Der Kolporteur

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Über das ostdeutsche Magazin, das schlicht und ergreifend Das Magazin heißt, habe ich einst hergezogen, als handelte es sich um das böseste Blatt des Landes, ich habe den Ostbewohnern das Schlimmste unterstellt, und zwar immer mit dem Hinweis, sie läsen allesamt Das Magazin. Wahrscheinlich lag es daran, daß meine Freundin zu einem Ostmacker übergelaufen war, und ich den ganzen Zonenmuff samt FKK, "Bautz'ner Senf" und "Ein Kessel Buntes" nicht mehr ertrug. Außerdem hatte ich ja als überzeugter Westbürger und Sozialrevolutionär jahrelang im Arbeiter-Osten Berlins, das heißt in Oberschöneweide gewohnt, und so konnte man von mir nichts anderes erwarten.

Seit einigen Monaten kaufe ich mir Das Magazin sogar freiwillig. So weiß ich, daß die Mini-Illustrierte seit September im neuen Outfit erscheint. Man hat einen Gestalter engagiert und den Seitenumfang erhöht, die Reisebilder und selbst die Aktfotos sind besser geworden, die Reportagen mit dem nötigen Schuß Ironie versehen ("Frauen im Osten: 'Ich bin kein Hausputtelchen'"), es soll und wird mit dem Magazin wieder aufwärts gehen. Die aktuelle Auflage liegt bei 74 000 Stück. Man kann wohl davon ausgehen, daß mindestens doppelt soviel Leute das Ding aus der DDR lesen. Die Zeitschrift im Taschenformat wird verschenkt, gesammelt und vererbt, niemals aber weggeschmissen. Während die Berliner Zeitung nach ihrem Relaunch einen deutlichen Rückgang der Ostleser zu verbuchen hat, wächst die Kundschaft des Magazins kontinuierlich. Die 100 000 werden bald erreicht sein.

1954 wurde die Zeitschrift gegründet und war bei den Ossis sofort beliebt. Es wurde in Farbe gedruckt, und man berichtete über das, was im Neuen Deutschland nicht stand. Zum Beispiel über die Tischsitten der Tartaren. Im Vergleich mit der prüden Sexberatung in der Jungen Welt wirkte die schlichte Erotik des Magazins richtig aufmüpfig. Im Ostsozialismus war es nicht einfach, sich über das Nudistenleben der Landsleute zu informieren: Das Magazin war zu jener Zeit unterm Ladentisch versteckt. Nach der Wiedervereinigung sollte Playboy-Exchef Wolf Thieme im Auftrag von Gruner+Jahr aus dem Magazin ein radikales Sexblatt machen, doch damit kam er bei den verwöhnten Lesern überhaupt nicht an. Die verlangten weiterhin die "ruhige Unterhaltung für Herz und Hirn". Was das ist, konnte Thieme sich nicht erklären. Er hätte vielleicht die Kontaktanzeigen seines Spekulationsobjektes einmal anschauen sollen: "Kluger Mann mit warmem Herzen von intelligenter, schöner Frau, 47, schlank, HSA, gesucht. Radfahrer, Idealist und Optimist bevorzugt. Vermögen weder Voraussetzung noch Hinderungsgrund für die ersehnte Partnerschaft in Sachsen."

1994 übernahm Martina Rellin die Chefredaktion. Ihr September-Editorial ist mit "Mehr" übertitelt, und wenn sie demnächst weniger den Biermann zitieren und darauf grundsätzlich verzichten würde, das Wort "Lebenswirklichkeit" zu benutzen, dann werde ich der Dame noch viel Glück auf der Jagd nach dem "Mehr" wünschen. Die Redaktion vom Magazin zog neulich nach Kreuzberg um und residiert nun unweit einer anderen Zeitungsgruppe, die ebenfalls aus dem Osten kam.