»Homosexualität gilt als sexuelle Störung«

Kamilia Manaf ist die Gründerin des indonesischen »Institut Pelangi Perempuan«, einem Zusammenschluss jugendlicher Les­ben. Für Lesben und Schwule, Bisexuelle und Transgender (LGBT) ist es nicht ungefährlich, in der konservativen und islamisch geprägten Gesellschaft Indonesiens öffentlich aufzutreten. Seit der Einführung des so genannten »Anti-Pornographie-Gesetzes« im Dezember 2008 und Sharia-Verordnungen in vielen Regionen riskieren Lesben, Schwule und Transgender, kriminalisiert und eingesperrt zu werden.

Letztes Jahr haben Sie beim internationalen Aktionstag gegen Homophobie auf Ihrem »Homospaziergang« Masken getragen. Hatten Sie Angst, wegen Ihres Engagements für die Gleich­berechtigung von LGBT Probleme zu bekommen?

Die indonesische Regierung würde nie sagen, dass Homosexuelle oder Transgender illegal sind, aber Homosexualität ist hier ein Tabu. Jüngst hat die Regierung einige Gesetze erlassen, die Homosexuelle diskriminieren. Ein Beispiel dafür ist das Anti-Pornographie-Gesetz, weil darin Homosexualität mit Sodomie gleichgesetzt wird und als »sexuelle Störung« gilt. Man darf keinerlei solche angeblichen »sexuellen Störungen« in den Medien zeigen, also auch nicht Homosexualität.

Aber laut indonesischer Verfassung ist Homosexualität nicht strafbar, oder?

Es gibt kein nationales Gesetz, das Ho­mo­sexu­ali­tät verbietet. Das Thema wurde nur in das Anti-Pornographie-Gesetz und in lokale Verordnungen aufgenommen. In den letzten Jahren führen immer mehr Provinzen auf der Sharia basierende Verordnungen ein. In Palembang zum Beispiel, einer Provinz in Südsumatra, werden LGBT mit Prostituierten gleichgesetzt und verfolgt.
Pauschal über die Situation von LGBT in Indonesien zu sprechen, ist aber schwierig. In Jakarta haben wir Gay Clubs, Cafés und Bars, in denen sich viele Lesben und Schwule aufhalten. Im Fern­sehen gibt es eine sehr beliebte Transgender-Künst­lerin und einen bekannten schwulen Talkmaster. Die Leute akzeptieren das, aber nur als Gag. Für Lesben und Schwule auf dem Land ist die Lage jedoch wesentlich schwieriger als in den Großstädten.
Wenn man sich die indonesische Geschichte ansieht, war Homosexualität in der traditionellen Kultur immer Thema. Es gibt zum Beispiel auf Java den traditionellen Tanz Warok Gemblag, der homoerotische Elemente hat, oder die »Bisu«, eine Gruppe von heiligen Mann-zu-Frau-Transgen­dern in Makassar, die mit den Göttern sprechen und von den Leuten dort verehrt werden. Aber als die Religion nach Indonesien kam, wurden diese Traditionen aus der Öffentlichkeit verbannt und versteckt.

Meinen Sie mit »der Religion« den Vormarsch des Islam?

Ja, ich glaube, das war, als der Islam nach Indonesien kam. In der indonesischen Kultur gibt es also schon lange einen Konflikt um Homosexualität.

Welche Rolle spielt denn der religiöse Fundamen­talismus, insbesondere der islamische?

Wer von Indonesien spricht, denkt meist zuerst an den Islam, weil wir das einwohnerreichste muslimische Land sind. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 gibt es überall Islamophobie und ich muss sehr vorsichtig sein, wenn ich über den Islam spreche. Das ist sehr kompliziert, weil es viele verschiedene islamische Gruppierun­gen gibt.
Fundamentalismus hat aber nicht immer nur mit dem Islam zu tun, sondern auch mit anderen Religionen und konservativen Moralvorstellungen. Tatsächlich nutzen viele konservative muslimische Gruppen, die teilweise auch gewalttätig sind, den Islam für ihre Bewegung. Aber meiner Meinung nach geht es dabei nicht um den Islam, sondern um Politik und Macht. In Indonesien sind viele Leute religiös, daher kommt man sehr gut an, wenn man sich als islamisch bezeichnet.

Ist der Islamismus etwa kein Problem für LGBT?

Der religiöse Fundamentalismus hat einen gro­ßen Einfluss auf das öffentliche Auftreten von LGBT, weil verrückte religiöse Fundamentalisten wie die Front Pembela Islam (FPI) gerne Bars und Clubs und eben auch LGBT angreifen. 2002 attackierte die islamistische Jugendbewegung Ge­rakan Pemuda Ka’bah einen von LGBT organisierten HIV-Kongress und verletzte viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer schwer. In Wirklich­keit sind diese Gruppen aber wie die Mafia. Wenn Clubs Schutzgeld zahlen, greifen sie sie nicht an. Auf der anderen Seite gibt es auch moderate mus­limische Gruppen, die für soziale Themen, Frauenfragen und LGBT wirklich offen sind. Einige ko­operieren auch mit feministischen Organisationen und LGBT-Gruppen.

Wir haben hier in Indonesien mit Muslimen ge­sprochen, die behaupteten, das Anti-Pornographie-Gesetz habe ohnehin keine großen Aus­wirkungen, weil es nicht angewendet werde. Feministinnen sagen dagegen, dass das Gesetz bereits jetzt das Alltagsverhalten ändert.

So ist Indonesien. Es gibt viele Gesetze, aber sie werden nicht angewendet. Selbst nach dem An­ti-Pornographie-Gesetz kann man überall Pornofilme und DVDs für Schwule und Lesben kaufen. Aber die in diesem Gesetz enthaltene Gleichsetzung von Homosexualität mit Sodomie ist bereits eine abscheuliche Diskriminierung. Eine Kon­sequenz des Anti-Pornographie-Gesetzes ist zudem, dass es ähnliche oder erweiterte Gesetze mög­lich macht. Auch beeinflusst es bereits das gesellschaftliche Bild von Homosexuellen und von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Selbst wenn es nicht voll formal angewendet wird, hat es meiner Meinung nach bereits bedeutende Auswirkungen. Über das Gesetz wird noch heftig von politischen Aktivistinnen, Parlamentarierinnen und Parteien diskutiert, aber da es schon beschlossen ist, ist es schwer, es wieder abzuschaffen. Zugleich gibt es hier so viele Probleme und Missstände, die die Regierenden lösen müss­ten. Statt dessen beschäftigen sie sich mit dem Körper, der Sexualität und der Moral.

Welchen Problemen müssen sich junge Lesben und Schwule im Alltag denn hauptsächlich stellen?

Ich denke, wir sollten zwischen den allgemeinen Problemen von Jugendlichen und denen von »Lesben und Schwulen« unterscheiden. Wenn du jung bist, hast du nämlich bereits ein Problem, nämlich dass du als unreif giltst. Jugendlichen wird hier nichts zugetraut und sie nehmen kaum an Entscheidungen teil. Und wenn sie etwas über Sexu­alität wissen wollen, ist das immer ein Tabuthema. Eltern wollen nicht darüber reden, weil sie ihre Kinder für zu jung halten und meinen, diese werden später alles Wichtige in der Ehe lernen. Dabei sind die Jugendlichen in Wirklichkeit bereits sexuell aktiv.
Und zum Thema LGBT: Meist ist man von seinen Eltern ökonomisch abhängig. Also ist es schwer, sich frei zu entscheiden. Manche unserer Mitglieder denken: »Wenn meine Eltern rausfinden, dass ich schwul oder lesbisch bin, schicken sie mich weg und ich kriege keine Ausbildung und keinen Job.«

Also haben viele Angst vor einem Coming Out?

Ja, die meisten fürchten, von ihrer Familie zurückgewiesen zu werden. Wir haben beispielswei­se auch erlebt, dass Eltern ihre Tochter zu einer Heirat zwingen, wenn sie erfahren, dass sie lesbisch ist. Es gibt auch Fälle physischer Gewalt. In einer Familie haben die Eltern einen Verwandten überredet, ihre lesbische Tochter zu vergewaltigen, um ihre sexuelle Orientierung zu ändern. Einige unserer Mitglieder hatten schon ihr Coming Out, aber nur vor kleinen Gruppen, an der Uni und vor guten Freunden und Freundinnen, aber noch nicht vor ihren Eltern.

Seit wann gibt es Ihre Organisation und woher kommen die Mitglieder?

Ich komme aus Lampung, einer Stadt in Südsumatra, wo die Lage für Lesben schwierig ist. Als ich nach Jakarta zog, kannte ich einige Lesben über das Internet und wollte mit einer Freundin ein Treffen organisieren. Wir wollten etwas für unsere Community tun. Du kannst nicht immer nur Spaß haben im Club, dich betrinken, jemanden abschleppen und so tun, als ob du keine Probleme hättest. Die meisten dachten damals: »Wir sind doch in der comfort zone. Lesbische Bewegung und politischer Kampf bringt uns nur Ärger. Hier ist Indonesien. Die Moslems machen uns kalt.«
Viele verstanden uns am Anfang auch falsch. Es ging nicht um große Demonstrationen und Auftritte in Talk Shows, sondern erst einmal um eine kleine Gruppe, in der man sich untereinander austauschen kann. Unser E-Mail-Verteiler startete 2006. Schnell haben sich immer mehr Lesben dort eingetragen und auch selbst Mails über den Verteiler geschickt. Unser erstes Treffen hatten wir am 26. Juni 2006. Seitdem haben wir regelmäßige Diskussionen, Sport- und Freizeitaktivitäten organisiert, unser Magazin auf CD herausgebracht und andere Dinge gemacht.

Wie viele seid ihr inzwischen?

An unserem E-Mail-Verteiler beteiligen sich 400 Leute. Die meisten von ihnen sind als Lesben im öffentlichen Raum nicht sichtbar, sie fühlen sich im Internet wohler. In unserer Kultur werden Frauen dazu erzogen, nicht zu viel zu sprechen, nicht expressiv oder aktiv zu sein. Also ist es schwierig, Sexualität und Wünsche auszudrücken. Daher empfinden wir das Internet als bestes Kommunikationsmittel, weil man einfach schreiben kann und nicht sprechen muss.

Gibt es Widerstand gegen das Anti-Pornographie-Gesetz und die lokalen Sharia-Verordnungen?

Der Widerstand kommt immer von denselben politisch aktiven Leuten. Der Rest der Gesellschaft ist daran nicht beteiligt, da nur wenige die Gesetze kennen oder verstehen. Und die Bewegung gegen das Anti-Pornographie-Gesetz ist bereits gespalten, weil einige Frauenorganisationen befürchten, durch die Beteiligung von LGBT-Gruppen könnte ihr Widerstand ein schlechtes Image bekommen. Letztere wiederum meinen, dass im Gesetz das Wort »Frau« nicht ausdrücklich genannt wird, sehr wohl aber »schwul« und »lesbisch«, und es für sie daher klar ist, dass sie käm­pfen und die in diesem Gesetz enthaltene Homophobie thematisieren müssen.

Wird die indonesische Gesellschaft insgesamt islamischer? Oder sehen Sie Chancen für progressive Bewegungen wie etwa die der indonesischen LGBT?

Ich weiß nicht, was passieren wird. Seit dem Sturz Suhartos sind alle möglichen politischen Bewegungen aufgetaucht, darunter progressive politische Gruppierungen, aber auch Islamisten wie die FPI. Deren Gewalttätigkeit und Arroganz hält aber niemand mehr aus. Inzwischen schweigt sogar die Regierung nicht mehr über die FPI und will sie möglicherweise verbieten, obwohl sie bis­her noch vor diesem Schritt zurückschreckt.
Und die LGBT-Bewegung ist in den letzten drei Jahren sichtbarer geworden. Wir bereiten im Moment eine Demonstration vor und sind in den Medien präsenter. Wie es in der indonesischen Ge­sellschaft weitergeht, ist also umkämpft.