Diedrich Diederichsen

»Diedrich Diederichsen Machen Schwänze Politik?«

Der Publizist, Pop- und Kunsttheoretiker Diedrich Diederichsen lehrt an der Merz Akademie Stuttgart und am Art Center Pasadena. In seinem Buch "Politische Korrekturen" (Köln 1996) hat er sich mit dem Kampf der US-amerikanischen und deutschen Rechten (und Linken) gegen PC befaßt und Vorschläge gemacht, wie man den Begriff Political Correctness produktiv und dekonstruktiv einsetzen könnte.

Wenn wir der Tageszeitung Libération glauben dürfen, hängt das Schicksal des Planeten momentan am Schwanz von Bill Clinton.

Libération ist ein Blatt, das manchmal eine politische Philosophie verfolgt, bei der man sich vorstellen kann, daß nicht nur große Männer Geschichte machen, sondern auch große Schwänze. Aber daß Clinton so ein großer Mann ist - im macho-schulterklopfenden wie auch im politischen Sinne - glauben wir vermutlich alle nicht. Von daher hängt das Schicksal also weder an seinem Schwanz, noch hängt es den Rest der Zeit an Jelzins Wodka-Flasche. Abgesehen davon, ist es so, daß es nicht der Schwanz wirklich ist, sondern die Straftatbestände Anstiftung zum Meineid und sexuelle Belästigung, und die hängen ja gar nicht so unmittelbar mit seinem Schwanz zusammen, sondern eher mit einer Arroganz der Macht inm alten Sinne, sich nämlich ganz sicher zu sein, nicht erwischt werden zu können.

Darf sich die Linke freuen, wenn der amerikanische Präsident in Schwierigkeiten gerät?

Das ist eine linke Freude, die eigentlich kaum noch möglich ist, weil sie einen in Konstellationen hineinversetzt, die man so nicht mehr hat. Dieser "mächtigste Mann der Welt" ist, soweit man ihn individuell verantwortlich machen kann, nicht den ganzen Tag damit beschäftigt, Dinge zu tun, für die die Linke ihn hassen müßte. Er ist z.B. kein Vertreter der "Moral Majority" oder der fundamentalistischen Christen, so daß ich nicht weiß, ob sich die Linke darüber freuen kann, wenn dieser Mann jetzt dringend schnell ersetzt würde.

Und dann ist es natürlich so, daß genau in dieser Verknüpfung zwischen mächtigster Mann der Welt und Sexualdelikt diese Freude über mißlingende Repräsentation auftaucht, die in der Tat unangebracht ist. Man hatte das ja bereits bei Kohl-Witzen, wo sich die Linke auch darüber freute, daß einer bestimmten Sorte Macht die Repräsentation mißlingt, ohne zu merken, daß eben diese Sorte Macht so eine Repräsentation, wie man sie noch aus älteren Staatswesen und Konfigurationen von Macht kannte, gar nicht mehr braucht. Es ist der Macht schnurzegal, ob da ihr Repräsentant mit dem berühmten raushängenden Schwanz erwischt wird oder nicht. Und die Subjekte, die entrüstet sein könnten und an ihm oder der Macht schlechthin zweifeln könnten, sind eben alle diese beliebten, oft zitierten zynischen Untertanen, denen es auch schon egal ist.

Wie kommt es dann, daß diese "Zippergate"-Affäre ...

Den kannte ich noch nicht

... daß die eine mittlere Staatskrise auslöst, was die seit Jahren schwelende "Whitewatergate"-Immobilien-Affäre nicht geschafft hat?

Da bin ich dann wieder geradezu gerührt von bestimmten Aspekten des amerikanischen Systems, daß halt juridische Tatbestände doch eine viel entscheidendere Rolle spielen. Es hat immer den Anschein, als ginge es darum, daß der Mann irgendwie seinem Image schaden würde, wenn er da als Geilhuber auftaucht. Aber nein, darum geht es nicht. Tatsächlich hat er das all die Jahre unbeschadet überstanden. Aber jetzt geht es um Meineid. Sex haben ist nicht verboten, nicht einmal für amerikanische Präsidenten. Sofern beide Beteiligten nicht dazu gezwungen worden sind, und das hat bei Monica Lewinsky den Anschein. Wenn es so gewesen ist, wie man es Clinton vorwirft, daß er die Lewinsky zum Schweigen angestiftet hat, dann hat man die Spiegelung des Nixon-Falles, wo auch die Verhinderung der Aufklärung durch die Untersuchungsbehörde das eigentliche Vergehen war.

Es riecht ein bißchen nach Verschwörung: Das FBI hängt drin, der Sonderermittler Starr scheint seine Kompetenzen weit zu überschreiten, und die Frauen sehen alle gleich aus.

Daß die Frauen alle gleich aussehen, hat sicherlich viel zu tun mit so einer Washington-Style-Habitus-Sache. Wenn man das literarisch weiterspinnt, sind das Styles, wie sie gerade dem Parvenü aus dem Süden gefallen müßte: so'n bißchen aufgedonnert-bombastisch, mit Frisuren wie in "Dallas". Daß die alle diese Features haben, paßt zu dem Clinton-Mythos. Aber so ein funktionierender Mythos zeichnet sich gerade dadurch aus, daß er nicht angestiftet ist und daß keiner dahintersteckt, der die Fäden gezogen hat.

Ich glaube auch eher, daß der Versuch, Clinton über Affären und Skandälchen zu erledigen, schon so irre lange läuft, daß die Beteiligten, die in diese Richtung arbeiten, schon längst aus so vielen Rohren wie möglich feuern. Scheißegal, irgendwo, irgendwann wird diese extrem gute Verteidigung und diese "Slick Willy"-hafte Glattheit einmal verwundbar sein.

Um mal auf den PC-Aspekt zu kommen: Die Geschichte mit Paula Jones, der angeblich erzwungene "Blow Job", aber mehr noch die Sache mit der Praktikantin Lewinsky weisen Merkmale der "Date Rape"-Debatten aus den Achtzigern und der späteren PC-Debatte auf, sprich: Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen. Und Clinton scheint das ja bewußt zu sein, wenn er dementiert, eine "inkorrekte" Beziehung zu Lewinsky zu haben. Ist dieses geschärfte Bewußtsein schon als Erfolg der PC-Strategie zu werten?

Das ist sozusagen eine feministische Urforderung, auf die Rolle von Abhängigkeitsverhältnissen bei solchen sexuellen Beziehungen zu gucken, und eigentlich nicht unbedingt eine PC-Forderung. Sinnvoll wäre es, zwischen feministischen Basisforderungen zu unterscheiden, die schon seit den frühen Siebzigern laut und bekannt sind, und der "Date Rape"-Debatte, wo es darum geht, daß die sozialen Konventionen den Übertritt zur Vergewaltigung überdecken. Während dieses Verhältnis eines Präsidenten zu einer Praktikantin etwas ist, was wahrscheinlich auf sexistisches Ausnutzen von Machtverhältnissen hindeutet, aber nicht unbedingt auf Date-Rape.

Von Paula Jones ist bekannt, daß hinter ihrer Kampagne Organisationen wie das stockkonservative Rutherford-Institut oder die rechte Wählergruppe "Moral Majority" stehen. Ist PC in diesem Zusammenhang ein besonders wirkungsvolles Instrument der Rechten, dessen man sich schlicht bedient?

Nein, das ist ja nicht PC, sondern der viel ältere Libertinage-Vorwurf, den man in Deutschland seit den Tagen Willy Brandts kennt, der von Rechts immer schon automatisch gemacht wurde. Irgendwelchen Linken oder Demokraten wurde halt immer wer ins Bett gelegt. Für die "Moral Majority", deren Sexualpolitik ja bekannt ist, war das ein gefundenes Fressen. Ich habe dagegen noch nie gehört, daß Richard Nixon ein Sexmaniac gewesen sein soll. Ich weiß es nicht, und keiner weiß es. Es interessiert auch keinen. Und auch Oliver Stone macht sich nicht die Mühe, in der Hinsicht mal nachzuforschen, weil's einfach auch nicht dazu paßt. Während John F. Kennedy, Willy Brandt usw., die dem Liberalismus, der politischen Mitte oder der Sozialdemokratischen Partei zugeordneten Leute also, immer mit so etwas in Verbindung gebracht werden. Die klassische Konstruktion ...

Der klassische Gigolo...

Gottlose Wüstlinge eher. Dahinter steckt immer die Behauptung: Der erste Mann des Staates ist ein Nicht-Christ, ein nicht vaterländisch-christlicher Gesell, und folglich hält er sich auch nicht an das heilige Sakrament der Ehe und fickt in der Gegend rum. Die feministische Kritik wäre damit kaum zu verwechseln, da sie die Machtbeziehung beim Ficken, dem ehelichen wie dem außerehelichen, in gleicher Weise untersucht und ihr dieser für Fundamentalisten wichtige Unterschied relativ egal ist. Es geht ja im Gegenteil gerade darum, die Vergewaltigung in der Ehe dem Schutz durch dieses Sakrament zu entreißen. Daß diese beiden Attacken auf einen wie Clinton oder auch einen wie Brandt zusammenpassen, daß sie ein strategisches Bündnis ergeben könnten, ist ja nun der klassische, aber falsche Vorwurf an den Feminismus und an PC. Nämlich daß sie ihrerseits der Prüderie der Rechten zuarbeiten.

Es ist ja nun auch schon oft thematisiert und diskutiert worden, daß dem a) nicht so ist und daß man b) nicht darum herumkommt, diese Kritik von den üblichen rechten Attacken zu unterscheiden. Trotzdem wird dieses Argument von allen populären PC-Bekämpfern immer wieder gerne ausgenutzt, am allerprominentesten und ekelhaftesten dann wieder von Dietrich Schwanitz und Sönke Wortmann im upcoming deutschen Anti-PC-Klassiker "Der Campus" bzw. in seiner Verfilmung.

Ist Paula Jones dann also nicht die abgewandelte Neuauflage der in den frühen Neunzigern als "Feminazis" diffamierten hysterischen Feministinnen, nur mit dem Unterschied, daß sie heute tatsächlich mit Rechtsfundamentalisten im Bunde steht?

Mein vager Eindruck von ihr ist eher, daß das echt ein armes Hascherl ist und als solches natürlich gern vom Rutherford-Institut benutzt wird. Diesmal war das mehr so ein Schlagabtausch, wo man eigentlich die Vertreter aller Rollen schon kannte.

Also eher ein abgeschmacktes Boulevardstück als ein gut inszenierter rechter Takeover?

Ich glaube, daß die wesentlichen Motive, also auch die heruntergekommenen und stereotypisierten Motive der PC-Debatte darin eigentlich gar nicht vorgekommen sind, bis jetzt. Das könnte alles jetzt noch kommen, wo das ganze viel ernster wird, und viel mehr dranzuhängen scheint.

Läßt sich das Ganze auf Deutschland übertragen oder erst wieder mit Schröder oder Lafontaine als Kanzler?

Mit Schröder ist das ja strukturell ähnlich gelaufen. Auch da gab es sowas wie eine vielleicht nicht ganz unberechtigte feministische Solidarisierung mit Hillu, die darauf hinauslief, daß es sich bei Schröder um genau diesen Charakter handelt, den wir ja schon kennen: den sozialdemokratischen Hallodri. Aber ich glaube, bei Schröder stimmt alles, was man ihm vorwirft, der hat tatsächlich zu allem Überfluß auch noch den Wechsel von einer noch irgendwie in sozialen Dingen engagierten Frau zu einer Focus-Journalistin vollzogen. Damit hat er die Koalitionen, die er zu schaffen gedenkt, quasi präfiguriert.

Kohl könnte so etwas aber nicht passieren?

Es ist probiert worden. Das war diese Geschichte mit dem Eier-Aufschlagen, falls sich irgendjemand daran erinnert. In den frühen Achtzigern gab es eine Geschichte, die schrieb auch der Spiegel damals - über die Kohl-Mitarbeiterin Juliane Weber, und sie soll mit einer der Gründe sein, warum Kohl dem Spiegel grundsätzlich kein Interview gibt. Weber ist seit Ewigkeiten seine Chefsekretärin, seine rechte Hand und was auch immer. Über die hieß es dann irgendwann, sie sei seine Geliebte. Und an einer anderen Stelle dann noch mal, süffisant, typisch Spiegel-Männerwitze-mäßig formuliert, sie würde ihm morgens "die Eier aufschlagen". Diese Geschichte wurde auch nicht weiter verfolgt, weil - und das ist auch so ein Punkt: Niemand will sich das vorstellen, und niemand will das wissen. Das ergibt einfach keinen Film. Auch Oliver Stone, oder die deutsche Entsprechung, würde daran scheitern. Es ist irgendwie in der Erzählung von Helmut Kohl nicht vorgesehen und hat nicht verfangen.

Ich glaube, daß jede Intervention dieser Art für die Linke schon allein dadurch zum Scheitern verurteilt ist, weil man sich dazu ja mit einer Sexualmoral gemein machen müßte, mit der man echt nichts zu tun haben will.