Aushungern mit Augenmaß

Die FDP zeigt liberales Profil: 30 000 Flüchtlingen wird die Sozialhilfe gekürzt - statt 300 000

"Mit einem blauen Auge davongekommen" wäre ein zu flapsiges Fazit der Bundestagsbeschlüsse zur Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Denn auch nachdem in der vergangenen Woche nur eine abgeschwächte Version der Bundesratsvorlage den Bundestag passierte, wird das neue Gesetz für schätzungsweise 25 000 bis 30 000 Flüchtlinge dramatische Auswirkungen haben. Personen, die angeblich nur nach Deutschland gekommen sind, um hier Sozialleistungen zu kassieren, und die Flüchtlinge, denen die Behörden unterstellen, ihre Abschiebung zu verhindern, indem sie ihre Identität verschleiern - im Verwaltungsjargon: ausreisepflichtige Ausländer, deren Aufenthaltsbeendigung aus selbst zu vertretenden Gründen nicht zu vollziehen ist - müssen damit rechnen, im nächsten Jahr ein Leben unterhalb des Existenzminimums zu fristen. Ihnen drohen massive Sozialhilfekürzungen und Einweisungen in Sammelunterkünfte.

Nach den ursprünglichen, von den meisten SPD-Ländern und der Union getragenen Plänen sollten davon bis zu 300 000 Flüchtlinge betroffen sein. Doch die Union wollte kein Ausscheren von FDP-Abgeordneten wie beim Lauschangriff riskieren und handelte mit dem kleineren Koalitionspartner einen Kompromiß aus - mit dem Erfolg, daß auch die große Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion zustimmte. Und so war sich in der letzten Bundestagsitzung vor der Sommerpause eine Riesenkoalition einig, "wirklichen Sozialschmarotzern" müsse die Unterstützung entzogen werden.

Ursprünglich hatten die Initiatoren der Gesetzesnovelle vor allem auf die zirka 150 000 geduldeten bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge abgezielt. In dem jetzt verabschiedeten Gesetz ist diese Gruppe nicht mehr erwähnt. Sie wurde allerdings auch nicht explizit ausgenommen. Nach Ansicht von Pro Asyl werden deshalb auch Bürgerkriegsflüchtlinge von der Neuregelung betroffen sein. Ein verlorener Paß kann schon reichen, um unter das verschärfte Gesetz zu fallen.

Als Sieg einer "beispiellosen Protestbewegung" feierte großspurig die sozialpolitische Sprecherin der bündnisgrünen Bundestagsfraktion, Andrea Fischer, die Entschärfung der Vorlage. Das monatelange Engagement von Wohlfahrtsverbänden, Menschenrechtsgruppen und Flüchtlingsinitiativen hat sicherlich dazu beigetragen, daß sich die Scharfmacher nicht vollständig durchsetzen konnten. So hatte sich in der letzten Woche der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesärztekammer, Frank-Ulrich Montgomery, noch einmal medienwirksam gegen die "Dreiklassenmedizin" gewandt, die die ursprüngliche Version zur Folge gehabt hätte. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird nun festgestellt, die medizinische Versorgung solle von den Kürzungen nicht betroffen zu sein.

Trotzdem: Nichts wird besser, es

wird nur nicht ganz so schlimm. Wie schlimm, das hängt wesentlich von der Politik der einzelnen Sozialämtern und ihrer politischen Durchsetzungsfähigkeit ab: Denn in der Willkür der Ämter liegt es, im Einzelfall zu entscheiden, um welchen Teil die Sozialhilfe der Betroffenen gekürzt wird. Gesetzlich vorgeschrieben wird nur ein großzügiger Rahmen von Null bis 75 Prozent des alten Niveaus.

Zunächst werden die kläglichen Reste des in bar ausgezahlten Anteils der Sozialhilfe Objekt der Ämterbegierde sein. Außerdem sind Zwangskündigungen von Mietwohnungen und die Einweisung in Sammellager zu erwarten.

Diese Praxis jedoch ist eventuell juristisch angreifbar. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege sieht beispielsweise in diesem Fall einen Zustand erreicht, "bei dem der Mensch zum reinen Objekt staatlichen Handelns wird, weil er legal überhaupt keine freien Entscheidungen mehr treffen kann", und damit einen Verstoß gegen Artikel 1 des Grundgesetzes. Außerdem ist für den Vorwurf, daß wirtschaftliche Motive für die Einreise prägend waren, das Sozialamt beweispflichtig. Möglicherweise werden in Zukunft verfänglich formulierte Fragebögen auszufüllen sein, um diesen Nachweis zu erbringen.

Erwartungsgemäß unzufrieden zeigen sich angesichts dieser Unwägbarkeiten, wie auch der Einschränkungen des Personenkreises, die Urheber aus den Bundesländern. Vor allem bei der Berliner CDU, auf deren Initiative die Bundesratskampagne zurückgeht, will man sich nicht zufrieden geben. "Maßlos enttäuscht" zeigte sich beispielsweise der Geschäftsführer der Berliner CDU-Fraktion, Rudolf Gewalt, nun müsse den 25 000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien und 1 000 Vietnamesen ohne Aufenthaltsgenehmigung doch weiter Sozialhilfe gezahlt werden. Und seine Parteikollegin, die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John, plant schon neue Vorstöße. Die Bundesregierung, so John, solle künftig festlegen, in welche Länder eine Ausreise zugemutet werden kann, und damit die Grundlage für Sozialhilfekürzungen oder -streichungen liefern. Diese Liste, das läßt die Erfahrung mit Abschiebestopps erwarten, würde lang sein.