Leoparden für den General

Der internationale Druck auf Chiles Ex-Diktator wächst. Belgien und die Niederlande ließen ein Rüstungsgeschäft wegen Pinochet platzen - dafür sprang Deutschland ein

Fast zwei Jahrzehnte lang hatte Diktator Augusto Pinochet Chile in seinem eisernen Griff. Nachdem das Militär 1973 unter seiner Führung mit einem blutigen Putsch die demokratisch gewählte sozialistische Regierung von Salvador Allende stürzte, blieb der General bis 1990 unumschränkter Herrscher. Nur widerwillig gab er die Macht ab, als die Chilenen in einer auf wachsenden nationalen und internationalen Druck hin durchgeführten Volksbefragung mit einem deutlichen Ja für die Rückkehr zur Demokratie stimmten.

Die Bilanz, die Pinochet hinterließ, war eines Diktators würdig: 1 000 bis 2 000 außergerichtliche Hinrichtungen und staatlich angeordnete Morde, weitere 1 000 "Verschwundene", mehrere hunderttausend Menschen gingen ins Exil. Den Kampf gegen den Kommunismus, den er hinter jeder Straßenecke lauern sah, führt er heute noch als Rechtfertigung an.

Schon 1978 gewährten Pinochet und seine Militärkollegen sich für ihre Verbrechen eine Generalamnestie. In der 1980 verabschiedeten Verfassung sicherten sie vorausschauend ihre Privilegien für die Zeit nach dem möglichen Ende ihres Regimes. Der Diktator schrieb sein Recht fest, auch unter einer gewählten Regierung noch maximal acht Jahre Chef der Streitkräfte zu bleiben - diese Frist endet am 11. März 1998. Danach steht dem inzwischen 82jährigen Pinochet das Amt eines Senators auf Lebenszeit zu.

Dennoch mehren sich erstmals die Anzeichen dafür, daß die Hauptfigur der chilenischen Diktatur doch noch einmal zur Rechenschaft gezogen werden könnte. In Chile erklärte der Oberste Gerichtshof am 20. November die Amnestie für die Militärs im konkreten Fall des "Verschwindenlassens" zweier sozialistischer Politiker für ungültig. Das hat momentan keine direkten Auswirkungen, da die individuellen Täter nicht bekannt sind. Es schafft jedoch einen Präzedenzfall, der die Straffreiheit von Militärs für ihre Verbrechen in Frage stellt. Bereits Anfang November legte Chiles Präsident Eduardo Frei als Reaktion auf zahlreiche öffentliche Proteste überraschend sein Veto gegen die Beförderung des Militärs Jaime Lepo zum Brigadegeneral ein. Lepo wird für die Ermordung des spanischen UNO-Funktionärs Carmelo Sorio im Jahr 1976 verantwortlich gemacht. Selten hat es die zivile Regierung bisher auf eine solche Kraftprobe mit den Streitkräften ankommen lassen.

Nicht völlig überraschend, aber auch nicht unbedingt erwartet, ernannte Präsident Frei ebenfalls im November den als unpolitisch und als durch die Vergangenheit unbelastet eingeschätzten 54jährigen General Ricardo Izurieta zum Nachfolger von Pinochet im Amt des Heereschefs. Dieser hatte ihn an die letzte Stelle seiner Vorschlagsliste gesetzt. Im Gefolge von Izurietas Amtsantritt wird der größte Personalwechsel in der Militärführung der vergangenen 30 Jahre erwartet. In fünf Monaten werden zwölf von 45 aktiven Generälen in den Ruhestand versetzt sein. Das gibt der Regierung zwar keine Garantie, eröffnet ihr aber zumindest Chancen, ihre eigene Position gegenüber der Armee zu stärken. Pinochet dürfte einige Freunde im aktiven Militärdienst verlieren.

Ungemach droht dem alternden Ex-Diktator auch aus dem Ausland. In Spanien führt der Madrider Richter Manuel Garc'a-Castell-n einen Prozeß wegen der unter dem chilenischen Militärregime verschwundenen und mutmaßlich ermordeten spanischen Staatsbürger. Pinochet hat sich mehrmals abschätzig über diesen Prozeß geäußert, die Zuständigkeit eines ausländischen Gerichtes angezweifelt und es abgelehnt, dort im Zeugenstand auszusagen. Trotzdem hat das Verfahren mehr als symbolischen Charakter gewonnen, da es die Taten des Militärregimes insgesamt aufrollt.

Die Schwester des 1976 in den USA ermordeten früheren chilenischen Außen- und Verteidigungsministers Orlando Letelier hat Pinochet vor dem Gericht "persönlich" für den Tod ihres Bruders verantwortlich gemacht. Noch schwerwiegender sind die schriftlichen Aussagen des chilenischen Generals im Ruhestand, Joaquin Lagos Osorio. Er klagt Pinochet an, persönlich die außergerichtliche Hinrichtung von 53 Zivilisten im Oktober 1973 befohlen zu haben.

In einem ähnlichen Prozeß gegen argentinische und chilenische Militärs prüft der spanische Richter Baltasar Garz-n die Vorwürfe unter dem Tatbestand des Völkermordes, wobei für ihn die Definition als "Auslöschung oder systematische Vernichtung einer sozialen Gruppe aus rassischen, religiösen oder politischen Motiven" maßgeblich ist. Setzt sich diese Auffassung international durch, müßte Pinochet bei künftigen Auslandsreisen auf der Hut sein. Völkermord verjährt nicht und kann überall auf der Welt strafrechtlich verfolgt werden. Die US-amerikanische Bundespolizei FBI hat sich bereit erklärt, Richter Castell-n seine Archive zu öffnen. So könnte er weitere Belege gegen Pinochet in die Hände bekommen. Noch interessanter wären die Archive des CIA, der bekanntlich eigene Aktionen zur Destabilisierung der Allende-Regierung durchführte. Vergangene Woche hat sich der Chef der Staatsanwaltschaft an Spaniens Obersten Gerichtshof allerdings gegen das Verfahren ausgesprochen. Zwar könnten die argentinischen und chilenischen Militärs als "bewaffnete Bande" bezeichnet werden. Sie hätten aber nicht das Ziel gehabt, die "verfassungsmäßige Ordnung" außer Kraft zu setzen, sondern vielmehr, die "öffentliche Ordnung zu erhalten".

In Frankreich und Italien stecken ähnliche Prozesse noch in den Anfängen. In Deutschland könnte die berüchtigte Colonia Dignidad, die unter der Führung des Nazis Paul Schäfer dem Militärregime eng verbunden war und Pinochets Folterknechten zur Verfügung stand, Anlaß für ein Verfahren sein.

Schon jetzt führen die Reisen Pinochets oft zu einem Eklat. Nach Israel - hier gilt Pinochet als Persona non grata - hatte ihn eine Rüstungsfirma eingeladen. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum forderte daraufhin die Regierung auf, "diesen mörderischen Diktator" nicht einreisen zu lassen, weil er seine schützende Hand über nationalsozialistische Kriegsverbrecher gehalten habe. Bevor Pinochet Ende November zu einer Tagung nord- und südamerikanischer Kommandeure nach Ecuador reiste, beantragte dort eine Gruppe Intellektueller Haftbefehl gegen den Armeechef - wegen der Ermordung von vier Landsleuten 1973 in Chile.

Belgien und die Niederlande haben ein Rüstungsgeschäft mit Chile davon abhängig gemacht, daß Pinochet seinen Posten als Heereschef aufgibt. Daraufhin beschloß Chile, Panzer von Deutschland zu beziehen. Bonn bestätigte am 28. November, den geplanten Verkauf von gebrauchten Panzern des Typs Leopard. Laut dpa bestätigte der chilenische Vize-Heereschef Guillermo Garin Aguirre, 320 gebrauchte Leoparden würden bis zum Jahr 2000 an Chile geliefert, die ersten im Juni 1998.

Noch zeigt sich der einst allmächtige General öffentlich unbeeindruckt. An seinem 82. Geburtstag drohte er seinen Gegnern unverblümt: "Wir wissen über die Bescheid, die diese zerstörerischen Absichten haben." Doch es verstärken sich Gerüchte, Pinochet wolle sein Amt als Senator auf Lebenszeit vorzeitig im Januar antreten. Bei einem Rücktritt als Streitkräftechef am 10. März 1998 und einer erst einige Tage später beginnenden Amtsperiode des neuen Senats wäre der General für kurze Zeit ein ganz gewöhnlicher Bürger ohne Immunität. Theoretisch könnte er dann vor Gericht gestellt werden.