Cherchez l’ homme

Von der Wissenschaft bisher vernachlässigt - der Mann. Forscher nehmen die Sache jetzt selbst in die Hand. Ein Sammelband stellt Feministen und Antipatriarchale vor

Abschiedsszene bei einer Tagung männlicher Geschlechterforscher. Sagt einer: "Es war mir schon sehr wichtig, daß wir in unseren Gruppennamen nicht nur den Begriff Männer-, sondern auch Geschlechterforschung aufgenommen haben." Sagt ein anderer: "Ja, sonst hätte ich mir auch wieder Ärger mit meiner Lebensabschnittsgefährtin eingehandelt." Die Umstehenden nicken verständnisvoll.

Dieser Szene, die sich beim Gründungstreffen der bundesweiten "Arbeitsgemeinschaft Männer- und Geschlechterforschung" im Dezember 1997 in Berlin zutrug, spiegelt den Konflikt der noch relativ jungen Wissenschaftschaft: Einerseits an der feministischen Frauenforschung orientiert, andererseits die spezifisch männlichen Interessen an einer Überwindung patriarchaler Verhältnisse betonend, ist sie stets auch um Abgrenzung von den sogenannten "normalen" Männern bemüht, um den (feministischen) Verdacht nicht zu nähren, es handele sich um einen Männerbund.

Anders als im angelsächsischen Rauwo sich die Men's Studies in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre in der Hochschullandschaft zu etablieren begannen, existiert eine "Männerforschung" hierzulande erst in Ansätzen. Während in den USA bereits notwendige organisatorische Differenzierungen gegenüber dem Feminismus vollzogen sind, ist man in Deutschland noch redlich bemüht, die wenigen geschlechterforschenden Männer miteinander ins Gespräch zu bringen. Und während in den USA mit Masculinities das bislang bedeutendste Periodikum sein Erscheinen wohl schon wieder einstellen wird, existiert in Deutschland bislang nicht mehr als der Rundbrief des Arbeitskreises Kritische Männerforschung.

In diesem Arbeitskreis sind auch die Herausgeber des bislang einzigen deutschsprachigen Buches zu "Kritischer Männerforschung" organisiert. Entsprechend dem hiesigen Diskussionsstand handelt es sich bei dem Buch um ein einführendes Werk, das einerseits Grundlagentexte aus der internationalen Debatte vorstellen will, andererseits in eigenen Beiträgen die Entwicklung kritischer Männerforschung im deutschsprachigen Raum voranbringen will.

In einem einführenden Aufsatz diskutiert Willi Walter Inhalte, Ziele und Motive kritischer Männerforschung. Zentral erscheint ihm das politische Selbstverständnis von Geschlechterforschern. Er unterscheidet zunächst männer- und frauenidentifizierte Ansätze. Während die einen Männern ein Eigeninteresse an der Aufhebung sexistischer Strukturen zuschreiben, weil Männlichkeit neben materiellen Vorteilen und Privilegien auch negative Folgen im psychischen sowie gesundheitlichen Bereich mit sich bringe, verstehen die anderen ihre Arbeit als Beitrag zum feministischen Projekt. Sie schreiben Männern ein eindeutiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Patriarchats zu. Zwar könnten auch Männer unter den Geschlechterverhältnissen leiden, würden aber nicht als Männer unterdrückt. Zudem kritisieren sie die männeridentifizierten Ansätze als zu subjektivistisch und psychologisierend.

Walter favorisiert dialektische Ansätze, "die bewußt versuchen, beiden Perspektiven gerecht zu werden". Er bezieht sich damit ausdrücklich auf einen ebenfalls im Band abgedruckten Grundlagentext des Kanadiers Michael Kaufman. Unter dem Titel "Die Konstruktion von Männlichkeit und die Triade der männlichen Gewalt" versucht Kaufman eine Analyse patriarchaler Männergewalt. Er versteht Männlichkeit als ein machtverleihendes, aber dennoch fragiles gesellschaftliches Konstrukt, das nur durch permanente individuelle Reproduktion aufrechterhalten werden könne. Gefühlen von Unsicherheit, Angst und Ohnmacht würden Männer mit Gewalt begegnen, worin sich ein Dreiecksverhältnis auspräge: als Männergewalt gegen Frauen, gegen andere Männer (insbesondere Homosexuelle) und gegen sich selbst.

Daß "Männlichkeit" keine homogene Kategorie kennzeichnet, arbeiteten Mitte der achtziger Jahre Tim Carrigan, Robert Connell und John Lee in ihrem Text "Ansätze zu einer neuen Soziologie der Männlichkeit" heraus. Die Auseinandersetzung mit der machtblinden Geschlechterrollentheorie brachte sie zu einem differenzierteren Modell der herrschenden Geschlechterordnung. Sie stellen hier erstmals das Konzept der "hegemonialen Männlichkeit" vor, das seither vor allem von Connell unter Rückgriff auf Gramsci weiterentwickelt wird. "Hegemoniale Männlichkeit" meint, daß gesellschaftlich eine ganze Palette von "Männlichkeiten" existiert. Die verschiedenen Ausformungen stehen zueinander und zu Frauen in vielfältig ausgeformten Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Auch wenn nur ein kleiner Teil der Männer dem hegemonialen Modell real entspricht, so sind doch die meisten daran orientiert, da über das hegemoniale Modell die durchgängige Unterdrückung von Frauen als Frauen organisiert ist.

Daß allerdings das Konzept der hegemonialen Männlichkeit innerhalb der kritischen Männerforschung noch viel zu wenig berücksichtigt wird, zeigt wiederum der Beitrag von Joachim Schröder. Er verweist in seinem Forschungsbericht "Ungleiche Brüder" auf die bedeutenden Unterschiede der "Männlichkeiten" in verschiedenen sozialen und kulturellen Milieus. Männerforschung müsse sich, analog zu den theoretischen Entwicklungen innerhalb der Frauenforschung, endlich auch über den Horizont weißer, heterosexueller Mittelschichtsbiografien hinausbewegen.

In seinem sehr lesenswerten Beitrag über das Verhältnis von Geschlechterkonstruktion und Körperwahrnehmung stellt schließlich Christian Rüter die Daseinsberechtigung einer eigenständigen Männerforschung grundsätzlich in Frage. Er zeichnet die deutsche Rezeption von Judith Butlers Versuch der Dekonstruktion des biologischen Geschlechts nach und kritisiert in diesem Zusammenhang die mangelnde Reflexion der Konstruktion von Geschlechtsidentitäten innerhalb der Männerforschung. Rüter bemängelt, daß die heutige Männerforschung in ihrem gängigen Selbstverständnis zu sehr an vermeintlich "männlichen Eigenschaften" orientiert sei und damit tendenziell herrschende Machtverhältnisse reproduziere.

Der vorliegende Sammelband gibt keinesfalls ein charakteristisches Bild dessen ab, was sich in Deutschland gegenwärtig als Männerforschung versteht, darauf verweist schon die Beifügung "kritisch". Gerade das aber macht seine Stärke aus. Alle Beiträge betrachten feministische Theorien als zentrales, wenn auch nicht als unhinterfragbares Element der Analyse, fast ausnahmslos wird der Zusammenhang von Sexismus, Kapitalismus und Rassismus betont, an keiner Stelle verfällt man in eine machtnegierende Selbstbespiegelung, die für deutsche "Männerbewegungsliteratur" nicht gerade unüblich ist. Insofern werden die Herausgeber ihrem Anspruch gerecht, "Anknüpfungspunkte für eine weitere Auseinandersetzung bieten" zu können.

BauSteineMänner (Hg.): Kritische Männerforschung. Neue Ansätze in der Geschlechtertheorie. Argument-Verlag, Berlin, Hamburg 1996, 343 S., DM 29,80