No walking

Der Oranier-Orden wurde bei seinem geplanten Marsch durch die von Katholiken bewohnte Garvaghy Road ausgebremst

Portadown ist die größte protestantische Festung im geteilten Nordirland. In dieser Stadt wurde am 22. September 1795 nach der Schlacht bei Loughgal der Oranier-Orden ins Leben gerufen. Frauen sind von der Aufnahme in den Orden ausgeschlossen, und die Mitglieder müssen schwören, nie eine Katholikin zu heiraten.

Jedes Jahr paradieren die Mitglieder des Oranier-Ordens über 3 000mal in Nordirland, um an den Sieg Wilhelms von Oranien über den katholischen Jakob II. im Jahr 1690 zu erinnern; und seit 1807 traben die Mitglieder der ersten Loge des Oranier-Ordens von Portadown zur leicht außerhalb des Städtchens gelegenen anglikanischen Pfarrkirche von Drumcree. Auf dem Rückweg ins Stadtzentrum wird die von Katholiken bewohnte Garvaghy Road entlangmarschiert. In einer von der britischen Regierung durchgeführten Umfrage aus dem Jahre 1996 haben sich 100 Prozent der dortigen Anwohner gegen den Marsch ausgesprochen.

Ende Juni hat die neue Schiedskommission für Paraden den Marsch durch die Garvaghy Road in Portadown verboten. Mit Hinweis auf die Ereignisse der letzten Jahre stellte der Vorsitzende fest: Die Konsequenzen eines weiteren erzwungenen Durchmarsches wären für die Beziehungen zwischen den beiden Konfessionen in ganz Nordirland verheerend.

Erwartungsgemäß reagierten Vertreter des Ordens und der protestantischen Parteien empört auf die Umleitung der Parade. Sie kündigten an, daß Mitglieder des Oranier-Ordens trotz Verbots wie in jedem Jahr auf ihrer üblichen Strecke marschieren würden. Notfalls würden sie wochenlang protestieren, bis ihnen der Marsch durch die Garvaghy Road gestattet werde. Der stellvertretende Großmeister des Ordens, David Burroughs, erklärte: "Ob es einen Tag, drei Tage oder 365 Tage dauert - es muß einfach sein."

Am Tag des Verbotes wurden 1 000 zusätzliche britische Soldaten nach Portadown eingeflogen. Das Areal rund um die Garvaghy Road wurde mit Stacheldraht, Straßensperren, Schützengräben und Eisengittern abgesperrt. In den vorangegangenen Nächten waren zehn katholische Kirchen sowie eine Schule in Brand gesteckt worden. Die Täter kommen mit hoher Wahrscheinlichkeit aus den Reihen der kleinen protestantischen Gruppe Loyalist Volunteer Force (LVF). Einen Tag vor dem umstrittenen Marsch wurden im Gegenzug zwei Versammlungshallen des Ordens angegriffen.

In den vergangenen Jahren hatten Katholiken die Garvaghy Road anläßlich der Oranier-Parade regelmäßig blockiert. 1995 erwarb sich der damalige lokale Unterhausabgeordnete David Trimble wegen seiner Teilnahme an einer erfolgreichen Belagerung der polizeilichen Absperrungen den Ruf eines Konservativen; wenige Monate später wurde ihm dies mit der Wahl zum neuen Vorsitzenden der Ulster Unionist Party (UUP) gedankt. Nach dem derart durchgesetzten Umzug tanzte Trimble triumphierend mit dem protestantischen Hardliner Ian Paisley auf der Garvaghy Road. Im Jahr darauf wurde ganz Nordirland von den 80 000 Mitgliedern des Oranier-Ordens lahmgelegt, um den Durchmarsch zu erzwingen. Und 1997 prügelten Polizei und Armee die Straße mitten in der Nacht frei, um den Weg zu sichern. Die Folge waren Krawalle in der ganzen Provinz.

David Trimble ist mittlerweile zum neuen nordirischen First Minister gewählt worden. Für ihn sind die Entscheidung zur Änderung der Marsch-Route und die darauf folgenden Angriffe auf die Kirchen ein schwerer Rückschlag: Neun der in Brand gesetzten Kirchen liegen im protestantischen Hinterland zwischen Belfast und Trimbles Wahlkreis Portadown. Kurz vor den Anschlägen waren Trimble und Seamus Mallon von der katholisch-nationalistischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDLP) auf der konstituierenden Sitzung des nordirischen Parlaments zu den Chefs der künftigen Regierung gewählt worden. Das Parlament hat die Aufgabe, das Friedensabkommen vom Karfreitag dieses Jahres umzusetzen.

Allein, schon nach der Parlamentswahl vom 25. Juni war Trimbles Autorität geschwächt. Seine UUP mußte mit 21,2 Prozent das schwächste Resultat seit ihrer Gründung im Jahr 1921 verbuchen. Erstmals wurde die UUP von der SDLP mit einem Stimmenanteil von 22 Prozent überholt. Nun bilden sich innerhalb der UUP erste Fronten gegen Trimble: Jeffrey Donaldson, der die sofortige Abrüstung der IRA als unabdingbar ansieht, droht, zusammen mit einigen anderen aus der Partei auszutreten, wenn Trimble - als First Minister von Nordirland - Gerry Adams in den Exekutivrat beruft. Adams ist Chef der IRA-nahen Sinn Féin, die sich mit 17,6 Prozent der Stimmen 18 Sitze in der Versammlung erobert hat, womit ihr in der künftigen Exekutive zwei Sitze zustehen. Und die IRA ist immer noch bewaffnet. Das Karfreitagsabkommen schreibt die Abrüstung aller paramilitärischen Gruppen innerhalb von zwei Jahren vor, doch soll die Entwaffnung im Rahmen der Abwicklung des gesamten Friedenswerks stattfinden.

Bei den Wahlen schloß die extremistische Democratic Unionist Party (DUP) unter Ian Paisley mit 18,1 Prozent der Stimmen und den 2,5 Prozent der ihr nahestehenden United Kingdom Unionists zur UUP auf. Die unionistischen Gegner des Reformprozesses sind in der neuen Versammlung mit 28 Mandaten stark repräsentiert: Mit Hilfe von Donaldson und seinen Anhängern wäre für sie die Sperrminorität von 35 Mandaten erreichbar - und die Blockade des Parlaments ist ihr Ziel.

Die UUP ist momentan mit 28 Mandaten die stärkste Fraktion. Zusammen mit der anderen unionistischen Befürworterin des Abkommens, der Progressive Unionist Party (PUP) sowie der SDLP wäre es Trimble möglich, den Grundstein für ein handlungsfähiges Parlament zu legen.

Um die Kontrolle über seine Partei zu bewahren und die Spannungen im unionistischen Lager zu überspielen, wird Trimble wohl versuchen, die Aufnahme Sinn Féins ins Kabinett mit einer Erklärung der IRA, der Krieg sei endgültig beendet und mit der Entwaffnung werde demnächst begonnen, zu verbinden. Das Szenario entbehrt nicht der Ironie: Die IRA sollte dann mit einer Geste der Versöhnung die politische Karriere von Trimble und so die neugeborene Versammlung retten.