Der brasilianische Film »Tropa de Elite«

Foltern im Namen des Rechts

»Tropa de Elite« ist der kontroverseste Film der letzten Jahre. In den Favelas von Rio sorgt eine Elitetruppe für Ordnung. Dafür ist ihr jedes Mittel recht.

Im Vergleich mit anderen lateinamerikanischen Ländern steht Brasilien eigentlich ganz gut da. In Honduras hat vor kurzem das Militär geputscht, Mexiko versinkt in Drogenkriegen, Argentinien steckt mal wieder in der Rezession, Brasilien erscheint da wie ein wahres Eldorado. Wirtschaftlich geht es schon seit Jahren aufwärts, die Menschen scheinen zufrieden mit ihrem Präsidenten, neben Indien und China gilt das Land als eine der Nationen, die in naher Zukunft eine größere Rolle spielen könnten. Das ist die eine Seite.
Die andere ist, dass sich auch in Brasilien die Schere zwischen arm und reich immer weiter öffnet und São Paulo und Rio de Janeiro immer noch auf den Statistiken mit den gewalttätigsten Städten der Erde ganz oben geführt werden. Und immer wieder ist die Rede von Todesschwadronen, die sich auf ganz spezielle Art und Weise um soziale Verwerfungen in den Molochen Brasiliens kümmern.
Der Film »Tropa de Elite« von José Padilha, der auf der Berlinale im letzten Jahr den Goldenen Bären gewonnen hat, legt den Finger in die offene Wunde Brasiliens, bohrt darin herum und hat in den vergangenen Monaten für aufgeregte Debatten und Kontroversen gesorgt, wie es die Kunstform Kino nur ganz selten schafft. Wie schon der andere berühmte Film aus den Favelas Brasiliens, »City of God«, beleuchtet er gesellschaftliche Zustände, die schockierend sind, »Tropa de Elite« liefert ein Bild von Rio, wie es vergleichbar nur Martin Scorsese mit seinem »Taxi Driver« von New York entwarf. Das Rio in »Tropa de Elite« hat rein gar nichts mit der Copacabana, mit Samba und Karneval zu tun. Vielmehr geht es um ein ultragewalttätiges Rio, das von Korruption zerfressen ist, in dem Menschenleben nichts zählen und das sich als Schreckensvision nicht bloß in den Favelas findet, den Ghettos, in denen man eh verloren hat, wenn man dort landet. Die ganze gesellschaftliche Ordnung in Brasiliens Metropole ist marode. Alle sind schuldig in diesem Film, die Gangsterbosse genauso wie die Polizei und die naiven Studenten aus den Reichenvierteln, die sich zwar in Foucault-Seminaren gegen Polizeigewalt wenden, aber mit jedem Kauf beim Kleindealer die mafiösen Strukturen und die Mörderbanden in den Favelas unterstützen.
Klar, dass sich Padilha mit seinem Film, der wohl erfolgreichsten brasilianischen Produktion aller Zeiten, überall Feinde gemacht hat. Die Elite-Einheit BOPE, deren Arbeit und Struktur in »Tropa de Elite« dokumentiert wird, wollte den Film erst verbieten lassen, weil sie sich dagegen verwahrte, die rabiaten Foltermethoden anzuwenden, die ihr von Padilha unterstellt werden. Was der CIA das water-boarding ist, das ist den Cops in den Favelas anscheinend eine Plastiktüte, die der Gefolterte über den Kopf bekommt, bis ihm die Luft knapp wird.
Doch inzwischen wird in Brasilien längst darüber diskutiert, ob der Film die Machenschaften der BOPE, einer militärisch gedrillten Truppe, die sich selbst für die härteste der Welt hält und einen Totenkopf als Markenzeichen hat, nicht eher gutheißt, angesichts der Gewalt, gegen die sie mit Gegengewalt fast schon folgerichtig vorgeht. »Tropa de Elite« sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, gar faschistoid zu sein, auch weil die Identifikation des Zuschauers über Captain Nascimento funktioniert, den Anführer einer BOPE-Einheit. Sein Blick auf die Favela, der Blick des Chefs des Totenkopf-Kommandos, ist auch der Blick des Zuschauers. Faschistoid – diesen Vorwurf an seinen Film hält Padilha wiederum für absurd, der für sich in Anspruch nimmt, eher abbilden als werten zu wollen, und dessen erklärtes Ziel es war, im Zeigen von Polizeigewalt auch automatisch eine Kritik daran zu formulieren.
Die Debatten um den Film »Tropa de Elite«, den schon zwölf Millionen Brasilianer auf Raubkopien gesehen hatten, bevor der Film überhaupt regulär in die Kinos kam, sind trotzdem nur zu verständlich. Denn der Film ist wirklich hart und roh, ergeht sich in detailliert gezeigten Folterszenen, verwirrt allein schon durch seinen umständlich erzählten Plot und sucht ganz offen genau die Kontroverse, die er ausgelöst hat. Er knallt wie ein Baille-Funk-Stück, wie dieser Ghettotech, der in den Favelas mit Hilfe eines billigen Samplers zusammengeschraubt wird und der für musikalische Feinheiten keinen Sinn hat. Seine Bilder sind grobkörnig und wackelig, für Feinheiten, auch was die Erzähltechnik betrifft, hat er keinen Sinn.
Der Film zermürbt einen so sehr, weil er beim Zuschauer Moralvorstellungen erschüttert, weil er ihm sein Urvertrauen in Recht und Gerechtigkeit nimmt, weil jeder in dieser Mega-City Rio immer Opfer und Täter gleichzeitig ist. Wo ist der Weg raus aus diesem Wahnsinn, aus dem Ausnahmezustand, der die Normalität ist? Es scheint ihn nicht zu geben.
Padilha wurde vorgeworfen, es sich zu leicht gemacht zu haben in seiner Beobachterposition, in der er auf eine bestimmte Haltung verzichtet. Dabei sollte man dem Regisseur dankbar sein für diesen unbequemen Film, der dem Zuschauer etwas abverlangt und der die Richtung des Diskurses, den er skizziert, nicht vorgibt. Gerade im Verzicht auf Schwarzweißmalerei liegt die Urgewalt begründet, mit der der Film die Leinwand erfüllt.
Man fühlt sich in »Tropa de Elite« auch so unwohl, weil kein Außen angeboten wird, niemand, der für das Schlachtfeld in den Favelas verantwortlich gemacht werden könnte. Die Macht, die das Treiben steuert, bleibt unsichtbar, man kann sie bloß erahnen. Immerhin hat die BOPE ja einen bestimmten Auftrag, »Tropa de Elite« spielt 1997, Papst Johannes Paul II. hat sich für einen Besuch in Rio angekündigt, zumindest so lange soll Ruhe in den Slums herrschen. Wie, mit welchen Methoden für diese Ruhe gesorgt wird, diese Frage, so lässt sich vermuten, ist eher nachrangig für die Auftraggeber der BOPE, für die unsichtbare Macht, den Staat, das Kapital, die Eliten, die Reichen, für wen auch immer.
José Padilha hat erklärt, sein Film sei nicht historisch, nur weil dieser vor über zehn Jahren spiele. Er sagt, heute gehe es so schlimm, korrupt und menschenverachtend in den Favelas von Rio zu wie damals. Mindestens.

José Padilha: Tropa de Elite. Brasilien 2007. Start: 6. August