In Hamburg ziehen Künstler in leerstehende Häuser ein

Kritik mit bunten Pappkartons

200 Künstler und Künstlerinnen haben mehrere leerstehende Häuser in der Hamburger Innenstadt besetzt. Sie fordern ein »Kultur- und Kreativzentrum« und wollen der Stadt zeigen, »welches Potenzial hier an seiner Entfaltung gehindert wird«.

»Das ist ja wie in Berlin hier«, raunen sich Besucher und Besucherinnen zu. Sie schieben sich eine enge Treppe hinauf zur nächsten Wohnung, in der Streetart auf Bärchentapeten gesprüht ist oder geometrische Formen sich aus abgewetzten braunen Teppichen erheben.
In insgesamt zwölf Häusern im Hamburger Gängeviertel zwischen Gänsemarkt und St. Pauli hängen, liegen und stehen Kunstwerke in Küchen, Kinderzimmern und Treppenhäusern. Die seit sieben Jahren verrammelten Türen öffneten sich am 22. August, und das kleine Hoffest weitete sich auf das ganze Viertel aus. So weit die offizielle Version der Initiative »Komm in die Gänge«.

Hausbesetzung oder Bespielen von Leerstand? Christiane Schuller und Florian Tampe, die sich für die Kunstwerke verantwortlich zeigen, ziehen Zweitgenanntes vor. Sie sind selbst überrascht, dass die illegalen Galerien eine Woche später noch immer offen sind. »Die Kunst schützt die Gebäude, und wir schützen die Kunst«, erklärt Schuller ihren Einsatz für Freiräume für die subkulturelle Szene, die in Hamburg selten seien. So musste zuletzt der Kunstverein Skam den »Tanzenden Türmen«, einem Neubauprojekt auf St. Pauli, weichen, und das Künstlerhaus Frappant in Altona wehrt sich gegen den Umbau zu einer Ikea-Fili­ale. Deswegen gehen viele Künstlerinnen und Künstler nach Berlin, Leipzig oder ins Ausland. Diese Abwanderung will »Komm in die Gänge« beenden.
Um den Druck auf den Senat zu erhöhen, hat der Künstler Daniel Richter die Schirmherrschaft über die Besetzung übernommen. Er nutzt seine Prominenz, um die Hamburger Kulturpolitik zu kritisieren, die sich ansonsten bevorzugt dem Musicaltheater und der Elbphilharmonie widmet. Doch erstaunlicherweise scheint man sich derzeit über das Gängeviertel einig zu sein. Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk (Gal) will es als »lebendigen Teil der Hamburger Innenstadt erhalten«, und Kultursenatorin Karin von Welck (CDU) sucht mit der Initiative nach einer »kons­truktiven Lösung«.

Der beginnende Wahlkampf dürfte nicht der ein­zige Grund für das Wohlwollen der Politikerinnen sein. Ein weiterer ist sicher die Zahlungsunfähigkeit des holländischen Investors Hansevast, der ursprünglich am 1. September die Baugenehmigung erhalten sollte. Zwei Monate Aufschub bekam er nun, um einen finanzstarken Partner zu finden und die alten Häuser abzureißen. Auch sein Vorgänger, der Investor Hans Peter Werner, der das Gängeviertel nach dem Vorbild der Hackeschen Höfe in Berlin umbauen wollte, ging schon pleite.
Man führe Gespräche mit dem derzeitigen Investor, um den Leerstand zu beenden, sagt Ilka von Bodungen, Pressesprecherin der Behörde für Kultur, Medien und Sport. Eine »künstlerische Zwischennutzung« des Areals für die nächsten zwei Monate wurde mittlerweile vertraglich an­geboten. Nicht verwunderlich, denn CDU und Gal haben schon in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, die Kreativwirtschaft zu fördern. Der Senat beschloss am 30. Juni den Aufbau einer »Kreativagentur« und des Vereins »Kreativwirtschaftscluster Hamburg«. Ein Geschäftsführer wird noch gesucht, der, wie es in der Ausschreibung heißt, »gut vernetzt und mit Know-how für kreative Flächen die Kreativkraft für Hamburg in Zukunft besser ausschöpfen kann«. Die Filmförderung, der Ausbau von »Gamecity« und die Gründung eines »Designports« in der Hafencity gehören zu den ambitionierten Aufgaben. Und zur Förderung kultureller und sozialer Vielfalt gehört eben auch die Zwischennutzung von leerstehenden Gewerberäumen wie im Gängeviertel.

Die Initiative »Komm in die Gänge« bietet aber auch ein eigenes, längerfristiges Nutzungskonzept, um nicht nur auf die Kündigung zu warten. »Bezahlbare Atelierräume, am besten auf Nebenkostenbasis«, wünscht sich Florian Tampe. »Einen freien Raum, um sich entwickeln zu können, die Menschen ebenso wie die Strukturen, und das alles in Selbstverwaltung«, ergänzt Schuller. Wie so etwas erreicht werden kann, wird gerade in der Gruppe diskutiert. Auf jeden Fall will man aus der Aktion ein Politikum machen. »Pappkartons, die bunt und bemalt sind, stellen noch keine Forderung dar«, sagt Schuller. Allerdings seien sie schon als Kritik an der Hamburger Kulturpolitik und Stadtentwicklung zu verstehen – an Leerstand, ungenügender Förderung und kommerziellen Interessen.
Dass Stadtteile aufgewertet werden, wenn Künstler und Künstlerinnen dort Räume vorübergehend nutzen, scheint ein Naturgesetz zu sein und wird auch von »Komm in die Gänge« so gesehen. Wie die eigenen Bedürfnisse mit den städtischen und gewinnorientierten Interessen in Einklang gebracht werden sollen, ist daher noch offen. Beziehungsweise sind die Vorstellungen darüber so unterschiedlich wie die Macher und Macherinnen. Ein Aushängeschild für die Hamburger Kulturpolitik wolle die Initiative nicht werden, sagt Tampe, kritisiert aber auch, dass sie »total weich« sei. Die Kooperationsbereitschaft der Initiative wird sogar vom Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte, Markus Schreiber (SPD), gelobt: »Es sind die rechtstreuesten Besetzer, die man sich vorstellen kann, sie machen alles sauber und sorgen ab 22 Uhr für Ruhe.«
Sicher ist, dass die Hamburger Regierung nicht plötzlich ihr Herz für Hausbesetzungen und unkommerzielle Kunst entdeckt hat. Eher, dass es nichts kostet, wenn man sich bis zum nächsten solventen Investor großzügig zeigt. Zugleich kann die Stadt ihr Bild als kritische und kunstliebende Metropole aufbessern.