Achtung, leicht entflammbar

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Bei der Ölförderung im Kaukasus haben die US-Konzerne die Nase vorn
Das traditionsreiche Sprachrohr des britischen Empire, die Financial Times, reagierte leicht verärgert auf ein soeben in Washington zustandegekommenes Milliardengeschäft. Aserbaidschans Präsident Heidar Alijev, "ein Mann mit einem scharfen, instinktiven Verständnis für die Bedeutung diplomatischer Nettigkeiten und der harten politischen Wirklichkeit, die sich dahinter verbirgt", hatte während seines Besuchs im Weißen Haus Anfang August mit US-Präsident Bill Clinton eine Reihe von ...l-Verträgen mit einem Umfang von offiziell zehn Milliarden Dollar vereinbart. Damit sicherten sich die US-amerikanischen Konzerne Exxon, Chevron und Mobil rund 250 Millionen Tonnen ...l aus dem Kaspischen Meer. Sie bewiesen damit nicht zum ersten Mal, daß sie bei der bevorstehenden Aushebung der zweitgrößten ...l-Vorkommen der Welt die Nase weit vorne haben.

Nach Schätzungen schlummern mindestens 50 Milliarden Barrel Erdöl-Reserven sowie etwa 50 Milliarden Kubikmeter Erdgas in dieser ehemals sowjetisch kontrollierten Gegend im Süden Rußlands. Das gigantische Geschäft auf "vermutlich einem der wichtigsten neuen Märkte zu Anfang des 21. Jahrhunderts" (Financial Times) befindet sich allerdings erst im Anfangsstadium. Das betrifft weniger die immerhin beachtlichen Vorinvestitionen, die die großen und nicht nur US-amerikanischen ...l-Konzerne bislang schon getätigt haben, sondern vor allem die Frage, wie der begehrte Rohstoff aus der politisch prekären Region in die abgesicherten Häfen der großen Industrienationen transportiert werden soll.

Federführend in dieser Frage engagiert ist ein mit dem Rückhalt der jeweiligen Regierungen agierendes Konsortium von 13 Energie-Unternehmen aus den USA, Großbritannien, Rußland, Norwegen, der Türkei, Saudi-Arabien und Aserbaidschan, unter dessen territorialer Kontrolle sich der größte Teil des Rohstofflagers befindet. Dieses Konsortium, die Azerbaijan International Operating Company (AIOC), hat im vergangenen Jahr einen Vertrag über 7,5 Milliarden Dollar mit der aserbaidschanischen Regierung über die Ausbeute der ...l-Vorräte geschlossen. Sechs US-Unternehmen halten einen Anteil von 43 Prozent. Das größte an dem Projekt beteiligte Einzelunternehmen heißt British Petroleum. Neben einer unüberschaubaren Anzahl weiterer Bau-, Evaluierungs- und sonstiger Projekte, Verträge und Abmachungen hinter den Kulissen gibt es zwischen dem US-Unternehmen Chevron und der Regierung Kasachstans ein Joint-Venture über 20 Milliarden Dollar, bei dem es um die Ausbeute der sechs bis neun Milliarden Barrel Rohöl geht, die in dem ...l-Feld Tengiz vermutet werden.

Doch erst in Kürze soll entschieden werden, über welche Verkehrswege das ...l nach Westeuropa gelangen soll. Im Oktober 1995 war nach jahrelangen zähen Verhandlungen, bei denen es darum ging, wie die Kontrolle über den ...l-Fluß zwischen Rußland, den USA und den anderen Beteiligten verteilt wird, eine Vorentscheidung getroffen worden; es soll nun zwei Pipelines geben, von denen eine teilweise durch russisches Territorium verläuft. Diese schon zu Sowjetzeiten genutzte "nördliche Route" führt von der Aserbaidschanischen Hauptstadt Baku, über die tschetschenische Hauptstadt Grosny zum russischen Schwarzmeerhafen Novorossiisk, von wo aus der Transport über Schiffe weitergeht. Diese Route wird, schon wegen der unsicheren Lage in Tschetschenien von den meisten Beteiligten allenfalls für den Transport des "frühen ...ls" in Betracht gezogen, das heißt, solange eine neue Pipeline noch nicht zur Verfügung steht. Obgleich die ...l-Förderung schon in diesem Monat anlaufen soll, kam es erst Mitte Juli zu einer vertraglichen Einigung zwischen den drei vom Routenverlauf betroffenen Staaten, der neben ökonomischen Fragen auch - öffentlich nicht weiter konkretisierte - politische Abmachungen zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern Tschetschenien und Rußland enthalten soll.

Eine zweite, die "südliche Route", soll von Baku, durch Georgien zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan führen und kann vollständig über eine Pipeline abgewickelt werden. Dieser Weg wird jedenfalls von den USA und der Türkei favorisiert. Georgien und andere Schwarzmeer-Anrainer würden eine "westliche Route" bevorzugen, die über die georgische Hafenstadt Supsa durch das Schwarze Meer zum rumänischen Hafen Constanta führt. "Der neu geschaffene ...l-Reichtum", so das Außenministerium in Bukarest, "wird einen riesigen Markt für alle erdenklichen Güter und Dienstleistungen nach sich ziehen, für dessen Produktion und Transport unser Land bestens geeignet ist."

Doch weder Balkan noch Kaukasus bieten zur Zeit ideale Investitionsbedingungen für das von Überproduktion gebeutelte, nach profitabler Anlage suchende imperialistische Kapital. Selbst der Transportweg durch das Nato-Mitglied Türkei, der als der relativ ungefährlichste gilt, streift sicherheitspolitisch bedenkliches Terrain: die Enklave Nagorny-Karabach, um die sich Aserbaidschan und Armeinien streiten. Vor wenigen Jahren fand hier ein ebenso blutiger Konkurrenzkampf zwischen Bevölkerungsgruppen statt wie in der georgischen Provinz Abchasien. Erst Ende Juli starben mehrere Menschen bei bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Inguschen und Nord-Osseten. Anfang August vermehrten sich einmal mehr Gerüchte über die Gefahr eines neuerlichen Bürgerkiregs im Nord-Kaukasus.

Ende Juli änderte sich die Situation für die Investoren möglicherweise - durch die Zustimmung der US-Administration zum Bau einer Pipeline durch den Iran, mit der Erdgas von Turkmenistan in die Türkei transportiert werden soll. Nach dem als Anzeichen einer West-...ffnung interpretierten Regierungswechsel in Teheran hat Washington Rußland damit in zweifacher Hinsicht ausgestochen: einmal als vornehmlichen Verbündeten des von den USA international isolierten Iran, zum anderen als Hauptimporteur von turkmenischem Gas. Durch das Vorhandensein verschiedener Routen könnte sich aus Sicht der Energie-Unternehmen das Problem, wie die Rohstoffe aus dem Kaukasus und Zentralasien auf den kapitalistischen Markt geschafft werden können, erheblich entschärfen. Im Fall des Verlusts einer Pipeline würde das ...l einfach durch eine andere gepumpt.

Weil der Iran im Weißen Haus allerdings noch lange nicht als verläßlicher Partner gilt, werden auch andere Szenarien der Investitionsabsicherung nicht ausgeschlossen. Neben diversen politischen Initiativen, die auf die Festigung der Kaukasus-Staaten gegenüber Rußland abzielen, gehören dazu die für August und September geplanten Militärübungen , die "im Geiste" (so US-Marine-General und Chef des Nato-Kommandobereichs Atlantik, John J. Sheehan) des Nato-Programms "Partnerschaft für den Frieden" im Schwarzen Meer sowie in Kasachstan und Usbekistan, jeweils unter Führung von US-Elite-Einheiten stattfinden werden.