Prager Denkmalsturz

Tschechiens Präsident Vaclav Havel ist politisch am Ende: Der letzte Profi-Dissident Zentraleuropas wird politisch entsorgt

Vor der Villa Vaclav Havels im noblen sechsten Bezirk Prags herrschte an diesem Dezemberabend eisige Kälte und hektisches Treiben. Bei sieben Grad unter Null harrten rund 70 Journalisten und Fotografen aus, um dem Zusammentreffen zweier alter Männer beizuwohnen: Wiens Ex-Bürgermeister und vermeintlicher CSSR-Spion Helmut Zilk und Tschechiens Präsident Vaclav Havel peilten an diesem Abend eine Erneuerung ihrer Freundschaft an, die durch eine bösartige Spionage-Intrige etwas gelitten hatte.

Zilk, der ergrauten und überaus mächtigen sowie moralisch beinahe unantastbaren Eminenz der österreichischen Innenpolitik wurde von übereifrigen tschechischen Spionagejägern vorgeworfen, in den sechziger und siebziger Jahren für den kommunistischen Geheimdienst StB spioniert und dafür rund 60 000 Schilling (etwa 8 500 Mark) erhalten zu haben. Als die Vorwürfe im Oktober laut geworden waren, setzte vom offiziellen Österreich ein Proteststurm ein.

Zwar ist Zilk eigentlich ein Privatmann wie jeder andere, doch als Königsmacher des österreichischen Bundespräsidenten Thomas Klestil, Intimus von Österreichs Bundeskanzler Viktor Klima und Duz-Freund der gesamten Machtelite der Alpenrepublik sowie Opfer des rechtsextremen Bombenterrors (der kostete ihn eine Hand) ist Zilk mit immerwährender Immunität ausgestattet.

Einen Zilk patzt man nicht an, bloß wußten das die Tschechen nicht. Und so kam es, daß der Privatmann Zilk im VIP-Raum des Prager Flughafens wie ein Staatschef empfangen wurde, eine stattliche Polizeieskorte den Touristen durch Prag chauffierte und sich der 71jährige Politpensionist von sämtlichen Würdenträgern Tschechiens eine demütige Entschuldigung abholen konnte. Vaclav Havel, der ihm noch einen Monat zuvor die Verleihung eines Ordens verweigert hatte, mußte sich hüstelnd bis vor die Haustür seiner Villa schleppen und fünf Minuten warten, bis Zilk dem Jaguar entstieg, um ihm die Hand zu reichen. Auch Tschechiens Parlamentspräsident Vaclav Klaus empfing tags darauf den Greis (Selbstdefinition Zilk) und "bedauerte".

Vaclav Klaus aber hatte eigentlich am wenigsten zu bedauern. Er konnte eher frohlocken ob des Skandals, der den Präsidenten Havel wieder einmal eine Peinlichkeit bescherte. Schließlich gilt Klaus als Intimfeind Havels, und seit der die Sozialdemokraten des Premiers Milos Zeman im Parlament unterstützt, hat Havel zwei mächtige Gegner mehr im Doppelpack. Immerhin sind sich die drei mächtigsten Männer in Tschechien spinnefeind. Als Vaclav Klaus im Herbst 1997 in eine Korruptionsaffäre geschlittert war, gab der Dichterpräsident Havel seine intellektuelle Zurückhaltung erstmals auf und sorgte mit einer scharfen Rede wider die Verrohung der politischen Sitten des tschechischen Establishments für den Rücktritt von Klaus als Premier. Auch mit dem schwachen Chef der Sozialdemokraten, Milos Zeman, verbindet Havel nichts, weil Zeman Havel als Wegbereiter einer kommunistischen Renaissance gilt.

Zudem hadert der Präsident mit den Medien. Insbesondere der größte tschechische Privatsender TV Nova läßt keine Gelegenheit aus, Havel ins Fettnäpfchen treten zu lassen. Einer der größten Coups wäre die Causa Zilk gewesen. Die Polit-Regisseure von Nova hatten geplant, Havel den Orden an Zilk verleihen zu lassen und ihn danach mit den Agenten-Vorwürfen an den Ordensträger zu konfrontieren.

Hintergrund der Zerwürfnisse mit dem TV-Sender ist ein geplatztes Stillhalte-Abkommen zwischen Havel und TV-Nova-Chef Vladimir Zelezny: Dieser wollte Havel überreden, seinen Sohn zu amnestieren, der wegen eines Verwaltigungsdeliktes im Prager Knast dahindarbt. Im Gegenzug wollte Zelezny den Präsidenten am Bildschirm schonen. Doch leider: Havel, die ethische Eiche, wies das Ansinnen des TV-Machers empört zurück.

Havel sieht sich nun mit den Konsequenzen seiner Verweigerung konfrontiert. Seine junge Frau Dagmar Veskrnov‡-Havlov‡, kurz auch Dasa genannt, gibt den bösartig gesinnten Journalisten umso mehr Angriffsfläche. Erst im November deckte TV-Nova in Kooperation mit einigen auflagestarken tschechischen Tageszeitungen auf, daß Havels um 20 Jahre jüngere Frau wohl nicht nur den Verführungskünsten ihres kränkelnden Mannes erliegt. Sie soll auch ein Verhältnis mit ihrem Sekretär haben - Klein-Windsor am Hradschin.

Doch nicht nur die gegenwärtigen hormonellen Überschüsse auf der Prager Burg machen dem Präsidenten zu schaffen. Auch Frau Dasas Vergangenheit ist alles andere als lupenrein dissidentenhaft. Schon im Januar 1998 tauchte ein Dokument auf, das Dasas Stromlinienförmigkeit gegenüber dem Regime vor 1989 unter Beweis stellt. Im Februar 1978 veröffentlichte der staatlich kontrollierte Künstlerverband eine Liste, in der sich Künstler gegen die oppositionelle Charta 77 stellten. Unterschrieben hat damals auch die Ex-Schauspielerin Dagmar Veskrniv‡.

Doch Dasa ist bloß die Zielscheibe, während in Wirklichkeit der Präsident getroffen werden soll. Durch seine zunehmende Einmischung in das politische Intrigenspiel und wachsende Machtgelüste hat er die ihm von der tschechischen Bevölkerung zugedachte Rolle verlassen: als Ersatzpapst die Prager Burg behüten.