Das Feeling des Zulieferers

Bizz und Econy zeigen die jungen Gesichter des Kapitalismus

Welchen Beruf man ergreifen wollte, stand schon lange fest. Dabei war man nicht ausschließlich von Filmen wie "Wallstreet" geprägt, denn immerhin interessierte man sich bereits für Geld und Macht, aber zugegeben, dieser und ähnliche Streifen hatten schon bewirkt, daß man dann schließlich eine entsprechende Ausbildung begann. Was für ein Leben würde man dann führen können. Bestandteil einer Gang von Devisenjongleuren sein. Auf den internationalen Finanzmärkten etwas bewegen. Entscheidungen treffen, deren Auswirkungen noch in Hongkong zu spüren sein würden. Über den Fortbestand von Unternehmen entscheiden.

Mittags eine Riesenportion Sushi für alle ordern, um keine kostbare Arbeitszeit zu verschwenden. Obwohl ständig unter Strom stehend, würde man immens cool sein, mit dieser unglaublichen Fähigkeit, sekundenschnell und mit traumwandlerischer Sicherheit die richtigen Entscheidungen treffen zu können, auch wenn um einen herum blanke Ratlosigkeit und kopflose Hektik herrschten. Zwischendurch immer mal wieder schnell auf dem Klo verschwinden, um eine line zu ziehen. Und abends dann mit dem Rest der Gang noch schnell in eine dieser angesagten In-Cocktail-Bars, bevor man dann zu einem der Nobel-Restaurants aufbricht, für das normale Menschen eine Reservierung haben müssen.

Und dann das.

Zwar wurde es ein Job im gehobenen Management, aber nicht in New York, Paris, London, sondern in irgendeiner an der Börse notierten Freiburger Zulieferer-Firma. Die Gang bestand zwar aus Gleichaltrigen, aber die aßen mittags, um keine kostbare Arbeitszeit zu verschwenden, am Schreibtisch ihre mitgebrachten Butterbrote und wollten um 17 Uhr auf keinen Fall noch Cocktails trinken in einer Bar, sondern kamen bestenfalls mal mit auf ein Bier in die Kneipe um die Ecke. Aber dieses "Wallstreet"-Gefühl, das hatte man sich bewahrt.

Obwohl es mit den Jahren immer schwieriger wurde, denn schon Ende der Achtziger zeichnete sich ab, daß man als eiskalt-zynischer Yuppie irgendwie nicht mehr die ganz große Nummer war, aber trotzdem zog man das einfach weiter durch. Auch wenn man sich gelegentlich sehr einsam fühlte, besonders dann, wenn man die schnarchigen Wirtschafts- und Managementmagazine durchblätterte. Nein, das, was da so beschrieben wurde, hatte nichts mit dem eigenen Leben zu tun. Aber das sollt jetzt anders werden. Und wie immer auf, wenn auf dem Zeitschriftenmarkt etwas passiert, wird es gleich zweimal anders, denn neben Bizz, dem bereits erschienenen neuen Wirtschaftsmagazin von Capital, kommt in dieser Woche auch Econy auf den Markt.

Beide Zeitschriften richten sich an dieselbe Klientel, die Econy so definiert: "Innovative Existenzgründer und Freiberufler aus den Bereichen Werbung, Datenverarbeitung, Forschung und Entwicklung, Architektur- und Ingenieurwesen, Kultur, Sport, Unterhaltung und sonstige Dienstleistungen."

Na gut, Zuliefererbetriebs-Manager aus Freiburg wurden da nicht ausdrücklich erwähnt, aber Econy, so versicherte man auf der Webpage, legte auch Wert auf solche Leser: "Sie sind risikobereit. Sie sind veränderungswillige Neudenker. Angestellte, die in etablierten Unternehmen Veränderungen vorantreiben." Ha! Damit hat sich Econy schon einen zukünftigen Leser gesichert.

Aber auch Bizz schien alles das zu bringen, worauf man schon so lange vergeblich gewartet hatte. Denn die Redaktion erklärt im "Passwort" genannten Editoral, sie lege Wert auf Leser, die "neue Aufgaben suchen, ohne sich ein Leben lang hochdienen zu müssen. Die Verantwortung übernehmen und verändern wollen. Sie haben Pläne, aber keine nach altem Strickmuster. Sicherheit? Gibt es nicht Risiken? Sind nicht zu vermeiden. Angst? Na ja, damit läßt sich leben." Ha! Ha!! Das ist es. Das wilde schnelle Leben, nach dem man sich immer gesehnt hat, "die Lebenswelt einer neuen Generation, deren Biographie offen ist, die ihr Leben als Unternehmen begreift".

Die wird in Bizz vorgestellt, und plötzlich muß man sich nicht mehr schämen, ein Manager aus Freiburg zu sein, denn innovativ und erfolgreich sein kann man überall. Wie Bizz beweist, das anstelle der Charaktermasken des MIK, wie neulich einer abfällig sagte, die jungen Gesichter des Kapitalismus zeigt. Die kommen zum Beispiel aus Witten/Herdecke, Pforzheim, Seattle. Und deren Beispiel macht wieder Mut, zumal Bizz mit dem Titelthema "Die neue Lust am Job" zeigt, daß es ja nicht für immer Freiburg bleiben muß, denn in einer Computeraktion kann man die eigenen Stärken analysieren lassen. Und in sechs Wochen ist man dann vielleicht schon weiter, und dann kann das Abenteuer Leben richtig beginnen. Und dann wird vielleicht endlich doch alles so, wie Bizz es verspricht. Eben wie in "Wallstreet".

Das "Wallstreet"-Feeling wird selbst in den Anzeigen für "menswear" adäquat umgesetzt: "Wer sagt denn, daß die Chefs von morgen die gleichen sind wie die von gestern?" Alles ist da: das ausladend-platte, aber dafür knallrote neue Camaro-Cabrio, Handys, Breitling-Uhren, Unterwäsche, Kosmetik, dabei haben die Macher von Bizz auch an die Kleinigkeiten gedacht, die ein perfekt durchgestyltes Leben abrunden. Die werden auf zwei Seiten, "Arbeitszeug" betitelt, vorgestellt. "Der Job ist hart genug. Da sollte das persönliche Equipment im und ums Büro Eleganz, Mobilität und einen Kick Luxus bieten." Der "Sprachspeicher" für 1 400 Mark, anderswo schlicht Kassettenrecorder genannt, "ist leichter als eine Sekretärin", das Faltbike, das "sich optisch auch mit Businesskleidung" verträgt, würde sich gut im Kofferraum des Gebraucht-Porsche machen, und der zusammenschiebbare Drink-Container, der "darauf wartet, daß sich Workaholics einen Feierabenddrink gönnen", hat den Vorteil, daß ihm keiner seinen Inhalt ansieht.

Am schönsten aber ist der "Wasser-Speier", in "US-Büros Standard". Sieht klasse aus, hatten sie in Wallstreet auch. Und kostet bloß 1 700 Mark. Wäre aber im Büro wohl nicht durchzusetzen, selbst von einem veränderungswilligen Neudenker nicht, der in etablierten Unternehmen Veränderungen vorantreiben will. Egal, Träumen muß erlaubt sein.