Streiks, Proteste und Riots in Südafrika

Kein Anschluss unter dieser Nummer

Mit Streiks, Protesten und Riots will sich die Basis des ANC nur drei Monate nach den Wahlen in Südafrika in Erinnerung rufen.

Noch sind keine 100 Tage seit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Südafrikas vergangen. Doch Jacob Zumas Kabinett wird bereits heftig kritisiert, Bewohner der Townships und Beschäftigte im öffentlichen Dienst sowie in einigen Branchen wie der Bauwirtschaft und der chemischen Industrie protestieren. Die Gewerkschaften fordern höhere Löhne und bessere ­Sozialleistungen, am Montag traten 150 000 Angestellte der Stadtverwaltungen in den Streik. In den Shanty­towns wenden sich die Bewohner gegen Lokalpolitiker, die meist dem regierenden ANC angehören. Im Laufe der vergangenen zwei Wochen kam es in mehreren Siedlungen im ganzen Land zu spontanen Kundgebungen, Auseinandersetzungen mit der Polizei und Plünderungen.

»Poor service delivery« heißt es, wenn nach den Gründen für die Proteste und Riots gefragt wird. Dahinter verbirgt sich der Vorwurf an die Lokalverwaltungen, statt an einer möglichst effektiven Bereitstellung von Gesundheitsversorgung, Unterkünften, Wasser und Elektrizität eher an Patronage und Korruption interessiert zu sein. Die Rebellierenden haben im April vermutlich zum großen Teil dem ANC ihre Stimme gegeben, einige Anführer sollen bei den parteiinternen Listenaufstellungen nicht berücksichtigt worden sein. Die Botschaft der Aufständischen ist klar: Wir brauchen nicht fünf Jahre zu warten, um euch abzusetzen.
Während die Jugendliga des ANC in einer Stellungnahme zu den Unruhen forderte, deren Ursachen ernst zu nehmen, drohten die Premierminister der Provinzen und Vertreter der Zentralregierung eine harte Reaktion auf Sachbeschädigungen und Angriffe auf Sicherheitskräfte an. Zuma bat die Protestierenden um mehr Zeit zur Überwindung der sozialen Ungerechtigkeit in der südafrikanischen Gesellschaft. Doch nur 3 000 Anhänger wollten den Präsidenten in Durban, der Metropole in dessen Herkunftsprovinz KwaZulu-Natal, überhaupt hören, berichtete der britische Observer. »Wir wählen den ANC, weil du das einfach tun musst. Sie sind wie die königliche Familie«, zitierte die Zeitung eine Besucherin der Versammlung. »Zuma ist ein Zulu, also war das keine Frage für mich. Aber das heißt nicht, dass ich froh bin.«
Die neue Regierung versprach unter anderem mehr Arbeitsplätze, ein besseres Bildungssystem und eine effektivere Bekämpfung der Korruption, sie wurde den Südafrikanern auch als Bruch mit der Politik des als abgehoben und elitär empfundenen Präsidenten Thabo Mbeki präsentiert. Nun macht sich Ernüchterung breit. Der Minister für kooperative Regierungsführung und traditionelle Angelegenheiten, Sicelo Shiceka, empfahl den Protestierenden, sie mögen doch die neue »Präsidenten-Hotline« anrufen, um ihre Beschwerden loszuwerden. Unzufriedene müssten sich, sollten sie das erwägen, allerdings noch bis September gedulden, denn erst dann wird die Leitung freigeschaltet.

Die Geduld vieler Menschen, deren soziale Lage sich 15 Jahre nach dem Ende der Apartheid trotz Wohnungsbau- und Sozialprogrammen nicht verbessert hat, ist schon seit geraumer Zeit aufgebraucht. Im vergangenen Jahr entlud sich die Wut der Armen in landesweiten xenophoben Pogromen gegen ihre Nachbarn, Einwanderer aus anderen afrikanischen Staaten wie Zimbabwe, Mosambik oder Malawi. Mindestens 62 Menschen wurden damals getötet, Zehntausende vertrieben. Die derzeitigen Unruhen haben denselben Hintergrund, scheinen sich jedoch nun überwiegend gegen die lokalen Verwaltungen zu richten. Doch einige Immigranten sind misstrauisch, sie suchten südafrikanischen Medienberichten zufolge in Polizeistationen Schutz vor möglichen Angriffen.
Die fremdenfeindlichen Ausschreitungen des vergangenen Jahres wurden völlig unzureichend aufgearbeitet, kritisieren Beobachter. Bisher wurde niemand des Mordes oder anderer Verbrechen angeklagt. »Die Gewalt des letzten Jahres hat uns gelehrt, dass du Ausländer ohne jegliche Konsequenzen angreifen, erpressen, ausrauben oder ermorden kannst«, sagte Loren Landau von der Universität Witwatersrand der Nachrichtenagentur Irin. Außerdem sei es kein Wunder, meint Landau, dass Leute mit Gewalt auf ihre Probleme aufmerksam machen, wenn Abgeordnete Angst haben, die Communities zu besuchen, die sie repräsentieren, und Parlamentarier vom Exekutivkomitee des ANC ohne ausreichende Konsultation vor Ort eingesetzt werden.
Die Proteste und Streiks, vor allem in der Baubranche, könnten für die Regierung zu keinem ungünstigeren Datum kommen. Im kommenden Jahr will sich die »Rainbow Nation« während der Fußball-Weltmeisterschaft als modernes, demokratisches und tolerantes Land präsentieren. Journalisten von allen Kontinenten werden in ihren Begleitreportagen von der extremen so­zialen Polarisierung und der Unzufriedenheit zum Beispiel der Slumbewohner berichten. Das wissen freilich auch die Arbeiter und Angestellten, Arbeitslosen und Armen. Der Aufruhr ist eine klassische taktische Intervention der Marginalisierten, wie sie Michel de Certeau beschrieb und mit der sie sich zu einem idealen Zeitpunkt eine unmittelbare Verbesserung ihrer persönlichen Situation erhoffen.

Die Proteste gegen Korruption, Vetternwirtschaft und die Einsetzung von unfähigen, aber loyalen Funktionären des ANC auf der lokalen Ebene weisen auf einen grundlegenden Widerspruch in der südafrikanischen Gesellschaft hin. Patrimoniale Verpflichtungen zwischen Patronen und Klienten stehen in einer andauernden Spannung zu dem nach westlichem Vorbild modellierten Staat und dessen Institutionen. Der nigerianische Wissenschaftler Peter Ekeh sprach von »zwei Öffentlichkeiten«, die freilich als eine einzige Realität erfahren und erlebt werden. In vielen afrikanischen Ländern ist es für die meisten Menschen nicht verwerflich, möglichst viele staatliche Ressourcen auch mit illegalen Mitteln abzuziehen, um sie der eigenen Gruppe zuzuführen, die sich zum Beispiel auf ethnische oder Clanloyalitäten berufen kann. Die Unruhen in den Townships sind sowohl eine Kritik des Klientelismus als auch Ausdruck des Verlangens nach Kooptierung in dieses System.
Nun ist Südafrika noch ein gutes Stück von Zuständen wie in Nigeria entfernt, wo offizielle Institutionen oft nur eine substanzlose Hülle sind und als ein Vehikel für die Verteilung von Patronage funktionieren. Der Apartheidstaat hielt bis 1994 die Welten der »modernen« und patrimonialen Herrschaft gewaltsam auseinander und beschränkte sich in den schwarzen Townships meist auf reine Repression. Auf welche Weise können die »politics of affection« (Goran Hyden) in eine institutionalisierte Form gebracht werden, die breite politische und soziale Teilhabe garantiert? Das ist vielleicht eine relevantere Frage für die zukünftige Entwicklung Südafrikas als jene nach einem möglichen Linksschwenk und dem Bruch mit dem Neoliberalismus.