungen im Bergwerk. Bis Redaktionsschluß dieser Ausgabe weigerte sich die Geschäftsführung jedoch, den Anlaß und Ort der Sprengungen bekanntzugeben.