Der geile Silberpfeil

Das Überauto von McLaren-Mercedes wird in Deutschland stolz als weiterer Beweis der Überlegenheit der heimischen Autoindustrie präsentiert: Gebaut wird es allerdings in England

"Wenn dieses Rennen Sport gewesen sein soll, dann wird es für mich höchste Zeit, über Blumen-Ausstellungen zu berichten", erklärte ein australischer Kommentator nach dem Formel 1-Saisonauftakt in Melbourne am vorletzten Wochenende. Mikka Häkkinen hatte gerade seinen zweiten Grand-Prix-Sieg (wie schon den ersten am Ende der letzten Saison in Jerez) von seinem Teamkollegen David Coulthard geschenkt bekommen. Der führende Schotte winkte den Finnen in der dritten Runde vor Schluß demonstrativ an sich vorbei - schon vor dem Start war innerhalb des Teams eine Abmachung getroffen worden, die besagte, daß der Mercedes-Fahrer, der in der ersten Kurve vorne lag, vom anderen bis zuletzt nicht angegriffen werden sollte. Als Häkkinen den Vorteil der Pole-Position nutzen konnte, war er eigentlich schon der designierte Sieger. Alle anderen Fahrer, inklusive Weltmeister Jacques Villeneuve, mußten den Staub der Silberpfeile fressen und wurden schließlich sogar überrundet. Dann jedoch machte das McLaren-Mercedes-Team einen Fehler und bestellte Häkkinen irrtümlich in die Box, ohne auf Reifenwechseln vorbereitet zu sein; Mikka verlor die Führung an seinen Teamgefährten, der ihn dann jedoch doch gewinnen ließ.

Die Wetter reagierten auf den geschenkten Sieg ziemlich erbost, denn während David Coulthard schon zu Saisonbeginn immerhin als dritter Favorit auf den Weltmeistertitel gehandelt wurde, räumten die Buchmacher Mikka Häkkinen mit einer Wettquote von 1:20 lediglich Außenseiterchancen ein. Diejenigen, die ein paar Pfund auf einen Rennfahrer setzen, zählen allerdings im Millionengeschaft namens Formel 1 nicht - dort geht es um mehr als darum, winzige Wetten abzuschließen. McLaren-Mercedes Rennleiter Norbert Haug erklärte dazu: "Für die Favoritenrolle gibt es keine WM-Punkte."

Als Coulthard im Jahr 1997 das Rennen von Melbourne gewann, mußte er umgerechnet 55 000 Mark an seinen Teamchef Ron Dennis zahlen: Unter der Bedingung, daß der Schotte ihm im Falle des ersten Sieg für das neue McLaren-Mercedes Team die oben genannte Summe überreicht, hatte Dennis achtzehn Monate vorher bei einer Autosport-Gala einen Kilt getragen. Coulthard zahlte den sprichwörtlichen "Peanuts"-Betrag sofort .

Die Deutschen gehen bekannterweise sparsamer mit Geld um: Eine ähnliche Wette mit Mercedes-Chef Norbert Haug zog für Coulthard keinen finanziellen Schaden nach sich, er muß beim am 29.März in Brasilien stattfindenden Grand Prix lediglich mit silbern gefärbten Haaren fahren, einer Farbe, die als Symbol für die glorreichen Tage der Mercedes-Silberpfeile in den dreißiger und fünfziger Jahren steht.

Symbolismus prägt die deutsche Psyche. Das Team McLaren-Mercedes wird deshalb in Deutschland als Mercedes vermarktet. Von den anderen am Team Beteiligten findet kaum einer Erwähnung, es sei denn, etwas funktioniert nicht plangemäß. Das ähnelt der Situation, in der sich der deutsche Nationalspieler Fredi Bobic befindet: Jedesmal, wenn er ein schlechtes Spiel für Deutschland absolviert, wird er von den Kommentatoren als "gebürtiger Slowene" identifiziert. Spielt er hingegen gut, darf er "Deutscher" genannt werden.

Kein Wunder also, daß die deutschen Medien in Erregung verfallen, sobald Mercedes auf dem Bildschirm erscheint. Der Silberpfeil ist einfach geil und alle lieben einen Gewinner, im besonderen einen deutschen Gewinner. Der MP4-13 Wundermotor mit 780 PS ist aber keinesfalls, wie überall in der deutschen Presse behauptet wird, ein Meisterwerk deutschen Know-Hows: Er wurde in Brixworth, England, von einer Firma namens Ilmor Engineering konstruiert. Mercedes-Benz kaufte sich im Frühjahr 1994 eine Beteiligung an Ilmor, um so ein erfolgreiches Product Placement in der Formel 1 zu ermöglichen. Der jetzt von Ilmor konstruierte Motor wird von Experten als der "stärkste im gesamten Feld" eingeschätzt, zudem steckte man viel Geld und viel Arbeit in die neue Saison: "Keiner hat so viele Ingenieure auf die Interpretation und Ausnutzung der neuen Regeln für 1998 aufgewendet wie McLaren-Mercedes", erklärte der ehemalige Weltmeister Keke Rosberg den Erfolg des Teams, das gleich 60 Ingenieure neu verpflichtete. Die entwickelten auch ein zusätzliches Bremssystem, das von den meisten Teams als "illegal" bezeichnet wurde - nach dem McLaren-Sieg in Melbourne. Dabei fahren Häkkinen und Coulthard schon seit sechs Monaten damit herum, nun aber, wo sie gewinnen, ärgert sich die Konkurrenz sehr über das System, das eine Beschleunigung ohne durchdrehende Räder ermöglicht. Haug sieht den Protesten gelassen entgegen: "Schließlich geht es bei uns nicht ums Bremsen, sondern ums Schnellfahren."

Falls der Protest, was sehr unwahrscheinlich ist, Erfolg haben sollte, dann findet sich allerdings ganz sicher ein nicht-deutscher Schuldiger. Denn nur der Erfolg ist deutsch: Der hervorragende Ilmor-Motor, der besonders klein und leicht ist, wird einfach als deutsches Erzeugnis angesehen. Diese Praxis nennt man in der Motoren-Industrie "Engine-Badging", die Hauptsache ist, daß der Name Mercedes-Benz mit Erfolg und Überlegenheit verbunden ist. Die einheimischen Medien spielen fröhlich mit, denn auch für sie fällt etwas ab: Deutscher Erfolg verbessert die Quoten und die Auflage gleichermaßen.

So lautete denn auch die Hauptforderung nach dem überlegenen Sieg der Silberpfeile in Melbourne: Michael Schumacher muß bei einem deutschen Team an den Lenker. Daß McLaren-Mercedes offensichtlich auch ohne ihn gut zurecht kommt, spielt dabei keine Rolle. "Mir reicht der Glanz eines ersten und zweiten Platzes von Mikka und David vollauf", erklärte Haug zwar, "ich fände es fair, wenn jetzt mal jemand kommt und uns gratuliert, daß wir zu unseren Fahrern gestanden haben." Schnell fügte er hinzu: "Das ist nicht gegen Schumacher gerichtet."

Schumacher, der in Melbourne gerade sechs Runden fahren konnte, bevor sein Motor die Arbeit einstellte, hat einen Vertrag mit Ferrari, der es ihm erlaubt, in der nächsten Saison zu einem anderen Team zu wechseln, wenn er nicht Weltmeister wird. "Mit Ferrari den Titel zu holen, das ist das Größte für jeden Rennfahrer", hatte er immer wieder erklärt, und auch Gianni Agnelli sieht das wohl ähnlich: Er bot Schumacher einen neuen Vertrag an, der bis zum Jahr 2002 gelten soll. Darin werden Schumacher zusätzliche 150 Millionen Mark geboten - er ist jetzt schon mit 65 Millionen Mark Jahreseinkommen Spitzenreiter der Formel 1, Weltmeister Jacques Villeneuve und der Ex-Titelträger Damon Hill verdienen mit umgerechnet 15 Millionen weit weniger als er. Sorgen um seine Zukunft muß sich Schumacher also nicht machen. Und darum, daß sein Sport in absehbarer Zeit für das Publikum an Reiz verlieren könnte, wohl auch nicht. Denn obwohl die Formel 1 durch die in dieser Saison in Kraft getretenen Regeländerungen (u.a. schmalere Wagen, Verbot von profillosen Reifen) zusehends langweiliger wird, das Überholen fast unmöglich ist und Mannschaftskameraden wie Häkkinen und Coulthard nicht mehr miteinander konkurrieren dürfen, steigt das Interesse der Öffentlichkeit.

Der Formel 1-Chef Bernie Ecclestone versteht einiges von Marketing: "Als Ayrton Senna gestorben ist, stieg das Interesse an der Formel 1 gewaltig. In diesem Sinne existiert keine schlechte Publicity, die Aufmerksamkeit der Menschen vervielfacht sich." Die Formel 1 entwickelt sich langsam zu einem Globalsport. In Zukunft soll es 18 Rennen pro Jahr geben, als neue Austragungsländer sind unter anderem Korea, China, Indonesien und die USA im Gespräch - eine wirkliche Weltmeisterschaft mit riesigen Verdienstmöglichkeiten ist im Entstehen begriffen. Schon heute sind mehr als 50 000 Arbeitsplätze in Großbritannien, wo 90 Prozent aller Teams ihren Hauptsitz haben, direkt von der Formel 1 abhängig. Für den rastlosen und unglaublich reichen Ecclestone wäre es nun vielleicht an der Zeit, seine Formula-1 Holding Company mit einem geschätzten Wert von zweieinhalb Milliarden Mark zu verkaufen.

Sein Plan, die Formel 1 als Weltsport zu vermarkten, funktioniert reibungslos: Die internationalen Medien verfolgen Lemmingen gleich jeden Schritt der rasenden Wirtschaftsausstellung, über alles wird berichtet, selbst in den rennfreien Wochen. Für die Autoindustrie bedeutet dies wunderbare Öffentlichkeitsarbeit für wenig Geld. Und wenig damit verbundenes Risiko.

"Formel 1 ist jetzt genau so gefährlich wie Bungee-Jumping", hatte Weltmeister Jacques Villeneuve schon vor Saisonbeginn erklärt, das erste Rennen hat dem Kanadier recht gegeben. Die guten alten Zeiten, als Männer sich wie Männer benommen haben und Stiefmütterchen der Name einer Blume war, sind längst Geschichte: Rennstrecken wie der Nürburgring mit seiner furchterregenden Nordschleife, die die Fahrer dazu zwangen, mit dem Tode zu spielen, um einen Sieg zu erringen, passen nicht ins profitmaximierte Bild.

Dank des neuen Regelwerkes bleiben der Formel 1 zukünftig Szenarien wie die Gerichtsverhandlung, mit der der Tod von Ayrton Senna im Imola aufgeklärt werden sollte, erspart. Sennas damaliger Team-Chef Frank Williams war erst im Dezember letzten Jahres von der Anklage des Totschlags an dem 1994 tödlich verunglückten Brasilianers freigesprochen worden ist. Der wahre Gewinner dieser Saison wird nicht Mc Laren-Mercedes oder Ferrari sein, sondern die Autoindustrie an sich. Das bewies auch die Behandlung von Coulthard und Häkkinen: Laut Team-Chef Ron Dennis erhielten beide Fahrer die Siegerprämie.