Gay Pride in Belgrad abgesagt

Der sabotierte Belgrade Pride

Seit den homophoben Angriffen von 2001 hat es in der serbischen Hauptstadt keine Gay-Pride-Parade mehr gegeben. Am Sonntag wäre es fast so weit gekommen, doch der Belgrade Pride wurde in letzter Minute abgesagt. Die Polizei sei nicht in der Lage, die Sicherheit der Teilnehmer zu garantieren, erklärte das Innenministerium. Rechtsextreme Gruppen hatten im Vorfeld mit Gewalt gegen Homosexuelle gedroht.

»Ich hatte Ärger erwartet, aber er blieb aus«, zeigt sich die Künstlerin Ivana Savic überrascht. Wenige Wochen vor dem zweiten Belgrade Pride waren ihre Arbeiten im südserbischen Nis zu sehen, der zweitgrößten Stadt des Landes. Großformatig hatte sie Homosexuelle, Drag Queens oder auch nackte Pärchen mit den Worten »Homophobia is alive and well in this country« in Acryl gemalt. Auch der Ausstellungsort hätte zentraler nicht sein können.
»Viele Leute hassen Homosexuelle und denken, sie seien nicht ›normal‹. Manche Besucher wollten auch nicht mal meine Bilder ansehen«, erzählt Ivana. Vor allem ältere Menschen könnten sie über­haupt nicht verstehen.
Homosexualität gilt für eine große Mehrheit der Serben immer noch als Krankheit, wie Umfragen immer wieder zeigen. Vor allem die orthodoxe Kirche verbreitet diese Botschaft. Im Vorfeld des Pride hatte sie von einer »Schande« gesprochen. Einer Facebook-Gruppe für ein Verbot des Pride waren in den vergangenen Wochen mehr als 30 000 Menschen beigetreten.
Wegen der feindlichen Stimmung und wiederholten gewalttätigen Angriffen sind nur wenige Homosexuelle bereit, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Amnesty International berichtete wiederholt von physischer Gewalt von staatlicher und nichtstaatlicher Seite sowie von Angriffen in den Medien, denen sich LGBT-Aktivisten ausgesetzt sehen, und monierte, dass nur wenige Täter dafür bestraft würden. In diesem Klima der Angst gebe es kaum Chancen, Homosexuellen zu begegnen, mit ihnen zu sprechen, etwas von ihnen zu erfahren, meint Ivana. Schwule Freunde von ihr mussten erleben, dass nicht einmal die eigene Mutter bereit sei darüber zu reden: »Alles ist perfekt, alles ist o.k., ich will nichts darüber wissen, sind die üblichen Reaktionen nach einem Coming-out.«
Ein Höhepunkt der homophoben Gewalt wurde im Jahr 2001 die erste Gay-Pride-Parade in Belgrad. Fanatische Gewalttäter, vor allem aus der Hooligan- und der klerikal- und neofaschistischen Szene, griffen damals die Parade brutal an und beendeten sie blutig. Die Polizei griff erst ein, als sie selbst zum Ziel der Gewalt wurde. Die regelrechte Hetzjagd auf die Teilnehmer der Parade im Zentrum von Belgrad und die vielen Verletzten sorgten auch international für Aufsehen. Auch die Versuche, 2004 und 2008 erneut einen Gay Pride zu veranstalten, scheiterten an der fehlenden Kooperationsbereitschaft von Politikern und Polizei sowie an fehlenden Sicherheitsgarantien für die Teilnehmer und Teilnehmerinnen.

Dieses Jahr aber schienen die Zeichen anders zu stehen. Erstmals gab es ein klares Entgegenkommen von Polizei und Politik. Drei Parteien haben sich inzwischen offen für die Unterstützung der LGBT-Aktivitäten ausgesprochen, 2008 stellte die Regierung erstmals Gelder zur Verfügung, für ein Online-Infoportal zum Thema. Trotz der massenhaften Drohungen aus dem rechten Spektrum, von Organisationen wie der klerikalfaschistischen Obraz oder der nationalistischen »Serbischen Bewegung 1389« erklärten mehrere Minister und Präsident Boris Tadic zumindest verbal ihre Unterstützung für die Veranstaltung. Nicht ganz ohne Zwang, denn erst im Frühjahr war ein Antidiskriminierungsgesetz zum Schutz von Minderheiten in Kraft getreten.
Die monatelangen Vorbereitungen für einen zweiten, friedlichen Belgrade Pride am Sonntag wurden erst am Tag zuvor zunichte gemacht. »Die Polizei hat alle unsere Strategien sabotiert und wollte nicht mehr mit uns kooperieren«, bedauert Majda Puaca aus dem Organisationsteam. Obwohl alle Pläne bereits lange bekannt waren, hieß es plötzlich, die Parade in der Stadt sei zu gefährlich, sie könne nicht von den Behörden geschützt werden. Das »Angebot«, die Parade in einem menschenleeren Park in Neu-Belgrad, weitab von der öffentlichen Wahrnehmung, abzuhalten, wurde von den Organisatoren als »inakzeptabel« abgelehnt.

»Serbien hat noch viel zu lernen. Die Politiker wissen ganz genau, wie wenig Homosexualität akzeptiert ist, und haben Angst, Stimmen zu verlieren, wenn sie sich zu uns bekennen«, bedauert Majda Puaca. Es sei aber schon ein großer Fortschritt, dass viele Verantwortliche ihre Aufgabe erstmals ernst genommen hätten: »Das Thema ist damit endlich im Mainstream angekommen.« Die Organisatoren hatten zur Kampagne »Zeit für Gleichberechtigung« im Fernsehen auch Videos mit bekannten Schauspielern zeigen können. Monatelang bestimmten allerdings eher die Berichte über die homophoben Graffitis in Belgrads Innenstadt und die Drohungen der Rechtsextremen die Medien.
Nach der Absage des Belgrade Pride feiern die Nationalisten einen Sieg für das »normale Serbien«, doch die öffentliche Debatte, die nach dem Verbot entflammt ist, könnte sich auch als hilfreich herausstellen, meint Majda Puaca: »Selbst Leute, die nicht sicher waren, ob eine Parade stattfinden soll, bekommen nun mit, in welcher realen Gefahr diese Menschen leben.«
Der politische Wille, gegen rechte Gewalt vorzugehen, sei einfach nicht vorhanden, davon ist Majda Puaca auch aus ihren Erfahrungen in der antifaschistischen Arbeit überzeugt. »Obraz besteht vielleicht aus 100 Menschen, die meisten davon sind Teenager von 16 bis 18 Jahren«, erzählt sie. »Das größere Problem ist eher die lokale Hooligan-Szene, die weitaus größer ist.« Erst einige Tage vor dem Pride sorgte sie wieder für Schlagzeilen, nach einem lebensgefährlichen Angriff auf einen französischen Fußballfan.
Zum Belgrade Pride waren 500 gewaltbereite Gegner erwartet, die 500 bis 1 000 Menschen gegenüber gestanden hätten. Dass ein solches Szenario von der Polizei nicht hätte verhindert werden können, halten die Organisatoren der Parade für unglaubwürdig.
Trotz Verbots versammelten sich am Tag des Pride bewaffnete Rechtsradikale im Belgrader Stadtzentrum, 37 von ihnen wurden für 30 Tage in Haft genommen. Unter ihnen befinden sich auch Schlüsselfiguren von Obraz und der Serbischen Bewegung 1389. Dieser Schritt sei aber nur sinnvoll, wenn auch diejenigen zur Verantwortung gezogen würden, die in den vergangenen Wochen zu Mord und Gewalt aufgerufen hatten, sagen die Organisatoren des Pride. Die Medienaufmerksamkeit wird noch einige Tage anhalten. Aber auch danach soll der Kampf um mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz in der Gesellschaft weitergehen, meint Majda Puaca. Denn noch hat der zweite Belgrade Pride nicht stattgefunden.