After-Ski-Hütte im Pillenformat

Die Düsseldorfer Ausstellung "'68 - Design und Alltagskultur zwischen Konsum und Konflikt"

Der Name ist Programm: "Futuro" heißt die pillenförmige, auf einem Stahlrohrgestell ruhende Kapsel, die aussieht wie ein gerade gelandetes Ufo und doch ein Haus sein soll. Gänzlich aus Kunststoff gefertigt, wirkt sie heute wie eine übriggebliebene Kulisse aus einem etwas altbackenen Science-fiction. 1968 aber, als der finnische Architekt Matti Suuronen den Prototyp vorstellte, dürfte sie den Zeitgenossen nachgerade visionär erschienen sein. Das ursprünglich als "After-Ski-Hütte" konzipierte Kunststoffhaus "Futuro", das bei einem Durchmesser von acht Metern Platz für Naßzelle, Kocheinheit, zwei Schlafkojen sowie einen zentralen Aufenthaltsraum mit festinstallierten Sesseln bot, ging tatsächlich in Produktion.

Ein kommerzieller Erfolg blieb ihm freilich versagt - bereits 1972 stellte man die Produktion ein. Gleichwohl darf die kuriose Kapsel als treffliche Verkörperung jenes Zeitgeistes gelten, den ein unbedingter Wille zur Modernität und ein noch ungebrochener Glaube an den Fortschritt durch Technik kennzeichnet. Das kommt in ihrer Serientauglichkeit und ubiquitären Einsatzmöglichkeit zum Ausdruck, vor allem aber in der konsequenten Nutzung eines neu entwickelten Werkstoffes und in der betont futuristischen, an geometrisch-technoiden Formen orientierten Gestaltung.

"Futuro" ist Auftakt und Hauptattraktion einer Ausstellung im Kunstmuseum Düsseldorf, die unter dem Titel "'68 - Design und Alltagskultur zwischen Konsum und Konflikt" ein vielfältiges und wahrlich buntes Bild einer bewegten Epoche zu zeichnen versucht, wobei das Jahr 1968, wie sich bald zeigt und so problematisch das sein mag, stellvertretend für die späten sechziger und frühen siebziger Jahre steht. Über 500 Exponate - Kleider und Stoffe, Möbeln und Leuchten, Geschirr und Gläser, Plakate und Plattencover, Elektrogeräte und alltägliche Gebrauchsgegenstände - werden aufgeboten und erfreuen gleichermaßen den reiferen Nostalgiker und den jüngeren Sixties-Fan. Wer allerdings glaubt, man habe einen Schwerpunkt auf das legendäre Jahr der Revolten gelegt, um, wie es auch der Untertitel zu suggerieren scheint, hier nun einmal die sicher komplexe Beziehung zwischen gesellschaftlich-politischem Umbruch und Designentwicklung zu beleuchten, wird enttäuscht. Die Konflikte und Utopien, die 1968 im kollektiven Gedächtnis bedeutsam machen, bleiben in Düsseldorf plakativ im Hintergrund.

Unvermittelt hängen Zeittafeln mit dürren Daten aus dem Geschichtsbuch, die herausragenden Ereignisse der Jahre 1966 bis 1969 verzeichnend, neben den poppigen Beispielen des italienischen Anti-Designs. Und sonst? Ein paar Politposter (unvermeidbar natürlich Che) und manch großformatiges Foto (Demos gegen den Vietnamkrieg; Berliner Kommunarden, auf einem Sofa lümmelnd), die gewissermmaßen die "Ästhetik des Widerstands" illustrieren.

Das Hauptaugenmerk der Ausstellung liegt beim klassischen Interior- Design. Gerade in diesem Bereich erwiesen sich die späten Sechziger als eine Phase des Umbruchs, in der die Designentwicklung bemerkenswert uneinheitlich verlief und die verschiedensten Tendenzen mal neben, mal gegeneinander standen. Wenn aber, wie in Düsseldorf, aus der offenbar gewordenen Krise des Funktionalismus und der schwindenden Verbindlichkeit der "Guten Form" als zentrale These abgeleitet wird, das Design um 1968 habe mit den bis dato vorherrschenden "funktionalistischen Prinzipien" gebrochen, führt das zu einer verkürzten Darstellung, die die Heterogenität der Entwicklung verdeckt. Als wirklich anti-funktionalistisch kann allenfalls das ironisch-experimentelle, von der Pop- und Minimal-Art beeinflußte Design der italienischen Avantgarde gelten, etwa das Sitz-Liege-Objekt "Pratone" (große Wiese) von der "Gruppo Strum", oder die Stehleuchte "San Remo" von "Archizoom" - eine stilisierte Palme, die bereits auf die Postmoderne vorausweist.

Hingegen stehen die meisten der zeittypischen Plastikmöbel trotz ihrer starken Farbigkeit und ihrer meist gerundeten, weichen Formen eindeutig in der Tradition des Funktionalismus. Das gilt für Verner Pantons berühmten Side-Chair und den von Helmut Bätzner entworfenen "Bofinger-Stuhl" (beide stapelbar) ebenso wie für denn Klappstuhl "Plia" von Giancarlo Piretti. Und selbst die visionären "Wohnlandschaften", die Ende der sechziger Jahre für Furore sorgten, können und sollten unter diesem Aspekt betrachtet werden. Fast ungebrochen scheinen die Gestaltungsgrundsätze der fünfziger und sechziger Jahre bei Gläsern und Geschirren. Heinrich Löffelhardts Trinkgläser für die Zieseler Glaswerke und Arne Jacobsens "Cylinda-Linie" (1960) für Stelton jedenfalls haben mit Pop-Kultur nichts zu tun. Hans Theo Baumanns "Rastergeschirr 2298" für Schönwald schließlich darf als Paradebeispiel funktionalistischer Formgebung gelten. Freilich wird ihm beim Revival der Sechziger-Kultur, das in Düsseldorf gefeiert wird, nur am Rand Aufmerksamkeit zuteil.

Eine bisweilen "naive Begeisterung" kennzeichne, laut Katalog, die heutige "Rezeption der späten Sixties". Genau die wird in dieser Ausstellung bedient - mit sicherem Gespür für den Zeitgeist und mit einer ganz auf den schönen Schein der Warenwelt abzielenden Inszenierung. Darin liegt der Publikumserfolg der Schau begründet, die den analytischen Blick ebenso vermissen läßt wie die didaktische Aufbereitung des so reichhaltig präsentierten Materials. Aber auch damit liegt man in Düsseldorf - leider - voll im Trend.

"'68 - Design und Alltagskultur zwischen Konsum und Konflikt". Kunstmuseum Düsseldorf, bis 26. April. Galerie im Karmeliterkloster, Frankfurt/M. 16.Mai bis 9. August. Katalog: DuMont, DM 49,90