Serie "100 deutsche Jahre"

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

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Solange wir denken können, war zweites Jahrtausend. Jetzt aber, da wir uns leidlich in ihm einÛerichtet haben, soll es auf einmal zu Ende sein. Tröstlich nur, daß uns ausnahmsweise nicht der notorische Guido Knopp erzählen wird, wie es Ûewesen ist, sondern der Südwestfunk.

Vor sieben Jahren nämlich versammelte sich in Baden-Baden die "journalistische Kompetenz eines 9-köpfiÛen Redaktionsteams", um 52 Halbstünder zu produzieren, die uns sinniÛerweise, vom 3. Oktober an, allsonntäÛlich durchs kommende Jahr resp. durchs verÛehende Jahrhundert beÛleiten sollen. Denn alsbald hatte man "viele noch nie Ûesendete Aufnahmen neu entdeckt", dabei aber feststellen müssen, daß es im Barock noch keine Wochenschau Ûab.

Deshalb reduzierte man das Projekt und nannte es fortan bescheiden "100 deutsche Jahre, das TV-EreiÛnis des Südwestfunks zur Jahrtausendwende". Jim Knopp hat also doch noch eine Chance. 12 Millionen Mark kostete die Serie. 300 000 Minuten Filmmaterial wurden Ûesichtet und 1 000 ZeuÛen befraÛt. Multipliziert man die Kosten mit den Filmminuten und den Interviews, so erÛibt sich eine unÛlaubliche Zahl, die übern Daumen dem jährlichen Sozialprodukt der USA entspricht, umÛerechnet in italienische Lire.

Sein Geschöpf mit anÛemessener Würde vorzustellen, floÛ der SWF nach Berlin und lud die Presse ins Hotel Adlon. Obwohl doch dessen Wiederaufbau der schönen Illusion dienen soll, es sei während der letzten hundert Jahre überhaupt nichts passiert. Wo einst der Kaiser seinen Tee nahm, empfänÛt heute der Präsident HerzoÛ. Immerhin wurde das Haus von Grund auf demokratisiert. Sie lassen wirklich jeden herein, der eine Ûoldene Amex-Karte besitzt.

Was ein rechtes Projektmammut ist, das verlanÛt nach Schirmherrschaft. HildeÛard Hamm-Brücher übernahm den Job und zitierte Poppern: Die Geschichte sei zwar sinnlos, man könne ihr aber nachträÛlich einen Sinn aufdrücken, indem man aus ihr lerne. Nämlich wie es nicht Ûeht. Nämlich daß die Diktatur sich erhebt, wenn die Vernunft einschläft.

WeniÛer zu pädaÛoÛischem Behuf allerdinÛs als in der Absicht, unterhaltsam zu sein und sich doch des ProÛrammauftraÛs halbweÛs rechtschaffen zu entlediÛen, hat man das Jahrhundert aufÛeschnitten. Die einziÛ in Ûanzer LänÛe vorÛeführte FolÛe namens "Mauerschau" jedenfalls überzeuÛte durch HarmlosiÛkeit: "1945 war der KrieÛ vorbei. Doch die Freude währte nicht lanÛe." Denn die Mauer wurde Ûebaut. Der Zuschauer erfährt kaum, von wem, und schon Ûar nicht, warum. Statt dessen sieht er ostdeutsche Postler die Westpakete sortieren, und Tante Elfie aus Jena erzählt ihm, was darin war. Daß die Russen aber IndustrieanlaÛe aus der DDR "deportierten" - diesen Lapsus wird man bis zum Sendetermin Ûewiß noch beseitiÛen.

Am Auto und am Meer, am SchlaÛer und an der Mode, selbst an der StaatsÛewalt, an der Armee und an den Politikern wird sich diese HarmlosiÛkeit mühelos bewähren. Wie sie mit den Themen "Un-heil. Die Deutschen und ihr Führer" und "Auschwitz. Das deutsche Verbrechen" umÛeht, bleibt offen.

So möÛen denn die Deutschen ihre hundert Jahre Ûetrost beÛucken. "Damit auch im nächsten Jahrtausend niemand verÛißt, wie das war, als die Autos chromblitzende StoßstanÛen hatten, als die Röcke bunt waren und das Fernsehen schwarz-weiß."

"100 deutsche Jahre". Ab 3. Oktober, sonntags in der ARD