Die Reifeprüfung der GAL

Die Grün-Alternativen ließen sich bei den Koalitionsverhandlungen mit der SPD in Hamburg über den Tisch ziehen - und das mit Vergnügen

Auf dem Schild vor dem Sitzungssaal stand "Bitte Ruhe! Wir reifen gerade politisch, damit die SPD uns lieb hat". Drinnen saßen die Unterhändler von Hamburger SPD und GAL zu ersten Sondierungsgesprächen nach den Wahlen zusammen. Das war im Juli 1982. Die Bürgerschaftswahlen hatten der SPD die sogenannten "Hamburger Verhältnisse" beschert. Die CDU war an den Sozialdemokraten vorbeigezogen und stärkste Fraktion im Rathaus geworden. Um nicht die politische Führungsrolle in ihrer Hochburg abzugeben, sah sich die SPD gezwungen auszuloten, zu welchen Bedingungen die unberechenbaren Grün-Alternativen einen sozialdemokratischen Minderheitssenat tolerieren würden.

Doch die "GALier" reiften dem damaligen Bürgermeister Klaus von Dohnanyi nicht schnell genug. Die Alternativen, noch fest in den starken außerparlamentarischen Bewegungen verankert, wollten weder Hafenerweiterung noch Sozialabbau, noch Räumungen besetzter Häuser, noch Berufsverbote für "Extremisten" im Öffentlichen Dienst verantworten. Als Dohnanyi merkte, daß die grünen Parlamentäre um Thomas Ebermann, der noch kurz zuvor bei einer Hausbesetzung festgenommen worden war, nicht auf wesentliche Teile ihrer Programmatik verzichten mochten, brach er die Verhandlungen brüsk ab und leitete Neuwahlen ein. Die Grün-Alternativen seien, so das Urteil Dohnanyis, "offenbar nicht in der Lage, gesamtpolitische Zusammenhänge herzustellen". Einer der sozialdemokratischen Unterhändler zog sich in den damaligen Verhandlungen mit der vorlauten GAL offenbar ein heftiges Trauma zu, das er Jahre später mit einem Karriereknick bezahlen sollte: Dr. Henning Voscherau.

Wäre Voscherau auch zurückgetreten, wenn er erkannt hätte, wie schnell die letzte Phase des Reifungsprozesses der Hamburger Grünen verlaufen würde? Am Ende der diesjährigen Koalitionsverhandlungen präsentiert sich die GAL als eine Partei, die eigentlich jeder sozialdemokratische Bürgermeister nur lieb haben kann. Selbst die konservativsten Presseorgane tadeln die GAL wegen ihrer schwachen Verhandlungsbilanz. Die FAZ etwa wundert sich über die von Krista Sager geführte Delegation, die sich "in fast allen Fragen dem Diktat der SPD gebeugt" habe. Die Hamburger Morgenpost lästert über die "Ja-Sager" von der GAL. Die Medien, die in früheren Zeiten vor dem rot-grünen Chaos gewarnt hatten, vermissen nach dem Offenbarungseid der GAL das geliebte Feindbild.

Nach den ersten Verhandlungsrunden hatten sich die Unterhändler von der GAL noch ihrer klugen Taktik gebrüstet. Die anfänglichen Zugeständnisse, das hätten die Sozialdemokraten signalisiert, würden sich später auszahlen. Doch auch bei den zuletzt behandelten Feldern "Innere Sicherheit" und "Flüchtlingspolitik", die als besonders konfliktträchtig eingeschätzt wurden, setzten sich die Sozialdemokraten fast ungebremst durch. Hatte jemand nach dem Fiasko von Voscheraus Law-and-order-Wahlkampf eine Umkehr wartet? Er wurde bitter enttäuscht. So einigten sich SPD und Grüne darauf, die Polizeipräsenz in den Wohnquartieren noch zu erhöhen. Eine dreiköpfige ehrenamtliche Kommission soll künftig Bürgerbeschwerden gegen die Polizei verfolgen. Im Wahlkampf waren auch GAL-Politiker noch gegen die Polizei zu Felde gezogen, die mit Tausenden von "Platzverweisen" die Drogen- und Obdachlosenszenen durch die Stadt jagt. Und auch in einem rot-grün regierten Hamburg ist geplant, abgelehnte Asylbewerber möglichst schnell abzuschieben. Nur humaner soll es dabei zugehen.

Anna Bruns, linke Flügelfrau in der GAL, die diesen Punkt verhandelte, gab sich äußert verbittert über die "barbarischen" Vorstellungen der Sozialdemokraten, die in den Unterredungen zum Ausdruck gekommen seien. Doch auch sie setzte nach einiger Bedenkzeit ihren Namen unter die ausgehandelten Vereinbarungen. Ein unüberhörbares Murren gab es auch an der grünen Basis, die sich von den Verhandlungen offenbar mehr versprochen hatte. Auch mancher Realpolitiker zeigte seinen Unmut über die Ressortverteilung. Gar zu gerne hätte man den Posten des Finanzsenators von Ortwin Runde geerbt. Doch dieses Schlüsselamt wollte die SPD nicht aus den Händen geben. Die im Gegenzug angebotenen Bluthund-Ressorts Justiz und Inneres wollte die GAL dann lieber nicht übernehmen. In Zukunft werden nur die drei eher unbedeutenden Behörden für Umwelt, Wissenschaft und Stadtentwicklung von GAL-Senatoren geleitet. Nie schimmerte auch nur im Ansatz die Möglichkeit durch, die Koalitionsverhandlungen könnten an irgendeiner Frage scheitern. Niemals entstand der Eindruck, hier werde bis zum Letzten um politische Inhalte gepokert.

In Hamburg ging es weniger um politische Inhalte als um die Außenwirkung. Das Signal sollte lauten: Die Grünen sind erwachsen und machen keinen Ärger. "Hamburger Verhältnisse" - das soll in Zukunft nicht mehr das Synonym für die drohende Auslieferung des bürgerlichen Parteienstaates an linksradikale Subjekte sein, sondern für das rot-grüne Herrschaftsbündnis als stabiler, unspektakulärer Normalfall stehen.