Nur ein Toter ist wirklich krank

Die Bochumer Behörden lassen nicht locker, bis ein altes Ehepaar nach Ex-Jugoslawien abgeschoben ist

Trotz ihrer 56 Jahre wirkt Magbule Sulejman wie eine alte Frau. 50 Jahre ihres Lebens verbrachte sie im Roma-Ghetto der mazedonischen Hauptstadt Skopje, die letzten zwölf mit Bairam Ziberov, der sich mit dem Sammeln und Verkaufen von Lumpen und Altpapier durchschlug. Eine Plackerei, die so gut wie nichts einbrachte, dafür aber die Gesundheit ruinierte. Während in anderen Landesteilen Jugoslawiens die ethnisierten Konflikte zum Krieg eskalierten, wuchsen auch in Mazedonien Ressentiments gegen Minderheiten zum offenen Haß an. Als "Zigeuner" und Moslems boten die beiden ein doppeltes Feindbild. Als 1991 der Druck von Polizei und Behörden unerträglich wurde, packten die beiden ihre Habseligkeiten und suchten Asyl in der BRD. Der Asylantrag wurde als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt, der weitere Rechtsweg im Februar 1994 abgeschlossen.

Schon als ihr Asylverfahren noch lief, versuchte die Stadt Bochum, jede Gelegenheit zur Abschiebung zu nutzen. 1992 forderte das Sozialamt das Ehepaar ultimativ auf, das damalige Zimmer im Flüchtlingsheim zu räumen und in die krisengeschüttelte Heimat auszureisen. Erst als der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband intervenierte, stoppte die Stadt die rechtswidrige Maßnahme.Als der Asylantrag der beiden negativ entschieden war, erhielten sie wegen des Krieges in Ex-Jugoslawien eine amtliche Duldung. Die Mitarbeiter des Bochumer Ausländeramtes beeindruckte das nicht. Am 1. Februar 1995 erschienen sie im Flüchtlingswohnheim, rissen Mann und Frau aus dem Bett und karrten sie zum Düsseldorfer Flughafen, wo die Abschiebemaschine schon wartete. Nur weil ein Freund frühzeitig von dem Vorgang erfuhr und beim Ausländeramt intervenierte, wurden die beiden von der Startbahn zurückgeholt.

Schließlich gewährte die Bochumer Ausländerbehörde eine befristete Aufenthaltsbefugnis, weil die zwischenzeitlich ins Rentenalter gekommenen Leute nachweisen konnten, daß sie ernsthaft krank und nicht reisefähig sind. Der 67jährige Bairam Ziberov ist herzkrank. Nicht zuletzt wegen der ständigen Angst vor der Abschiebung leidet er unter schweren Depressionen. Magbule Sulejman hat hohen Blutzucker und ist auf eine besondere Diät angewiesen.

Doch im Sozialamt Bochum-Wattenscheid läßt man nach wie vor keine Chance aus, den beiden das Leben zur Hölle zu machen. Bereits im vergangenen Jahr drohte man mehrfach damit, jede Hilfe zum Lebensunterhalt zu streichen. Jedesmal mußte sich Bairam Ziberov neu amtsärztlich begutachten lassen, um sein Recht auf Verbleib in Deutschland und damit auf Bezug von Sozialhilfe bestätigen zu lassen. Von Mal zu Mal ertrug er die damit verbundene Aufregung schlechter.

Ab Mai stellte die Stadt Bochum die Sozialhilfe-Zahlung ein, verweigerte die Ausstellung von Krankenscheinen an das mittellose Paar und forderte Miete für das Zimmer im Asylheim. Bairam Ziberov blieb nichts anderes übrig, als sich am 5. Juni einer weiteren amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Eineinhalb Wochen später erlitt er einen Herzinfarkt mit anschließendem Herzstillstand. "Sein Leben stand auf Messers Schneide", befand der behandelnde Arzt auf der Intensivstation. "Das muß ich mir nicht anhören", erklärte Sozialamtsleiterin Röckinghaus, als sie damit konfrontiert wurde. Ihr Bezirksstellenleiter Thömmes wies darauf hin, daß andere Patienten nach einem Herzinfarkt üblicherweise in Kur fahren. Also könne Bairam Ziberov wohl auch nach Mazedonien reisen. Das Gegenteil müsse vom Gesundheitsamt belegt werden. Auf die Frage, was wäre, wenn der Mann dieses Mal stirbt, antwortet Thömmes: "Die Rechtslage ist eindeutig."