Aus dem Palast in den Knast

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Korruptionsvorwürfe gegen Politiker sind nichts Ungewöhnliches, aber das Urteil, das vergangenen Freitag gegen Chen Shui-bian ausgesprochen wurde, ist dennoch bemerkenswert. Der taiwanesische Politiker, der über zehn Millionen US-Dollar veruntreut haben soll, wurde zu lebenslanger Haft sowie einer Geldstrafe von umgerechnet sechs Millionen US-Dollar verurteilt. Dass die Härte des Urteils politische Gründe haben soll, behauptet zumindest Shui-bian selbst. Ganz falsch dürfte er damit nicht liegen. Schon vor seiner Wahl zum Präsidenten im Jahr 2000 wurde ein Attentat auf ihn verübt, vier Jahre später fiel er auch bei seiner eigenen Partei in Ungnade, weil einer seiner engsten Mitarbeiter wegen Korruptionsverdachts festgenommen wurde und seine Frau sich an Gutscheinen einer Kaufhauskette bereichert haben soll. Bereits im August 2008 war Chen Shui-bian, der das Land zwischen 2000 und 2008 regierte und als Demokrat und Menschenrechtler gilt, deshalb aus der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) ausgetreten.
Chen Shui-bian war der erste Präsident Taiwans, der nicht der Kuomintang (KMT) angehörte. Die ehemalige Regierungspartei Chinas hatte sich 1949 nach ihrer Niederlage im Bürgerkrieg gegen die Kommunistische Partei Chinas auf die Insel zurückgezogen und dort vierzig Jahre allein regiert. Sie steht bis heute für die autoritäre Herrschaft einer chinesischen Elite mit dem Wunsch nach Wiedervereinigung mit dem Festland. Die DPP hingegen, deren Wähler vorwiegend taiwanesischer Herkunft sind, strebt die formale Unabhängigkeit Taiwans an, was Umfragen zufolge mittlerweile der Auffassung der Bevölkerungsmehrheit entspricht. Trotzdem gewann die KMT, eine der weltweit vermögendsten politischen Parteien, nach der Korruptionsaffäre um Shui-bian im vergangenen Jahr die Parlamentswahlen. Das nun ausgesprochene Urteil könnte aufgrund seiner Härte die Sym­pathiewerte der DPP wieder steigen lassen.