Kantiger als Kanther

Die "Jungen Wilden" der CDU kuschen vor dem Parteitag, und Kanther startet eine Sicherheitsoffensive

Rechtzeitig zum Bundesparteitag der CDU, der von Sonntag bis Mittwoch in Leipzig stattfand, sackte die Christenunion ins Umfragetief. Nur noch 37 Prozent der Wahlberechtigten hätten einer Forsa-Umfrage zufolge am vergangenen Sonntag ihr Kreuz bei der Union gemacht, 39 Prozent dagegen bei der SPD. Ein Jahr vor der Bundestagswahl brechen für die konservative Regierungspartei schwierige Zeiten an. Die gescheiterte Steuerreform wird, allen Blockadevorwürfen gegen die Sozialdemokraten zum Trotz, offenbar doch eher der Union angelastet, auch die anschließende Offensive mit Solisenkung und Rentenkürzung hat die Attraktivität der christdemokratisch geführten Regierung nicht sonderlich zu steigern vermocht.

Schon meldeten sich parteiinterne Kritiker zu Wort, die den Überkanzler Kohl und sein Umfeld in Frage stellten. Neben dem Unionsaußenseiter Kurt Biedenkopf wagten sich auch einige als "Junge Wilde" apostrophierte Herren mit kritischen Statements hervor.

Wie schlecht es um die Partei tatsächlich bestellt ist, zeigt wohl eher die Tatsache, daß blaßgesichtige Durchschnittstypen wie der Hamburger Spitzenchrist Ole von Beust und sein niedersächsisches Pendant Christian Wulff als "Junge Wilde" durchgehen. Ganz so wild wollen sich die beiden dann aber doch nicht gerieren. Von Beust fordert seine Kollegen aus der "98er Bewegung" (Wulff) auf, in der nächsten Zeit Ò"keine Interview-Schlachten" mehr zu schlagen, Wulff distanzierte sich eilig vom Vorsitzenden des CDU-Nachwuchses, Klaus Escher, der Kohl für 1998 zum Rücktritt vom Parteivorsitz aufgefordert hatte. Ruhe solle die erste Wildenpflicht sein. Auf dem Leipziger Messegelände sollten sich die Möchtegern-Meister von morgen mit Provokationen zurückhalten. Einem glanzvollen Wahlkampfparteitag stand nicht mehr viel im Wege, zumal der Kanzlerkandidat plötzlich nicht mehr, wie einst angedacht, gewählt, sondern nur noch öffentlichkeitswirksam per Akklamation gekürt werden sollte.

Statt Personaldiskussionen um den Kanzler sollte es inhaltliche Signale für den Wahlkampf geben. Dafür war unter anderem Innenminister Manfred Kanther mit seinen Thesen zur Inneren Sicherheit zuständig. Bei Rekordarbeitslosigkeit und Haushaltsmisere verwunderte es nicht, daß die Union versuchte, auf diesen bewährten Nebenschauplatz auszuweichen. "Deutschland kann sicherer werden!" lautete die Botschaft, die Kanther seinem Thesenpapier voranstellte, das dem Parteitag als Leitantrag vorgelegt wurde. In einer Mischung aus wilhelminischen Ordnungsphantasien und kommunitaristischer Gefühlsduselei erklärt Kanther dort "Wertewandel, schwindendes Rechtsbewußtsein, Anonymisierung und Individualisierung der Gesellschaft, die Zunahme von Egoismus und Rücksichtslosigkeit sowie den schwindenden Einfluß stabilisierender und wertevermittelnder Institutionen" zu "gesellschaftlichen Ursachen auch für Kriminalität". Die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung wird in dem Papier dagegen mit keinem Wort erwähnt. Die Bürger seien nur wieder zu "Verantwortungsbewußtsein gegen Familie, Gesellschaft und Staat" zu bringen. Vor allem übte der Innenminister Medien- und Justizschelte. Fernsehen und Presse würden das Volk mit ihren Gewaltdarstellungen verrohen, ja sogar "Gewalttätern" ein "Forum für Propaganda" bieten. Die Justiz sei nicht effektiv genug, sprich: zu lasch. Sie würde die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten nicht konsequent anwenden. Verfahren müßten beschleunigt, Strafrahmen stärker ausgeschöpft werden; bei Flucht- und Wiederholungsgefahr solle Haft angeordnet werden, Heranwachsende seien nur noch ausnahmsweise nach dem Jugendstrafrecht zu behandeln. Außerdem kündigte Kanther Einschränkungen des Beweisantragsrechts an, um der "Verschleppung" von Gerichtsverfahren ein Ende zu bereiten. Mit dem novellierten Ausländerrecht gebe es nun endlich auch "erleichterte Abschiebemöglichkeiten für Ausländer" deren "vorherrschende Beteiligung an der Organisierten Kriminalität nicht weggeredet" werden dürfe. "Weitere Verbesserungen" des Ausländerrechts seien möglich, drohte Kanther an.

Zu erwarten ist, daß die Union das Thema Innere Sicherheit in den Mittelpunkt ihres Bundestagwahlkampfes stellen wird, zumal die Hamburger Wahlen noch einmal gezeigt haben, daß für die SPD auf diesem Terrain nichts zu holen ist. Von den "Jungen Wilden" ist ein mäßigender Einfluß auf die Kanthersche Scharfmacherei wohl nicht zu erwarten. Eher im Gegenteil: Schon im Vorfeld des Parteitags gab es konstruktive Kritik am Leitantrag des Innenministers beispielsweise von Christian Wulff. Der niedersächsische CDU-Spitzenkandidat, der sich demnächst gegen Gerhard Schröder, den Law-and-Order-Mann der SPD durchsetzen will, klagte, Kanthers Einwurf sei zu vage. Die fehlenden "Ecken und Kanten" wolle sein Landesverband durch einige Zusatzanträge auf dem Parteitag in das Sicherheitspapier bringen.