NPD und »freie Kräfte« rücken zusammen

Nazis reunited

Von den »freien Kräften« bis zur NPD treffen sich Angehörige der verschiedensten Leipziger Gruppierungen von Rechtsextremisten am selben Ort und werden sich auch sonst immer ähnlicher.

Wenn das nicht ans Herz geht: Sentimentale Musik ist zu hören. Eine Frau hockt kopfschüttelnd vor ihrem geöffneten Kühlschrank, schließt ihn wieder, nimmt ihre kleine Tochter an die Hand und führt sie in eine Mülllandschaft, wo sie das Kind küsst und sich selbst überlässt. »Wieso?« sprüht jemand in Rot an eine Industrieruine. Schnitt. Ein Bild von dem Kind und seinem Teddy wird langsam weggeblendet, dann liegt nur noch der Teddy da. Später fließen Tränen übers Gesicht der Mutter, die den Teddybären in der Hand hält.
Das auf Youtube eingestellte Video (siehe auch zougla Seite 19) soll »Nationale Sozialisten« zu einer Demonstration mit dem Motto »Recht auf Zukunft« am 17. Oktober nach Leipzig locken. Schließlich drohe nichts weniger als der »Volkstod«. Der Anmelder der Demonstration, der 24jährige Tommy Naumann, stieg in den vergangenen zwei Jahren vom führenden Mitglied der Nazigruppierung »Freie Kräfte Leipzig« zum Vorsitzenden der Jungen Nationaldemokraten (JN) in Sachsen auf. Seit März ist er auch Mitglied der NPD und kandidierte für die Partei zu den Stadtratswahlen.

Als hätten er und seine Kameraden Holger Apfels Erklärung vom »Sächsischen Weg« verpasst, scheint es ihnen nicht allzu wichtig zu sein, Sympathisanten aus dem bürgerlichen Spektrum für die Partei zu gewinnen. So wird etwa einem ihrer Aufruftexte zu der Demonstration das »neue Geldsystem« des österreichischen Altnazis Herbert Schweiger gepriesen, das »frei von Verschuldungszwang, Steuererhöhungen und Zins- und Zinseszins« sei. Der 85jährige war Mitglied der SS und sitzt derzeit zum wiederholten Mal wegen »NS-Wiederbetätigung« in Österreich im Gefängnis.
Auch scheinen sich die diversen Gruppierungen der rechtsextremen Szene aus Leipzig und Umgebung immer besser zu verstehen und sich an den radikaleren unter ihnen zu orientieren.

Der zentrale Anlaufpunkt für alle ist das NPD-Zen­trum in der Odermannstraße 8 im westlichen Stadtteil Lindenau, das seit Oktober 2008 existiert. Der Vorsitzende der sächsischen NPD und Landtagsabgeordnete Winfried Petzold eröffnete mit den Worten, man wolle »Leipzig nicht den Roten überlassen«, dort sein Bürgerbüro und die Kreisgeschäftsstelle der Leipziger NPD. Die rechte Fußballfangruppe »Blue Caps« hat ihr Postfach in der Odermannstraße, ein Rechtsrock-Konzert fand in dem Haus statt, und im Juli luden »Autonome Nationalisten« zu einem Vortrag des nordrhein-westfälischen Neonazis Axel Reitz ein. Die JN holten den Berliner Szeneanwalt und früheren Anführer der Wiking-Jugend, Wolfram Narath, der über »Lebensgesetze und Völkerrecht« referierte, und organisierten einen Vortrag zum Thema »Politisches Soldatentum vom ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart«.
Vor allem der zweite Vortragstitel passt wunderbar zu den Plänen des Bundesvorsitzenden der JN, Michael Schäfer, und des stellvertretenden Landesvorsitzenden der NPD Sachsen-Anhalt, Matthias Gärtner. »Weg von der ›Jugendorganisation‹, weg vom Bild der ›Junior-NPD‹ und hin zur Kampfgemeinschaft im vorpolitischen Raum, hin zur bundesweiten Formation politischer Soldaten!« schrieben sie im Januar in der Zeitschrift der JN, Der Aktivist.
Offenbar sollen die JN wieder wie früher als Bindeglied zwischen Partei und freien Kräften fungieren. Während des Wahlkampfs hatte eine kleine Gruppe von Nazis unter dem Label »Freies Leipzig« noch zum Wahlboykott aufgerufen und die NPD und die DVU auf fotokopierten Plakaten als »Das BRD-Waschpulver zur Gehirnwäsche« bezeichnet – wie auch alle übrigen Parteien. Die Demonstration am 17. Oktober deuten Beobachter nun als »Reunion« parteiferner und parteinaher Leipziger Nazis. Nach einer Pressemitteilung der Arbeitsgruppe zur Dokumentation von Diskriminierung und rechter Gewalt im Umfeld der Leipziger Fußballfanszene (AG Doc) waren schon am 4. Oktober »Autonome Nationalisten« und Hooligans des 1. FC Lok Leipzig gemeinsam mit einem NPD-Stadtratskandidaten beteiligt, als 15 bis 20 Nazis Fußballfans der Mannschaft BSG Chemie angriffen und einer von ihnen mit einem Auto angefahren und schwer verletzt wurde. Zwei der Angreifer seien auf dem offiziellen Mobilisierungsvideo für die Demonstration am 17. Oktober wiedererkannt worden.
»Die aus dem Umfeld der NPD und der ›Freien Kräfte‹ stammenden Täter griffen die Chemie-Fans mit Pfefferspray, Holzknüppeln, abgebrochenen Glasflaschen und Eisenstangen an.« Die Angreifer seien unmittelbar nach dem Vorfall in mehreren Pkw geflüchtet. »Wenig später wurden zwei der Fahrzeuge vor dem NPD-Zentrum in der Odermannstraße gesichtet«, weiß die AG Doc zu berichten. Die offensichtliche Verbindung zu dem brutalen Angriff lasse »hinter die für den Wahlkampf aufgesetzte Maske eines ›friedfertigen nationalen Zentrums‹ in der Odermannstraße blicken«, sagt Luca Meier vom Antifaschistischen Netzwerk Leipzig-West. »Das Büro ist ein Zeichen für die Vitalität der Naziszene in Leipzig. Sie können hier einen Raum für ihre menschenverachtende Ideologie halten.«

Gegen den angemeldeten Aufmarsch regt sich allerdings Protest. Mit dem Slogan »Im Herbst fallen nicht nur die Blätter« rufen Antifas zu dezen­tra­len Aktionen auf, und unter dem Motto »Leipzig nimmt Platz« will ein Bürgerbündnis versuchen, die Demonstration zu stoppen. »Für viele, die sich dem Aufruf zum zivilen Ungehorsam gegen den Naziaufmarsch anschließen, ist es das erste Mal, dass sie sich – teilweise auch namentlich – in dieser Form gegen Nazis und auch für nicht ganz rechtskonformes Handeln positionieren«, sagt die Leipziger Stadträtin Juliane Nagel (»Die Linke«), die im Bündnis »Leipzig nimmt Platz« aktiv ist. »Viele haben das Problem wachsender Nazistrukturen schlichtweg nicht wahrgenommen oder sich nicht davon betroffen gefühlt.« Mit der Demonstration gegen die »Nationalen Sozialisten« könnten sich »zivilgesellschaftliche Strukturen« in Leipzig wieder etablieren, hofft sie. »Als Christian Worch die Stadt Jahr für Jahr zweimal mit Demonstrationen heimsuchte, gingen noch Tausende Menschen auf die Straße und verhinderten die Demos teilweise erfolgreich.« Der Elan habe nachgelassen, seit vermehrt »hauseigene« Neonazis in der Gegend aktiv seien, kritisiert Juliane Nagel.