Studiengebühr statt Spaßguerilla

SPD und Grüne haben nichts mehr gegen Studiengebühren und Privat-Unis. Vom "Lucky Strike" blieb nichts als einige Kongresse, Vereine und Parteien

"Das von Ihnen verweigerte gesetzliche Verbot von Studiengebühren verändert unser Bildungssystem radikal. Bildung wird zur Ware." - Unversöhnliche Töne spuckte die SPD-Bildungspolitikern Doris Odendahl noch Mitte Februar in der Debatte zum Hochschulrahmengesetz (HRG). Doch anstatt bis nach den Bundestagswahlen zu warten, um dann mit der erwarteten rot-grünen Bundestagsmehrheit ein Verbot von Studiengebühren gesetzlich zu verankern, zeigen sich die SPD-geführten Länder inzwischen kompromißbereit. Die SPD fordert jetzt nur noch ein fünfjähriges Stillhalteabkommen für Studiengebühren bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluß.

Ein solches Moratorium hatte der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Klaus Landfried (CDU), bereits im Februar vorgeschlagen. Auch die CDU-regierten Länder hatten die SPD mehrfach aufgefordert, einer Verbotsbefristung zuzustimmen. Unter dem Eindruck der erst kurz zuvor zu Ende gegangenen Studierendenproteste winkten die Sozialdemokraten im Frühjahr noch ab. Jetzt sind sie bereit.

Das Einlenken der SPD dürfte beeinflußt worden sein von den Ergebnissen einer "repräsentativen Umfrage" des Forsa-Instituts, die der Stifterverband der deutschen Industrie und das Bertelsmann-Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) im letzten Monat geschickt in den Medien plaziert hatte. Das Ergebnis war wie bestellt: Unter bestimmten Voraussetzungen ist eine Mehrheit für Studiengebühren. "Das 'Plebiszit'", jubilierte die taz, sei "ein Rüffel für rot-grüne Anti-Gebühren-Fundis." Doch die haben nicht mal mehr bei den Bündnisgrünen etwas zu melden. So erklärte der bildungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Matthias Berninger, die Forderung seiner Partei nach einem Verbot von Studiengebühren sei nicht als absolut zu verstehen. "Wir lehnen direkte Studiengebühren als unsozial ab", sagte er der Berliner Zeitung, "doch müssen Akademiker sich rückwirkend an den Kosten ihres Studiums beteiligen." Eine entsprechende Forderung wollten die Bündnisgrünen in die Koalitionsverhandlungen mit der SPD einbringen.

Während SPD und Grüne noch nach Wegen suchen, sich unaufällig von ihrer Ablehnung von Studiengebühren zu verabschieden, werden diese ebenso unauffällig zur Realität: So demonstriert beispielsweise die Freie Universität Berlin, wie ein bestehendes Studiengebührenverbot geschickt umgangen werden kann. Sie hat ihr Medizinstudium reformiert und bietet nun ein dreisemestriges "ergänzendes Curriculum für besonders Interessierte" an. Zu diesem Zweck wurde das "Benjamin-Franklin-Kolleg" gegründet, dessen Besuch einen "Unkostenbeitrag" von 500 Mark pro Semester erfordert. Gewußt, wie: Während "Unkostenbeiträge" erlaubt sind, sind Studiengebühren in Berlin gesetzlich untersagt.

Ob befristet oder nicht: Ein bundesweites Verbot von Studiengebühren würde ohnehin nicht für alle bundesdeutschen Hochschulen gelten. Nicht betroffen wären die von christ- wie sozialdemokratischen Landesregierungen gleichermaßen umworbenen und alimentierten Privathochschulen. So kostet ein Studium an der bekanntesten deutschen Privatuniversität im nordrhein-westfälischen Witten/Herdecke seit 1995 pauschal 29 700 Mark. An der Europa-Fachhochschule Fresenius im hessischen Idstein kostet das Studium 780 Mark pro Monat. Außer über Studiengebühren wird sie vom Land Hessen finanziert.

Und die Zahl der Privatunis mit Industriebeteiligung und auf deren Bedürfnisse zugeschnittenen Studiengängen wächst. So wollen allein in Baden-Württemberg im Herbst zwei neue Privathochschulen an den Start gehen. Sie sollen sich zu jeweils einem Drittel aus Zuschüssen aus der Wirtschaft, Studiengebühren und Landesmitteln finanzieren. Getragen von verschiedenen Unternehmen wie Bosch und dem Maschinenbauer Trumpf sowie den Fördervereinen der Universitäten von Stuttgart, Hohenheim und Tübingen soll in der Landeshauptstadt ein Stuttgart Institute of Management and Technology (SIMT) als gemeinnützige Gesellschaft entstehen. Vorgesehen sind die Studiengänge "International Management", "Finance and Investment" und "Information Technology". Als Studiengebühren sind 15 000 Mark pro Jahr veranschlagt. Gleich 18 000 Mark jährlich soll ein Studium an der International University in Germany GmbH in Bruchsal bei Karlsruhe kosten. Dafür werden Vorlesungen für den "Master of Information and Communication" und den "Master of Business Administration" angeboten. Anteile am Stammkapital der Uni-GmbH halten der Softwarehersteller SAP und die Industrie- und Handelskammer.

Ebenfalls im Herbst will eine Privatuniversität im hessischen Kassel ihren Betrieb aufnehmen. Als erste Studiengänge sind an der als gemeinnützige GmbH mit Gesellschaftern aus der Wirtschaft und der Gesamthochschule Kassel geplanten neuen Hochschule "Industriegüter-Management" und "Internationales Management" vorgesehen. Das Studium wird voraussichtlich 10 000 Mark pro Jahr kosten. Darüber sollen die jährlichen Kosten von 1,5 Millionen Mark gedeckt werden. Der Präsident der federführenden Industrie- und Handelskammer, Walter Lohmeier, wehrt sich jedoch gegen den Vorwurf, eine Einrichtung nur für Kinder betuchter Eltern zu schaffen: "Wir denken über Stipendien, Sozial- und Leistungsrabatte nach."

Ein für alle Hochschulen und unbefristet geltendes Verbot von Studiengebühren war eine zentrale Forderung der Studierendenproteste des vergangenen Wintersemesters. Doch die derzeitigen Beratungen über das neue Hochschulrahmengesetz finden ungestört von studentische Demonstrationen statt. Nur noch wenige Spuren sind vom "Lucky Strike", dem vermeintlich "größten studentischen Ausstand seit 1968" sichtbar. Er sei eine "Spaßguerilla für ein reibungsloses Studium", hatte die Süddeutsche Zeitung konstatiert. Die Mehrzahl der im letzten Semester Protestierenden steht inzwischen nur noch der Sinn nach reibungslosem Studium ohne "Guerilla", den anderen scheint der Spaß abhanden gekommen zu sein. So versucht ein Teil der einstigen Streikaktivisten verbissen, den verblichenen Protest-Elan in Kongreßsäle und Vereinsgründungen hinüberzuretten.

In Duisburg wird unerschütterlich an der Gründung einer "Studierendengewerkschaft" gearbeitet, um "die Anliegen der Studierenden mit Gewicht zu artikulieren" und "unsere Bewegung voranzubringen". Ähnlich präzise Zielvorstellungen formulierten Ex-Studierendenstreikbewegte, die lieber gleich eine eigene "Studentenpartei" gründeten und planen, zur Bundestagswahl anzutreten - "für eine ehrliche, vernünftige und zukunftsfähige Politik". "BündnisReform" und "Studi-Liste" kursierten zunächst als Namen. Man einigte sich dann auf den Parteinamen "Vision", erstellte in Windeseile eine Satzung und eine Beitragsordnung. Ende März fand der Gründungsparteitag statt. Doch seitdem ist die "Studentenpartei", die "ingenieurwissenschaftliche Lösungsansätze für die Politik" formulieren will, wieder in der Versenkung verschwunden.

Ein "Bündnis für Umverteilung und Demokratie" hoben Studierende und ASten aus Bochum, Dortmund, Essen, Frankfurt und Gießen zusammen mit Gewerkschaftern aus der Taufe. Geplant ist vom 5. bis zum 7. Juni ein Kongreß in Frankfurt, um in den Bundestagswahlkampf mit Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sozialer Grundsicherung für alle Menschen und einer sozialen und demokratischen Reform des Bildungssystems einzugreifen. Andere StudierendenaktivistInnen mischen inzwischen im "DGB-Jugendwahlbündnis", das ebenfalls im Sommer eine Großdemonstration plant, oder den "Erfurter Erklärungs"-Initiativen mit.

Und noch zwei Kongresse: Der Berliner "Bildung und Gesellschaft"-Kongreß soll eine Fortsetzung im ost-westfälischen Bielefeld finden. Ein Team Unentwegter bereitet das Nachfolgemeeting unter dem Motto "Der Große Bildungsangriff" vor. Der genaue Termin steht noch nicht fest. Wer auf lebende Leichen steht, kann vom 5. bis zum 7. Juni Rainer Langhans, Horst Mahler, Tilman Fichter, Bernd Rabehl, Elmar Altvater, Christian Semler & Co. auf einem "Apo-Kongreß" in Berlin bewundern.

Der SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder knüpft auf seine Weise an die glorreichen Tage an: Auf dem Leipziger SPD-Jubelparteitag hat er angekündigt, im Bildungssektor stünden radikale Veränderungen an, die nur mit den Umbrüchen in den sechziger Jahren vergleichbar seien. Die Drohung sollte ernstgenommen werden: Eine der ersten Maßnahmen seines großen Vorbilds Tony Blair nach der Regierungsübernahme war die Einführung von Studiengebühren.