Geduldete Flüchtlinge in Deutschland

Mit der Duldung am Ende

Rund 30 000 ehemals geduldete Flüchtlinge, die inzwischen mindestens acht Jahre in Deutschland leben, müssen bis Ende des Jahres einen halbwegs lukrativen Job gefunden haben. Sonst droht ihnen erneut die Gefahr, abgeschoben zu werden.

Als im Sommer 2007 die zweite, so genannte Bleiberechtsregelung für die Langzeitgeduldeten beschlossen wurde, war noch nicht absehbar, dass wir uns heute in einer der größten Wirt­schafts­krisen seit Bestehen der Bundesrepublik befinden würden. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt bekommen die ehemals Geduldeten in besonderem Maße zu spüren. Dennoch hält die Politik an den Anforderungen fest, die sie an die Flüchtlinge stellt. Dies könnte Ende 2009 für Tausende den Rückfall in die »Kettenduldung« – und damit die Gefahr der Abschiebung in ihr Herkunftsland – bedeuten.
Nach der Bleiberechtsregelung müssen die Betroffenen bis zum 31. Dezember dieses Jahres einen Arbeitsplatz nachweisen, mit dem sie ihren Lebensunterhalt zum überwiegenden Teil und aus eigener Kraft verdienen. Das wird der Mehrheit von ihnen nicht möglich sein. Von ca. 35 000 Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis nach der Bleiberechtsregelung erhalten haben, bekamen sie 80 Prozent nur auf Probe. Das heißt, sie müssen für den Fall, dass ihnen die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts bis Ende des Jah­res 2009 nicht gelingt, mit der Zurückstufung in die Duldung rechnen.

Vor der Konferenz der Landesinnenminister Anfang Juni hatte der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) immerhin eine Verlängerung der Blei­berechtsregelung um zwei Jahre gefordert. Angesichts der Wirtschaftskrise falle den Flüchtlingen die Jobsuche noch schwerer als sonst. Sein größter Widersacher unter den Kollegen, Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU), reagierte prompt. Dieses Vorhaben habe überhaupt keine Chance auf Realisierung, sagte er den Medien. »Wir werden uns nicht ernsthaft mit dem Thema bei der Innenministerkonferenz befassen. Es wird nicht länger als fünf Minuten dauern, weil wir es ablehnen werden.« Er behielt zumindest insofern Recht, als die Innenminister sich wie angekündigt nicht einmal auf ein Minimalprogramm zur Ergänzung bzw. Überarbeitung der Bleiberechtsregelung verständigten.
Auch auf Bundesebene ist derzeit mit keiner Ver­besserung des Bleiberechts zu rechnen. Zwar haben die im Bundestag vertretenen Oppositions­parteien, die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände sowie Pro Asyl eine schnelle Überarbeitung der Regelung gefordert. Die große Koalition lehnt dies allerdings ab und hat eine Lösung des Problems auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben. Das bedeutet aber, dass die Zeit bis zum Jahresende äußerst knapp werden könnte.

Kommt es zu keiner Änderung der Regelung, hängt das Recht, in Deutschland bleiben zu dürfen, für ca. 30 000 Betroffene davon ab, ob sie einen Job mit ausreichendem Einkommen finden. Dies ist nicht nur angesichts der Wirtschaftskrise ein Problem. Geduldete Personen wurden über Jahre vom Arbeitsmarkt ferngehalten. Sie durften entweder gar nicht arbeiten oder erhielten nur unter der Bedingung einen Job, dass sich kein Deutscher und kein Migrant mit Vorrechten, etwa aus einem Staat der EU, finden ließ. In Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit bedeutete diese so genannte »Vorrangregelung« faktisch ein Arbeitsverbot, da sich für die raren Stellen immer vorrangig zu berücksichtigende Arbeitssuchende fanden. Eben­so führte die zwangsweise Unterbringung in Lagern, wie sie zum Beispiel in Bayern rigoros gehandhabt wird, häufig zu einem Ausschluss von normalen Arbeitsmöglichkeiten. Die Residenzpflicht, die einen Umzug in Regionen mit besseren Jobangeboten verbietet, tat ihr Übriges.
Zwar gab es in der Zwischenzeit einige rechtliche Erleichterungen für Geduldete. Allerdings gelten sie erst seit Anfang des Jahres. Die Politik der gezielten Desintegration wirkt auf die betroffenen Menschen aber bis heute. Wie sollen sie von jetzt auf gleich einen Job finden, wenn sie über Jahre weder an Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen noch praktische Berufserfahrung sammeln konnten?

Die EU hat Flüchtlinge mit prekärem Aufenthalts­status mittlerweile als eine Gruppe erkannt, die auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt ist, und finanziert deswegen ein Programm zur Förderung ihrer Integration auf dem Arbeitsmarkt. In Deutschland gibt es zahlreiche Projekte und Initiativen, die Flüchtlinge bei der Jobsuche unterstützen.
Auch diese sinnvollen Programme könnten zunichte gemacht werden, wenn die bestehende Regelung nicht verändert wird. Werden die Betrof­fenen ab 2010 wieder in die »Kettenduldung« getrieben, tritt für sie wieder die Angst vor der Ab­schiebung in den Vordergrund. Dies ist unsinnig und völlig inhuman. Aus Sicht von Pro Asyl kann auch die bloße Verlängerung der Frist, bis wann die Betroffenen eine eigenständige Finanzierung vorweisen müssen, nicht die Antwort auf das bestehende Problem Tausender Menschen mit un­sicherem Status sein.
Die Bleiberechtsregelung hat ohnehin den Fehler, dass durch einen Einreisestichtag bereits die Zahl der potenziell Begünstigten halbiert wurde. Wer am 1. Juli 2007 seit sechs Jahren (Familien) oder seit acht Jahren (Alleinstehende) im Land war, für den gilt die Regelung. Dies waren aber nur 50 Prozent der damals rund 200 000 Geduldeten. Mittlerweile leben weitere 60 000 Geduldete seit über sechs Jahren in Deutschland, die bloß den Stichtag für die Bleiberechtsregelung aus dem Jahr 2007 verpasst haben. Das Problem, das angeblich gelöst werden sollte, ist nicht gelöst, solange die restriktive Asyl- und Einwanderungspolitik hierzulande immer weitere Kettenduldun­gen hervorbringt.
Darüber hinaus verhindert die lange Liste der Ausschlussgründe den Erfolg des Bleiberechts. So führt zum Beispiel schon die geringfügige straf­rechtliche Verurteilung eines Familienmitglieds zum Ausschluss der gesamten Familie von der Regelung.
So zu tun, als würde es in der Hand der über Jahre benachteiligten Flüchtlinge liegen, in welcher wirtschaftlichen und sozialen Situation sie sich befinden, verdreht die Realität. Der Sozialstaat trägt Verantwortung für die Betroffenen, und der muss er sich stellen. Die Förderprogramme der EU sind ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Eine Neufassung des Bleiberechts, welche die sozialen Lebensbedingungen der Betroffenen berücksichtigt, ist daher unabdingbar. Lagerunterbringung, Sozialleistungen weit unterhalb des Existenzminimums (nach dem Asylbewerberleistungsgesetz) und die Residenzpflicht gehören abgeschafft.

Marei Pelzer ist rechtspolitische Referentin von Pro Asyl.