Vorbereitungen der Jubiläumsfeierlichkeiten und die Herrschaft der Kommunistischen Partei

Das Vaterland und ich

Die Kommunistische Partei Chinas feiert sich mit großem Pomp. Das soll die Legitimität ihrer Herrschaft unterstreichen – und vor allem von den zahlreichen sozialen Problemen in der Volksrepublik ablenken.

In Peking laufen die letzten Vorbereitungen für eine makellose Inszenierung der Feierlichkeiten zum 60. Geburtstag der Volksrepublik auf Hochtouren. Laut chinesischen Medienberichten wird das Hauptprogramm für den Jahrestag am 1. Oktober auf dem Platz des himmlischen Friedens und der angrenzenden Chang’an-Straße im Zentrum Pekings von einer Rede des Staatspräsidenten Hu Jintao eröffnet. Seiner Rede soll die bisher größte Militärparade seit der Gründung der Volksrepublik folgen, die, so heißt es, die militärischen Errungenschaften sowie den Beitrag Chinas zum Frieden auf regionaler und globaler Ebene hervorheben soll. »Das Vaterland und ich marschieren gemeinsam« lautet das zentrale Motto des anschließenden Massenumzugs. 200 000 Personen werden dabei sieben verschiedene Themen ­illustrieren – etwa »Reform und Öffnung« oder »Herrliche Zukunft«. Noch während der letzten beiden Septemberwochen widmet das Beijing Exhibition Center den Errungenschaften der Volks­republik eine Ausstellung. In der Großen Halle des Volkes wird ein Musical mit dem Titel »Road to Rejuvenal« aufgeführt, bei dem insgesamt 3 200 Personen die Geschichte Chinas seit dem Opiumkrieg von 1840 präsentieren.
Die pompöse Inszenierung der Feierlichkeiten verweist dabei auf die zwei wesentlichen ideologischen Stützen, die bis heute die Grundlagen des Legitimitätsanspruchs der KPCh darstellen: die Erfüllung nationalistischer Ansprüche und die »Modernisierung« Chinas. Zum einen gilt die Aufrechterhaltung der Einheit dessen, was von der Partei als chinesische Nation definiert wird – vor allem etwa in Hinblick auf Taiwan, Xinjiang und Tibet – nach wie vor als zentrale Voraussetzung ihrer Legitimation. Zum anderen sind die Entwicklungen der letzten dreißig Jahre untrennbar mit einem Modernisierungsdiskurs verknüpft, in dem die Parteiführung stetiges Wirtschaftswachstum als Legitimationsquelle benötigt und das zugleich die Eingliederung Chinas in die kapitalistische Welt vorantreibt. Vor diesem Hintergrund repräsentieren die Feierlichkeiten weit mehr als die erfolgreiche Etablierung eines unabhängigen Nationalstaates, sie inszenieren die kommunistische Partei als jene Kraft, die den chinesischen Staat zur lang ersehnten Stärke und sozialen Stabilität zurückführte, die das chinesische Kaiserreich im 19. Jahrhundert verloren hatte. Ein Jahr nach der prestigeträchtigen Austragung der Olympischen Spiele soll das Jubiläum somit nicht nur gegenüber der Weltöffentlichkeit den Aufstieg Chinas zu einem der bedeutensten global player geltend machen, sondern vor allem auch den hegemonialen Anspruchs der KPCh im Inneren des Landes eindrucksvoll demonstrieren.

Dieses Vorhaben wird insofern erschwert, als die Feierlichkeiten in einer äußerst kritischen Phase stattfinden: Entgegen der Beschwörung einer »harmonischen Gesellschaft« hat die KP-Führung mit zunehmendem Widerstand gegen ihr Modell der kapitalistischen Modernisierung und der damit verbundenen Verschärfung von ethnischen und sozialen Konflikten zu kämpfen. Nach den schweren Unruhen in und um die »autonome« Region Tibet im März 2008 kam es am 5. Juli dieses Jahres erneut zu heftigen Ausschreitungen an der Peripherie des chinesischen Staates: in der »autonomen« Region Xinjiang im Nordwesten Chinas führten Unruhen zwischen Han-Chinesen und der ethnischen Minderheit der vorwiegend muslimischen Uiguren nach offiziellen Angaben zu 197 Toten und etwa 1 700 Verletzten. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen begannen, nachdem die örtliche Polizei versucht hatte, eine Demonstration von etwa 1 000 bis 3 000 Uiguren in der Provinzhauptstadt Urumqi auf­zulösen, die die Untersuchung eines Konflikts zwischen uigurischen und han-chinesischen ­Arbeitern in einer Spielzeugfabrik in der südchinesischen Provinz Guangdong forderte, bei dem zwei Uiguren gestorben waren.
Ab dem 2. September entflammten in der Hauptstadt Xinjiangs schließlich weitere Konflikte mit mindestens fünf Toten und 14 Verletzten. Drei Tage lang protestierten Tausende Han-Chinesen gegen die von ihnen als zu lasch empfundenen Sicherheitsmaßnahmen der lokalen Regierungs- und Parteiführung, nachdem es in den Wochen zuvor in Urumqi zu mysteriösen Angriffen auf Passanten mit angeblich HIV-verseuchten Injektionsnadeln gekommen war. Während sich etwa 500 Personen zu medizinischen Behandlungen meldeten, liegen bisher allerdings keine Fälle von tatsächlichen Infektionen vor. Ohne dafür konkrete Beweise vorlegen zu können, beschuldigt die Zentralregierung ethnische Separatisten, hinter den Unruhen zu stehen und die Stabilität Chinas gefährden zu wollen. Die Aus­einandersetzungen sind jedoch offenbar nicht auf religiös-ethnische Motive reduzierbar. Vielmehr verdeutlichen die Ereignisse, dass die Modernisierungsstragien der KPCh in den letzten Jahren räumliche Entwicklungsunterschiede verfestigt und dadurch soziale Spannungen verursacht haben, die insbesondere an der Peripherie Chinas einen entscheidenden Prüfstein für die Herrschaft der KPCh darstellen.

Denn neben den medial im Vordergrund stehenden »ethnischen« Konflikten ist die aktuelle Lage in der Volksrepublik von zunehmenden Arbeiter­unruhen geprägt. Bereits in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre war es im Zuge der weitgehenden Privatisierung chinesischer Staatsbetriebe zu einer Welle von Arbeitskämpfen der »alten« Industriearbeiter gekommen. Ab dem Jahr 2003 begannen auch die aus ländlichen Verhältnisse in die Städte migrierenden auf etwa 200 Millionen geschätzten Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter sich zunehmend gegen ihre Ausbeutung in den Exportproduktionszonen im Südosten Chinas zur Wehr zu setzen. Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise verschärfte sich die ­Situation. Sowohl im Jahr 2008 als auch Anfang 2009 nahmen Arbeiterunruhen nicht nur zahlenmäßig zu. Fälle wie jener in der Provinz Jilin, bei dem ein Manager am 23. Juli im Zuge der versuchten Privatisierung eines staatlichen Betriebes von aufgebrachten Arbeiterinnen und ­Arbeitern zu Tode geprügelt wurde, zeigen, dass auch eine weitere Radikalisierung des Widerstands nicht ausgeschlossen ist.
Dass sich diese Unruhen nur in den seltensten Fällen gegen die Zentralregierung selbst wenden, sondern in Auseinandersetzungen meist lokale oder regionale staatliche Institutionen adressiert werden, ist zweifellos ein wesentlicher Grund für die auf den ersten Blick überraschende Stabilität des Regimes: Die KP wird von den Rebellierenden in der Regel eher als Schlichtungsinstanz denn als politischer Feind wahrgenommen. Dennoch veranschaulicht ein Blick auf die Feierlichkeiten zum 1. Oktober, dass die KP-Führung die aktuelle Lage durchaus ernst nimmt. Nicht allein die Inszenierung der Feierlichkeiten, die die Legitimität der KP stärken sollen, können als Reaktion auf die Unruhen der letzten Monate interpretiert werden. Auch die massiven Sicherheitsvorkehrungen, die sogar die Sicherheitsmaßnahmen während der Olympischen Spiele im Vorjahr übertreffen, sprechen eine deutliche Sprache. Nach chinesischen Medienberichten sollen 7 000 Polizisten und Mitglieder von Anti-Terror-Einheiten, ein Heer von 800 000 freiwilligen Sicherheitshelfern sowie die vollständige Kontrolle der Zugänge in die Hauptstadt den reibungslosen Ablauf garantieren und dafür sorgen, dass die ­realen Probleme der Machtdemonstration des Regimes nicht in die Quere kommen.