Das Sahara-Projekt und die deutsche Ökonomie

Operation Desert Strom

Am 13. Juli soll in München das Gründungs­treffen der Wüstenstrom-Initiative Desertec stattfinden. Vor allem deutsche Unternehmen hoffen auf das Geschäft mit der Sonne Afrikas. Energiepolitisch dient das Sahara-Projekt jedoch vor allem der Zentralisierung des Solarkraft-Sektors. Die Grünen finden das prima.

WUMS! Schon vergessen? Das war der Slogan der Grünen bei der Europa-Wahl, den außer ihnen und ihrer Anhängerschaft wohl kaum jemand ver­standen hat. Wums, das steht für »Wirtschaft und Umwelt, menschlich und sozial«. Auf einem Plakat hatte sich die Sonnenblume in ein Zahnrad verwandelt. Wie das in der Realität aussehen kann, zeigt das Projekt Desertec.
Mit hohem ökonomisch-technologischem Aufwand will ein Konsortium von 20 deutschen Firmen unter Führung des größten Rückversicherungskonzerns der Welt, Münchner Rück, in der Wüste Afrikas die Welt retten. Geplant wird die Investition von 400 Milliarden Euro bis zum Jahr 2050, um auf einer Fläche von 3 600 Quadratkilometern in der afrikanischen Wüste Solarstromanlagen zu errichten. Der erste Strom soll – wenn keine Verzögerungen eintreten – 2020 über ein verlustarmes Hochspannungs-Gleichstromnetz nach Europa und Deutschland fließen. Das Hochspannungs-Gleichstromnetz hat nach Angaben der Planer Verluste von drei Prozent je 1 000 Kilometer, was über die gesamte Strecke einen Verlust von beachtlichen zehn bis 15 Prozent des Solarstroms zur Folge hätte. Torsten Jeworrek, Vorstand der Versicherungsgruppe Münchner Rück, meint, mit dem »Desertec« getauften Projekt in der letzten Ausbaustufe 2050 etwa 15 Prozent der europäischen Stromversorgung bestreiten zu können.

Am 13. Juli will sich auf Einladung der Münchner Rück die Desertec Industrial Initiative zur Verwirklichung dieses Projekts gründen. Mit dabei sind die üblichen Verdächtigen: Siemens, Deutsche Bank, Eon, RWE und andere. Geplant wurde das Projekt von einer illustren Runde aus dem industriellen Club of Rome, dem Hamburger Klimaschutzfonds sowie dem Jordanischen Nationalen Energieforschungszentrum. Wissenschaftlich weiter ausgearbeitet hat es das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Um sich dem Start des Countdowns zu nähern, haben die Konzerne die Mission Desertec im Juni testweise in die Medien gebracht.
Lenken wir unseren Blick zunächst einmal auf die Technologie, die zur Anwendung kommen soll. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Konzerne solarthermische Kraftwerke zur Grundlage ihrer Planung machen. Handelt es sich doch um die Tech­nik, die von Anfang an tendenziell großtechnologisch und eng an die konventionelle Energie­erzeugung angelehnt war. Solarthermische Kraft­werke bündeln mit Spiegeln das Sonnenlicht, die entstehende Hitze wird von einem Absorbermedium aufgenommen und mit diesem zum konventionellen Teil des Kraftwerks transportiert. Dort wird mit Dampfturbinen Strom erzeugt. Es ist aber auch möglich, die Wärme zu speichern, um so die Turbinen auch nachts antreiben zu kön­nen oder Nachfragespitzen auszugleichen. Der beteiligte Konzern Schott-Solar, der ursprünglich Solarzellen für die Raumfahrt entwickelte, schreibt auf seiner Homepage ganz offen: »Während Photovoltaikanlagen vorzugsweise für die dezen­trale Stromgewinnung genutzt werden, eignen sich Solarkraftwerke für die zentrale Energieerzeugung.« Solarthermische Kraftwerke sind also technologisch besonders zur Monopolisierung erneuerbarer Energien geeignet.

Allgemeiner zeigt dieses Projekt aber auch an, dass die ersten Technologien zur Gewinnung erneuerbarer Energien im technologischen Reifezyklus in die großindustrielle Phase eintreten. Pio­niere sowie kleinere und mittlere Unternehmen haben ihre Schuldigkeit getan, die Abschöpfung der Profite aus den gereiften Technologien übernehmen zukünftig die großen Konzerne. Dabei ver­ändern sie die Formen der Erzeugung erneuerbarer Energien, um sich diese anzueignen, und vernichten dabei störende Teile ihrer positiven Eigen­schaften. So sind die Industriekonzerne an großtechnologischer Entwicklung interessiert.
Dies zeigt neben dem Projekt Desertec auch die Entwicklung der Windenergie. Die derzeit größte Anlage wird von Siemens angeboten. Sie hat eine Leistung von 3,6 Megawatt und einen Rotordurch­messer von 107 Metern. Hier ist aber noch lange nicht Schluss. Die Firma Repower entwickelt derzeit eine Anlage mit fünf Megawatt, deren Ro­tor einen Durchmesser von 125 Metern haben soll. Solche Anlagen kann man nicht mehr neben ein verschlafenes Nest in der Provinz setzen. Sie sind technologisch – mit der wichtigen Ausnahme des fehlenden Brennstoffs – an die Planungsweise des alten Energiemonopols angelehnt. Das Kraftwerk wird dahin und mit einem solchen Umfang gebaut, wo und wie es die Energiewirtschaft für richtig hält, nicht dorthin, wo der Energiebedarf in einem bestimmten Umfang besteht.
Die vor den Küsten entstehenden großen so ge­nannten »Off-shore«-Windparks unterscheiden sich in Art der Planung, Bau und Anschluss an das Energienetz nicht entscheidend von fossilen Großkraftwerken. Abtransport und Verteilung der umgewandelten Energie erfolgen zwingend über die Netze des Oligopols. Regenerative Energien könnten demgegenüber auch energetische Autonomie mit dezentralen Netzen bieten, oder von Energienetzen völlig unabhängig sein. Dieses Potential würde ihnen genommen, wenn es den Konzernen gelingen sollte, die Technologien zu monopolisieren.
Werden Gebäude energieautark geplant und gebaut, sind Großkraftwerke in der Wüste mit Tau­senden Kilometern Stromleitung überflüssig. Auch das Netzmonopol wird durch das geplante Projekt gestärkt. Statt, wie es für die Nutzung erneuerbarer Energien sinnvoll wäre, den Ausbau des Netzes in der Fläche voranzutreiben, um die dezentrale Einspeisung und Entnahme zu ermög­lichen, soll hier eine bisher im Stromsektor nicht gekannte Form der Zentralisierung mittels Direkt­leitungen vorangetrieben werden.
Das seit dem Jahr 2000 geltende Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) hat gezeigt, wie viele dezentrale Anlagen Großkraftwerke überflüssig machen können. Der Anteil erneuerbarer Energien an der deutschen Stromversorgung stieg von vier auf 19 Prozent. Es wurden neue Kapazitäten in einem Umfang von 35 000 Megawatt geschaffen. Auch die geplanten Erzeugungskosten für den solarthermischen Desertec-Strom von 6,4 Cent im Jahr 2020 sind im Vergleich zur heutigen Erzeugung nicht extrem niedrig. Windstrom kann für sechs bis neun Cent geliefert werden, mit weiter sinken­der Tendenz. Selbst die relativ teure Photovoltaik auf Dächern und an Fassaden wird in etwa drei Jahren mit 20 Cent nicht teu­rer sein als der Endpreis von Atom- und Kohlestrom. Daher ist die Prognose von Hermann Scheer, Präsident von Eu­rosolar, in der Frankfurter Rundschau richtig: »Es ist mehr als wahrscheinlich, dass Sahara-Strom hier gar nicht mehr gebraucht wird, wenn die dortigen Kraftwerke samt Leitungsbau fertigge­stellt wären.«

Demgegenüber engagieren sich die Grünen und Greenpeace für das Projekt. Hans-Josef Fell, im Bundestag der Sprecher der Grünen für Energie und Mitglied im Planungsnetzwerk für das Projekt TREC, plädiert sogar für eine Novelle des EEG. »Wir sollten die gesetzlichen Einspeisevergütungen auch für im Ausland erzeugten erneuerbaren Strom öffnen«, sagte er dem Berliner Tagesspiegel. Hand in Hand mit den Monopolisten der Atom- und Kohlewirtschaft hat er offensichtlich kein Problem, damit den Bestand des EEG zu gefährden. Bei Greenpeace jubelt Andree Böhling, ehemaliger Mitarbeiter der Grünen-Bundestagsfraktion: »Solarthermische Kraftwerke können nach Wind­kraft und Photovoltaik zum dritten deutschen Ex­portschlager im Bereich der Öko-Energien werden.« Fragt sich allerdings, ob das Projekt neben der Industrieförderung nicht auch noch andere Seiten hat.
So stellt sich die Frage, welchen Nutzen denn eigentlich die einheimische Bevölkerung von einem solchen Projekt hätte. Zunächst mal kommt sie in den Planungen gar nicht vor und wird auch nicht gefragt. Die Verfügbarkeit der Landflächen sowie die Bereitschaft in Nordafrika, sich in das Hochspannungsnetz Europas einbinden zu lassen, wird von den beteiligten Unternehmen und der sie unterstützenden Politik vorausgesetzt. Von der umgewandelten Energie haben die Menschen an Ort und Stelle nichts. Allenfalls fallen für Helfer bei den Bauarbeiten sowie Service- und Sicher­heitspersonal wenige Arbeitsplätze ab.
Schon eher relevant sind die sicherlich schon ein­kalkulierten, weil bei größeren Bauprojekten und Ausschreibungen üblichen Bestechungsgelder. Mit Siemens hat man ja einen in Fragen der Korruption versierten Konzern mit dabei. Afrika bleibt auch in der Variante des grünen High-Tech-Kapitalismus ein abhängiger Ressourcenlieferant. Die Technologie kommt aus Deutschland: die Parabolspiegel von Flabeg, Schott-Solar liefert die Receiver für das Solarkraftwerk, Siemens baut die Turbinen und das Netz. Die Deutsche Bank küm­mert sich um die Projektfinanzierung, die Münch­ner Rück um die Versicherung, RWE und Eon um den Betrieb der Anlagen und die Vermarktung des Stroms. Gemeinsam bemüht man sich um staatliche Gelder. Die Infrastruktur dient vor allem dem Abtransport der Beute, in diesem Fall des erzeugten Stroms. Desertec ist als neokolonialistisches Projekt wahrlich eine runde Sache. So reduziert sich der Green New Deal auf seinen Kern. Von Wums bleibt lediglich ein W. Ein Zahnrad in Form einer Sonnenblume.