Hab mich gerne, Postmoderne.

Champagner kaltgestellt

Zwei Jahre nach dem Mord an Yitzhak Rabin kursiert in Israel eine neue Verschwörungstheorie: Rabins Freund Shimon Peres war's

Über 100 000 Menschen kamen am Samstag nach Tel Aviv, um auf dem Platz, an dem vor zwei Jahren Israels Ministerpräsident Yitzhak Rabin nach einer einer Friedensdemonstration erschossen wurde, an ihn und seine Politik zu erinnern. Wenige Tage zuvor hatte die rechte Tageszeitung Hatzofeh mit einer besonderen Verschwörungstheorie aufgewartet, und hatte unfreiwillig gezeigt, wie aktuell die Umstände, die zu Rabins Ermordung führten, noch sind. Das Blatt, das der Nationalreligiösen Partei gehört, behauptet, Rabin sei über einen drohenden Anschlag bei jener Demonstration am 4. November 1995 in Tel Aviv informiert gewesen und hätte deswegen für seine Rede eine kugelsichere Jacke angefordert. Der damalige Außenminister Shimon Peres habe aber mit dem an diesem Abend zuständigen Offizier des Sicherheitsdienstes Shin Bet einen Deal gemacht: Der hält die kugelsicheren Jacken zurück, und Peres sorgt dafür, daß er bald befördert wird. Eine zentrale Rolle in dem Bild, das von Hatzofeh gezeichnet wird, spielt ein Mann namens Avishai Raviv, der damals für Shin Bet gearbeitet hatte und gleichzeitig Kopf einer rechtsradikalen Organisation war. Raviv werden Kontakte zum Rabin-Mörder Yigal Amir nachgesagt, und, als wollte er sie bestätigen, setzte er sich am vergangenen Freitag in die USA ab.

Die Verwicklung von Shin Bet und seines damaligen Agenten Raviv ist keine neue Theorie - sie diente vielen israelischen Linken als Beleg gegen die zunächst über den Attentäter Amir verbreitete Einzeltäterthese -, aber eine Verwicklung von Peres, für die Hatzofeh als einzige Quelle eine nicht näher beschriebene lnternet-Seite angibt, wurde noch nie behauptet. Das Gros der israelischen Öffentlichkeit weist die Hatzofeh-Veröffentlichung als absurde Verschwörungstheorie zurück. Aber etliche Politiker, darunter Finanzminister Yakoov Neeman und Innenminister Avigdor KaLalani halten diese Neuauflage einer Verschwörungstheorie entweder für so seriös, daß man sie untersuchen sollte, oder sie kommt ihnen politisch zupaß. Meir Shamgar, der damals die offizielle Untersuchung des Mordes leitete, wies dieser Tage darauf hin, daß es der Regierung jetzt erlaubt sei, die vertraulichen Teile des Berichts seiner Kommission zu veröffentlichen. Bislang sind genau die Kapitel, die sich mit der Rolle des Sicherheitsdienstes und vor allem seines damaligen Mitarbeiters Raviv beschäftigen, noch nicht publik gemacht worden. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kündigte nun an, prüfen zu lassen, welche Passagen des geheimen Teils des Berichts veröffentlicht werden könnten. Shin Bet will das auf jeden Fall verhindern, um seine Informanten zu schützen, womit der Dienst nur wieder Stoff für neue Spekulationen liefert. Finanzminister Neeman, der in den wochenlangen Debatten um das Konversionsgesetz zur Integrationsfigur und zum wichtigsten Minister der Rechtskoalition avanciert war, begründet seine Forderung nach einer neuen Untersuchung damit, daß er zwar nicht an die neue Verschwörungstheorie glaube, aber daß die Vorwürfe gegen Shimon Peres nur so vom Tisch gewischt werden könnten. Der so überraschend angegriffene Peres selbst - er war als enger Freund Rabins dessen Nachfolger und gilt mit ihm zusammen als Architekt des Friedensprozesses - erklärte angewidert, die Verschwörungstheorie gehöre "zu den häßlichsten Dingen, die in unserer Gesellschaft je geschehen sind". An anderer Stelle nannte er die Vorwürfe "eine blutige Verleumdung, genau so als behauptete man, Juden benutzten Kinderblut, um Matzen zu backen".

Ähnlich harsch weist auch der konservative Justizminister Tzahi Hanegbi die Vorwürfe zurück: "Die Techniken derer, die so eine Verschwörungstheorie basteln, wonach Shimon Peres oder der Sicherheitsdienst hinter dem Töten stünden, ähneln denen derer, die den Holocaust bestreiten." Mit solcher Rhetorik möchte Benjamin Netanjahu nicht aufwarten. "Es ist eine Menge Müll", erklärte er lediglich und behauptete zugleich zu wissen, wer den abgeladen habe: "Teile der Linken versuchen Ärger zu entfachen, statt an diesem Tag die Nation zu einen."

Mit der Ansicht, die israelische Linke sei schuld an der Veröffentlichung in der rechten Tageszeitung, steht Netanjahu allerdings ziemlich alleine da. Für Netanjahus Parteifreund Gideon Ezra etwa, der für den Likud in der Knesset sitzt und selbst früher Chef des Sicherheitsdienstes war, bieten die Vorwürfe von Hatzofeh immerhin genügend Anlaß, zumindest die Rolle des Shin Bet neu zu erforschen. Ähnlich arqumentiert auch Generalstaatsanwalt Elyakim Rubinstein, der ein Verfahren gegen den dubiosen Avishai Raviv einleiten möchte. Rubinstein sieht keinen Grund, warum einer wie Raviv, dem unter anderem nachgesagt wird, monatlich umgerechnet 4 000 Mark für seine vermuteten agent-provocateur-Dienste erhalten zu haben, Immunität genießen solle. Shin Bet hatte zunächst bestritten, daß Raviv für ihn tätig war. Als man das nachweisen konnte, hatte der Dienst erklärt, er habe kein Geld bekommen.

Am vergangenen Freitag aber mußte der Chef von Shin Bet, Carmi Gillon, im 1. Programm des israelischen Fernsehens einräumen, daß Raviv acht Jahre lang unter dem Decknamen "Champagner" auf der Gehaltsliste seiner Organisation stand. Gerade nach der Flucht von Avishai Raviv in die USA bekommen Argumentationen wie die von Ezra und Rubinstein, die die Beschuldigung von Shimon Peres für komplett falsch halten, aber der Verwicklung von Shin Bet noch einmal nachgehen wollen, neuen Auftrieb. Merkwürdigerweise hält sich die Arbeitspartei mit derlei Forderungen bislang zurück. Auf der großen Friedenskundgebung am Samstag warnte Shimon Peres vor Zweifeln an der Loyalität von Shin Bet, und der Vorsitzende der Arbeitspartei, Ehud Barak, schließt sich zwar dem Untersuchungsbegehren Rubinsteins an, greift aber vor allem Hatzofeh und die hinter ihr stehende Nationalreligiöse Partei an: "Das Recycling der Verschwörungstheorie wird benutzt, um die Schuld für die Verleumdung zu verwischen, von der Hatzofeh ein Teil war." Denn ihm ist es wichtig, an das politische Klima im Vorfeld der Rabin-Ermordung zu erinnern. Da war es im rechten Spektrum üblich, Rabin als Verräter zu beschimpfen, und Netanjahu selbst hatte wenige Tage vor dem Attentat auf einer Kundgebung geprochen, wo in seinem Blickfeld ein Plakat hing, das Yitzhak Rabin, in einer SS-Unifom an einem Galgen aufgehängt, zeigte. Die Zeitung Ha'aretz berichtete in der letzten Woche, der Shin-Bet-Agent Avishai Raviv habe es dort aufgehängt.

Benjamin Netanjahu hatte stets bestritten, dieses überdimensionale Plakat gesehen zu haben. Auf der Demonstration am Samstag rief Yossi Sarid, Vorsitzender der linken Meretz-Partei, die bei den letzten Wahlen sieben Prozent der Stimmen erhielt, in die Menge: "Für wen war der Strick denn bestimmt, der unmittelbar vor den Augen desjenigen baumelte, der heute Premierminister ist? Ich frage euch: Hat er es gesehen oder nicht?" Die Menge rief zurück: "Er sah es."