Gelegenheit, Macht, Hiebe

Der Hamburger Polizeiskandal geht in die nächste Runde: Neue Vorwürfe gegen Beamte der Davidwache und Durchsuchung im Revier Lerchenstraße

Arbeit für das Hamburger Dezernat interne Ermittlungen (DIE). Vergangenen Freitag rückten dessen Beamte mit einem Durchsuchungsbefehl in der Wache 16 an der Lerchenstraße (St. Pauli) an. Eine halbe Stunde lang filzten sie Spind und Arbeitsplatz eines Polizisten, dem vorgeworfen wird, gemeinsam mit einem Kollegen einen Schwarzafrikaner mißhandelt zu haben. Zugleich wurde auch die Wohnung des Beschuldigten nach Beweismitteln durchsucht. Was die Beamten suchten und ob sie fündig wurden, darüber schweigt sich der Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft, Rüdiger Bagger aus, "um die Ermittlungen nicht zu gefährden". Nach seiner Auskunft wird den beiden Polizisten vorgeworfen, am 14. November "Körperverletzung im Amt" begangen zu haben. Sie und drei Kollegen - die offenbar Kenntnis von dem Vorfall hatten - wurden inzwischen an andere Wachen versetzt.

Der betroffene Afrikaner hatte noch am Tatabend Strafanzeige erstattet. Er sei von einer Zivilstreife zunächst in Gewahrsam genommen, dann aber irgendwo im Freien ausgesetzt worden. Dort sollen die Beamten den Mann geschlagen haben. Als Andenken behielt der Mann Prellungen und eine geplatzte Oberlippe zurück.

Der Übergriff ist alles andere als ein Einzelfall. Im Abschlußbericht des im November vergangenen Jahres fertiggestellten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Hamburger Polizeiskandal sind 286 Vorwürfe wegen strafbarer Handlungen gegen Beamte der Lerchenwache dokumentiert, davon allein 230 behauptete Fälle von Körperverletzung im Amt. In 40 Prozent aller im Bericht dokumentierten Fälle handelte es sich bei den Opfern um Ausländer, in den meisten weiteren um Personen "mit links-autonomem Bezug" aus dem Schanzenviertel - im Amtsjargon Personengruppen "mit geringer Beschwerdemacht".

Auch nachdem der parlamentarische Untersuchungsausschuß zum Hamburger Polizeiskandal die Akten im November 1996 schloß, reißt die Kette der Strafanzeigen gegen Polizeibeamte der Hansestadt nicht ab. Fast täglich ist das DIE mit neuen Vorwürfen konfrontiert. Allein in den vergangenen zwölf Monaten ermittelte die für Beamtendelikte zuständige Dienststelle in nicht weniger als 243 Fällen gegen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt. 110 dieser Verfahren wurden mittlerweile eingestellt. Meist mit der Begründung, daß eine Verurteilung der Beschuldigten nicht hinreichend wahrscheinlich sei, da Aussage gegen Aussage stehe. Denn Polizisten prügeln, auch das hat der Polizeiskandal gelehrt, nur selten in Anwesenheit ziviler Zeugen. Meist gilt das Motto: Gelegenheit, Macht, Hiebe.

Die 243 Ermittlungsverfahren erfassen nur einen geringen Teil der Übergriffe. Die meisten verlaufen ohne körperliche Gewalt. So stellte der Gambier Alasan N. vor einem Monat Strafanzeige wegen Nötigung und Freiheitsberaubung gegen Beamte der berühmten Davidwache an der Reeperbahn. Zwei Polizisten sollen ihn am 20. Oktober ohne Angabe von Gründen aufgefordert haben, die Hafentreppe zu verlassen. Als er der Aufforderung nicht augenblicklich nachkam, wurde er gegen seinen Willen ins Auto verfrachtet und zur Wache gekarrt.

Von den dort anwesenden Beamten sei er erst mit rassistischen Äußerungen beleidigt und anschließend gezwungen worden, sich auszuziehen, berichtet der 32jährige in seiner Strafanzeige. Da den Beamten die Entkleidung nicht schnell genug ging, soll der Gambier zu Boden gebracht und ihm der Arm auf den Rücken gedreht worden sein. Mehr als vier Stunden mußte der Mann, bei dem weder Drogen noch andere auf eine Straftat hinweisende Besitztümer gefunden wurden, in der Zelle verbringen. Den Grund dafür erfuhr er nicht. Auch seine Frau, der er versprochen hatte, den gemeinsamen Sohn vom Kindergarten abzuholen, durfte Alasan N. nicht anrufen.

Erst vor wenigen Tagen war bekannt geworden, daß Beamte der Davidwache am 4. Oktober dieses Jahres einen Mann ungerechtfertigt in Gewahrsam genommen und geschlagen haben sollen. Der 33jährige hatte im Halteverbot geparkt und war nach einem Streit mit einer Beamtin in die Wache gestürmt, um deren Dienstnummer zu erfahren. Dort bekam er nach eigener Aussage erst Handschellen angelegt und dann einen kräftigen Fausthieb ins Gesicht verpaßt. Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) war zwar postwendend über den Vorfall informiert worden, hatte ihn aber der Öffentlichkeit verschwiegen. Den Prügelpolizisten droht nun Ärger: Denn bei dem Mißhandlungsopfer handelt es sich nicht um einen Schwarzafrikaner, sondern um Freiherrn Bernhard von der R***, Sproß einer der ältesten und angesehensten deutschen Adelsfamilien.