Über die Finanzakrobatik der Regierung

Im Schatten des Haushalts

Die Finanzlage des Staatshaushalts legt eine Einlösung der Wahlversprechen nicht unbedingt nahe. Schon während der Koa­litionsverhandlungen übte sich die neue Regierung in Finanzakrobatik und wechselte vom Schatten- in den Nebenhaushalt.

Der von der schwarz-gelben Koalition geplante so genannte Schattenhaushalt hat sich erledigt, zumindest für dieses Jahr. Dafür wird Wolfgang Schäuble nun Finanzminister. Von außen betrachtet glich die Debatte um den Schattenhaushalt einer Farce. Kaum verkündeten CDU, CSU und FDP einen Weg, wie sie vorerst um eine Senkung der Sozialleistungen herumkommen würden, empörte man sich bei der SPD, bei den Grünen und in der Linkspartei. Mittlerweile sind die Pläne wegen »verfassungsrechtlicher Bedenken« vom Tisch. Die Koalition will nun für den Haushalt 2010 einen neuen Versuch unternehmen. Auch wenn die Pläne vorerst nicht realisierbar sein dürften, zeigt die Auseinandersetzung doch in paradigmatischer Weise, wie Finanzpolitik im Post-Crash-Zeitalter funktioniert.

Das Unglück nahm im vergangenen Jahr seinen Lauf mit den dramatischen Kurseinbrüchen an den Börsen. Schnell wurde klar, dass auch die so genannte Realwirtschaft in hohem Maße in Mitleidenschaft gezogen werden und die gesamtwirtschaftliche Stabilität auf dem Spiel stehen würde. Die Bundesregierung war gewillt, das Schlimmste zu verhindern, und konnte dabei auf fraktionsübergreifende Solidarität setzen. In einem Hau-Ruck-Verfahren, das eher an Notstandsgesetzgebung denn an parlamentarische Demokratie erinnerte, wurde im Rahmen zweier »Konjunkturpakete« ein Finanzmarktstabilisierungsfonds geschaffen. Bislang wurden für vom Bankrott bedrohte Banken über 65 Milliarden Euro ausgeschüttet und mehr als 140 Milliarden als Sicherheiten zugesagt. Dieser Finanzmarktstabilisierungsfonds ist ein so genanntes Sondervermögen des Bundes, also ein Finanztitel, der außerhalb des offiziellen Haushalts angesiedelt ist. Der Vorteil dieser Sondervermögen ist, dass sie den Politikern eine Neuaufnahme von Schulden jenseits rechtlich festgesetzter Verschuldungsgrenzen ermöglichen. Und nichts anderes als diese Sondervermögen ist gemeint, wenn von »Schattenhaushalten« die Rede ist. Dieser inoffizielle Titel dürfte wesentlich näher an der Wahrheit sein als der offizielle Euphemismus des »Sondervermögens« – schließlich handelt es sich nicht um Vermögen, sondern um Verschuldung.
Verschuldungsgrenzen gelten bereits seit dem Maastricht-Vertrag, mit dem eine stärkere polit-ökonomische Vernetzung innerhalb der EU erreicht werden sollte. Nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) darf die Neuverschuldung der Staaten betragen, die den Vertrag unterzeichnet haben. Weil das einigen, vor allem in den Reihen von CDU und FDP, nicht ausreichte, wurde nun eine schärfere Regelung ins Grundgesetz aufgenommen: Lediglich 0,35 Prozent des BIP soll die Neuverschuldung noch betragen dürfen. Wenn die Bundesregierung nun aber, bevor diese Regelung 2011 in Kraft tritt, entsprechende Schulden in diesen Fonds überführt, tauchen diese in der offiziellen Statistik nicht mehr auf.

Den Verantwortlichen bei CDU, CSU und FDP fiel nach ihrem Erfolg bei der Bundestagswahl auf, dass die FDP ihr Wahlversprechen einer deutlichen Steuersenkung für den Mittelstand nur würde einhalten können, wenn gleichzeitig die Verschuldung steigt. Wer wäre darauf gekommen – wenn weniger Geld eingenommen wird, ist weniger zum Ausgeben da! Die ratlosen Beteiligten suchten nach einer Lösung und schienen sie schließlich auch in Form besagter Sondervermögen gefunden zu haben. Würden einfach die durch steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Wirtschaftsleistung fehlenden Gelder für die Sozialversicherungen pauschal für die nächsten vier Jahre jetzt als Kredit aufgenommen und in eben diese Fonds überwiesen, dann wären die Beteiligten das Problem zumindest vorübergehend los.
Es ist kaum zu übersehen, dass die Politik hier vor einem strukturellen Dilemma steht. Zunächst ist völlig klar, dass steigende Staatsverschuldung die Handlungsfähigkeit nicht nur kommender, sondern auch amtierender Regierungen in nicht zu unterschätzendem Maße einschränkt. Dies betrifft staatliche Ausgaben in jedweder Form, insbesondere freilich die Ausgaben für Soziales und Kultur. Gleichzeitig macht aber der Kapitalismus partout nicht, was die Beteiligten von ihm erwarten. Als der unverschämte Dickkopf, der er nun einmal ist, weigert er sich seit Jahrzehnten, dem Staat die prosperierenden Finanzierungsquellen zur Verfügung zu stellen, die dieser noch aus den seligen Zeiten des Wirtschaftswunders gewohnt ist.

Dass mit steigender Produktivität zwar betriebswirtschaftliche Gewinne maximiert werden können, die volkswirtschaftliche Wachstumssteigerung aber zugleich auf eine Ausdehnung der Märkte angewiesen ist, gilt als unhintergehbares Grundgesetz kapitalistischer Dynamik. Und diese Markterweiterungen sind seit etwa 30 Jahren rar geworden. So rar, dass in den vergangenen Jahrzehnten verstärkt auf die Spekulation auf gelingende Wertverwertung statt auf die Verausgabung von (im kapitalistischen Sinne) produktiver Arbeit gesetzt wurde. Die so entstehenden Finanzblasen können direkt über die Märkte oder indirekt über den Staatshaushalt organisiert werden. Im Ergebnis ändert sich nicht viel an ihrem prekären Charakter.
Mit der gegenwärtigen Finanzkrise ist hier jedoch ein neues Niveau erreicht worden. Fast über Nacht ist die Staatsverschuldung um einen dreistelligen Milliardenbetrag angestiegen, da die ungedeckten Mengen fiktiven Kapitals, die sich über die Jahre hinweg angesammelt hatten, sich plötzlich als die Illusion erwiesen, die sie schon immer waren. Und so bleibt der Politik nicht viel mehr, als zwar immer wieder auf die Notwendigkeit einer soliden Haushaltsführung zu verweisen, sobald jedoch die entsprechenden Protagonisten in der Regierungsverantwortung stehen, vergessen sie diesen Anspruch schnell. Da wundert es auch nicht, dass sich die FDP noch im Januar gegen die nun diskutierten Maßnahmen aussprach. Derartige Fonds, wie sie nun eingerichtet werden sollen, verstießen gegen den »Grundsatz der Haushaltswahrheit« und seien »bedenklich«, da es sich bei ihnen »um einen Schattenhaushalt handele«, war seinerzeit in einer Pressemitteilung der FDP-Fraktion im Bundestag zu lesen.
Wie geht es also weiter? Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat schon frühzeitig die Richtung gewiesen: Viel solider als so ein Schattenhaushalt sei es doch, einfach die Ausgaben zu kürzen. Etwa im Sozialetat. Würden Teile der Staatsausgaben aus dem Haushalt ausgegliedert, gäbe es keine Notwendigkeit für die Sozialpolitiker, die Ausgaben für Soziales zu überprüfen. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, einfach über verfassungsrechtliche Bedenken hinwegzugehen und im nächsten Jahr einen neuen Versuch zu unternehmen. Für beide Varianten mehr als geeignet dürfte jedenfalls der neue Finanzminister Wolfgang Schäuble sein. Der hat als Innenminister bereits mehr als einmal bewiesen, dass er sich weder durch weitgehendes Unbehagen in der Bevölkerung noch durch verfassungsrechtliche Bedenken aufhalten lässt. Er ist in diesem Sinne ganz eindeutig der richtige Mann am richtigen Platz.