Abdruck aus »Ich bin der letzte Jude. Treblinka 1942/43. Aufzeichnungen für die Nachwelt«

Im Dentistenkommando

Erinnerungen an das Vernichtungslager Treblinka.

Wir marschieren in Kolonnen zur Arbeit.
Der blutige Trunk meines Nachbarn.
Der Sprung in die tiefe Grube.

Wie gewöhnlich sind wir wieder schnell gezählt. Das Tor geht auf, und wir gehen hinaus: zuerst der Maschinentrupp, das sind die Schlosser. Sie warten die Motoren, die das Gas für die Gaskammern (1) liefern. Sie beeilen sich, weil ein frischer Transport angekommen ist und die Opfer so schnell wie möglich aufgenommen werden müssen.
Dann sind die Dentisten an der Reihe. Sie rennen zu der Zelle, die ihnen zugewiesen ist. Sie greifen schnell nach den Zahnarztzangen und laufen weiter zu dem Platz, wo sie die Münder der Toten kontrollieren und die künstlichen Zähne herausziehen müssen.
Nach den Dentisten laufen die Tischler los. Sie müssen Baracken errichten und den Innenausbau machen.
Danach kommt die Gruppe, die »Schlauchkommando« genannt wird. Sie muss das Blut der Toten wegputzen. Überall wird Sand ausgestreut, damit nicht die geringste Spur zurückbleibt. Nachdem die Arbeiter den Weg wieder hergerichtet haben, gehen sie in die Gaskammern und waschen Wände und Böden. Keine einzige Blutspur darf sichtbar bleiben. Die Türen der Gaskammern stehen offen, und ein Maler tüncht die Wände frisch. Alles muss tadellos sein, bevor ein neues Kontingent in Empfang genommen wird.
Dann ist die so genannte Rampe dran. Diese Gruppe von Juden arbeitet nach dem Vergasen in den Gaskammern. Jemand sagt an, wann die Klappen von außen geöffnet werden können, dann müssen die Leute von der Rampe die Leichen herausziehen. Diese Arbeit ist besonders hart, denn die Toten sind wie zusammengeschweißt.
Nach den Rampenarbeitern geht die Gruppe der Küchenarbeiter los. Dann werden die Übrigen gezählt. Ein Teil wird zum Tragen der Leichen, der andere zum Tragen von Sand eingeteilt. Mir fällt auf, dass die, die schon seit ein paar Tagen da sind, sich bemühen, nicht zum Sandverladen zu kommen, denn der Scharführer dieser Gruppe – »der Weiße« genannt – ist auf die Pistole spezialisiert. Zum Abendappell erscheint er oft allein, weil er seine Arbeiter bis zum letzten erschossen hat.
Mein Kamerad und ich sind bei den Trägern. Dieser Tag ist wie alle furchtbar schwer auszuhalten. Wir kriegen so oft Peitschenhiebe, dass uns die Beine kaum noch tragen. Es ist unmöglich, auch nur einen Schluck Wasser zu trinken, und vor Durst brennen die Lippen wie Feuer. Es ist sinnlos zu bitten oder zu weinen: Das Einzige, was man kriegt, sind Schläge ohne Ende.
Als mein Kamerad einen Augenblick neben einem Dentisten steht, entdeckt er einen Rest Wasser im Gefäß, in dem die noch blutigen Zähne gesammelt werden. Er wirft sich auf den Boden und leckt das mit Blut vermischte Wasser. Er bekommt Peitschenhiebe, aber er trinkt.

Dieser Tag ist ganz besonders hart. Ein Zug mit achtzehntausend Menschen kommt an, und alle Gaskammern sind in Betrieb.
Wir arbeiten. Hin und wieder gibt es Träger, die alles stehen und liegen lassen, sich in die tiefe Grube nahe den Todeskammern werfen und auf diese Weise ihrem verfluchten Leben ein Ende machen.
Endlich schlägt es sechs Uhr abends. Ein Schrei: »Antreten!« Wir versammeln uns, und unser Scharführer-Chef, Matias (2), befiehlt uns, ein schönes Lied zu singen. Wir müssen alle singen. Dann vergeht noch eine Stunde, bis wir in die Baracken zurückkehren.

Ich werde dem Dentistenkommando zugeteilt.
Achtundvierzig Stunden in den Gaskammern.
Verrückter Wettlauf mit der Zeit vor und nach dem Vergasen.
»Zahntechnik«.
Ich habe Goldzähne übersehen und werde geschlagen.

Nachdem ich vier Wochen als Träger gearbeitet habe, werde ich in das Dentistenkommando aufgenommen. Es gab neunzehn Dentisten, ich war der zwanzigste.
Der Chef des Totenlagers, Scharführer Matias, war gerade aus dem Urlaub zurückgekommen. Als er beim Appell feststellte, dass das Dentisten­kommando nur neunzehn Mitglieder zählt, hat er meinem Bekannten Dr. Zimerman, dem Kapo der Dentisten, befohlen, das Kommando auf zwanzig aufzustocken. Das war um den 3. November herum. Die Transporte waren wieder größer geworden, und es wurden Dentisten gebraucht. Als Dr. Zimerman verkündete, er suche einen Dentisten, bin ich vorgetreten und habe gesagt, dass ich Zahnarzt bin. Auch andere haben sich gemeldet, aber Dr. Zimerman hat mich ausgewählt und in sein Kommando aufgenommen.

Wir machten uns zur Arbeit auf.
In dem kleineren Gebäude mit nur drei Gaskammern gab es einen Holzschuppen, in den man vom Korridor aus gelangte, der auch zu den Gaskammern führte. Darin stand ein langer Tisch, an dem die Dentisten arbeiteten. In einer Ecke des Raums stand ein Panzerschrank, in dem das Gold und Platin der Zahnkronen und die in den Kronen versteckten Diamanten aufbewahrt wurden sowie das Geld und der Schmuck, die unter den um den nackten Körper gelegten Bandagen oder bei den Frauen in der Vagina gefunden wurden.
Der Panzerschrank wurde einmal wöchentlich von Matias oder seinem Stellvertreter Karol Spezinger (3) geleert. Am Tisch standen lange Bänke, auf denen wir eng aneinandergedrängt unsere Arbeit verrichteten. Auf dem Tisch stellten wir Gefäße für die gezogenen Zähne und die verschiedenen Zahninstrumente auf.
Unsere Arbeit bestand darin, das Metall vom Gips der Plomben und von den echten Zähnen abzulösen. Wir mussten auch die Kronen von den Brücken trennen, die künstlichen Zähne reinigen und sortieren. Mit einem kleinen Lötkolben wurde der Kautschuk herausgeschmolzen. Die Dentisten waren in mehrere Gruppen eingeteilt. Fünf Personen kümmerten sich um die falschen weißen Zähne, ein paar beschäftigten sich mit den Metallzähnen, und zwei Spezi­alisten sortierten das Metall: Weißgold, Gelbgold, Platin und gewöhnlichere Metalle. Die Dentisten arbeiteten unter der Anleitung von Dr. Zimerman, der ein sehr anständiger Mensch war. Die Deutschen suchten ihn mit besonderen Anliegen auf. Bevor sie in Urlaub fuhren, kamen sie zu uns, um ein paar schöne Steine auszusuchen oder um sich Fremdwährung zu besorgen.
In dem Schuppen war ein kleiner Ofen. In einer Wand waren zwei kleine Fenster angebracht, durch die man auf den Platz vor dem Haus mit den zehn großen Gaskammern sehen konnte. Wenn ein Transport abgefertigt war und die Klappen der Gaskammern geöffnet wurden, klopften die Deutschen an das Fenster und riefen: »Dentisten raus!« Je nach Größe des Transports gingen eine oder mehrere Sechsergruppen raus und stellten sich mit Zangen in der Hand an dem Weg auf, der von der Rampe, wo die Leichen aufgetürmt waren, zu einem oder mehreren Massengräbern führte (als man anfing, die Leichen zu verbrennen, wurden sie zum Scheiterhaufen (4) getragen).

Es ist wichtig anzumerken, dass zwei Vergas­ungsgebäude in Betrieb waren, als ich im Totenlager zu arbeiten anfing. Ein größeres, in dem sich zehn Gaskammern befanden, und in jede passten vierhundert Personen. Eine Gaskammer maß sieben mal sieben Meter. Die Menschen wurden wie Sardinen hineingestopft. Wenn eine Gaskammer voll war, wurde die nächste geöffnet und so weiter. Für die kleineren Transporte wurde das ältere Gebäude mit den drei Gaskammern benutzt, in die jeweils vierhundertfünfzig bis fünfhundert Personen passten. In diesem Gebäude dauerte das Vergasen zwanzig Minuten, während es in dem neueren Gebäude etwa eine Dreiviertelstunde dauerte.

An den Tagen, an denen die Herren durch das Vernichtungskommando in Lublin (5) telefonisch unterrichtet wurden, dass am folgenden Tag kein Transport kommen würde, sperrten die Mörder die Menschen aus reinem Sadismus in den Gaskammern ein und ließen sie da, sodass sie aus Mangel an Luft den Erstickungstod starben. Einmal sind sie achtundvierzig Stunden so darin geblieben, und als die Klappen geöffnet wurden, röchelten einige und gaben noch Lebenszeichen von sich.
Die meisten Menschen waren aufgedunsen und schwarz. Die SS-Männer oder die Ukrainer schauten durch die Luken, um zu prüfen, ob alle tot waren und die Klappen geöffnet werden konnten.

Als ich schon etwa eine halbe Stunde an meinem Arbeitsplatz war und zu begreifen begann, wie ich mit den Instrumenten umzugehen hatte, wurde an das Fenster geklopft, wie ich es oben beschrieben habe. Unser Gruppenchef sah, dass die Rampenkolonne zu arbeiten begann und die Klappen öffnete. Er wählte sechs Männer aus, die sich am Weg der Leichenträger aufstellen mussten. Ich war einer von ihnen.
Jeder von uns nimmt zwei Zangen mit. Wir gehen hinaus. In der Schreinerei, wo Jankl Wiernik (6) arbeitet, greift jeder nach einem kleinen Tisch. In unserem Schuppen war wenig Platz, deshalb wurden die Tische in der Schreinerei gestapelt. Wir schöpfen alle ein bisschen Wasser aus dem Brunnen und laufen zur Arbeit.
Der Platz vor der Rampe ist die Hölle. Die ersten Dämpfe, die austreten, wenn die Klappen geöffnet werden, sind gefährlich. Die stehenden Leichen sind aneinandergepresst, die Arme und Beine ineinander verschlungen, sodass die Rampenkolonne ihr Leben riskiert, bis es ihr end­lich gelingt, die ersten paar Dutzend Leichen wegzuschleppen. Danach löst sich der Haufen, und die Leichen fallen von alleine heraus. Das Zusammenpressen kommt daher, dass die Menschen sich aus höllischer Angst aneinanderklammern, wenn sie mit Gewalt in die Gaskammer getrieben werden. Außerdem halten sie die Luft an, um hineinzukommen und Platz zu finden. Während des Erstickens und der Agonie bläht sich der Körper auf, und schließlich bilden die Leichen nur noch eine einzige Masse.

Die Leichen waren in unterschiedlichem Zustand, je nachdem ob sie aus den großen oder den kleinen Gaskammern kamen. In den kleinen trat der Tod schneller ein und war leichter. So wie die Gesichter aussahen, hätte man meinen können, es seien Schlafende: Die Augen waren geschlossen, nur bei einigen der Vergasten war der Mund entstellt, und auf den Lippen stand mit Blut vermischter Schaum. Die Leichen waren schweißbedeckt. Vor dem Sterben hatten die Menschen Urin und Exkremente ausgeschieden. Die Leichen, die aus den großen Gaskammern kamen, in denen der Tod langsamer eintrat, hatten eine grauenvolle Verwandlung durchgemacht. Sie hatten ganz schwarze Gesichter, als ob sie verbrannt worden wären, die Leiber waren aufgedunsen und blau verfärbt. Sie hatten die Zähne so krampfhaft zusammengebissen, dass es unmöglich war, die Kiefer voneinander zu lösen, um an die Goldkronen heranzukommen. Manchmal musste man ihnen echte Zähne herausbrechen, um den Mund überhaupt öffnen zu können.
Die Arbeit zur Beseitigung der Leichen war auf mehrere Gruppen verteilt. Abgesehen von den Rampenarbeitern (etwa zwanzig Männer) gab es etwa dreißig bis vierzig Träger, sechs Dentisten und bei den Massengräbern eine Totengräberkolonne. Etwa zehn von ihnen standen in der Grube und legten die Toten Kopf bei Fuß, damit möglichst viele Leichen in die Grube passten. Eine andere Gruppe bedeckte jede Schicht mit Sand, bevor die nächste Schicht Leichen darübergelegt wurde. Die Massengräber wurden von einem Bagger (später gab es drei) ausgehoben. Sie waren riesig, ungefähr fünfzig Meter lang, dreißig Meter breit und mehrere Stockwerke tief – nach meiner Schätzung: vier. Durch die unablässige Bewegung, das Hin-und-Her-Laufen von einem Ort zum andern und die Peitschenhiebe glich das Ganze einer Teufelsmühle. Deutsche oder Ukrainer mit der Peitsche in der Hand bewachten jede Gruppe. Sie setzten ständig die Peitsche ein, ohne sich darum zu kümmern, wohin die Schläge trafen: auf den Kopf, den Rücken, den Bauch oder die Arme. Und wenn sie darauf achteten, dann bemühten sie sich, die empfindlichsten Stellen zu treffen oder die, wo es dem Organismus am meisten schadet. Die Rampenarbeiter und die Träger und überhaupt alle waren einem höllischen Arbeitstempo unterworfen. Die Rampenarbeiter mussten dafür sorgen, dass immer ein Haufen Leichen bereit war, damit die Träger nicht zu warten hatten. Die Träger mussten im Laufschritt eine Leiche fassen – und schon aus der Ferne eine aussuchen, die sich leicht herausziehen ließ –, sie auf die Trage werfen und damit zum Massengrab rennen.
Die Tragen ähnelten Leitern, daran waren Riemen befestigt, die über die Schultern gezogen wurden.
Die Dentisten standen auf dem Weg von der Rampe zum Massengrab in einer Reihe. Der Erste der Reihe musste rasch die Mundhöhle der Leiche prüfen, und wenn er Goldzähne oder andere falsche Zähne entdeckte, wies er die Leiche einem freien Dentisten zu. Die Träger traten einen Moment zur Seite, um das Hin-und-Her-Laufen nicht zu behindern. Es war ihnen verboten, die Leichen auf die Erde zu legen. Sie mussten sie festhalten, und der Dentist fasste mit der Zange rasch den Goldzahn oder die Brücke und zog sie so schnell wie möglich heraus. Er musste genau aufpassen, dass er keinen der zu ziehenden Zähne übersah. Vor dem Massengrab kontrollierten die Deutschen. Wehe dem Dentisten, dem im Mund einer Leiche ein Goldzahn entgangen war.
Einmal sah ein Deutscher im Mund eines Toten einen Goldzahn blinken. Da ich der Letzte in der Reihe war, wurde ich für die Sünde verantwortlich gemacht. Ich musste unverzüglich in die Grube springen, dabei habe ich mich mehrmals überschlagen. Ich zog den Zahn in aller Eile heraus, und als ich aus der Grube gestiegen war, befahl mir der SS-Mann, mich auf die Erde zu legen. Er verpasste mir fünfundzwanzig Peitschenhiebe. Ein anderes Mal, kurz danach, habe ich einen Mund voller Zähne durchgehen lassen. Ich war wieder der Letzte in der Reihe gewesen, die anderen Dentisten waren beschäftigt. Es war eine sehr schwere Leiche, und die Träger hofften, es würde ihnen gelingen, sie ohne Kontrolle in die Grube werfen zu können. An diesem Tag arbeiteten wir unter dem Befehl des Unterscharführers Gustav. (7) Er bemerkte die Zähne im Mund der Leiche, und dieselbe Szene wiederholte sich. Dieses Mal bekam ich etwa siebzig Schläge mit der Peitsche. Mit ganzer Kraft schlug er auf meinen Rücken ein, immer auf dieselbe Stelle. Es fehlte nicht viel, und er hätte mir das Rückgrat gebrochen. Als es mir unter größten Schmerzen gelang aufzustehen, rann das Blut an mir hinunter bis in die Hose. Bald hatte sich eine riesige Blutkruste auf dem Rücken gebildet, und am nächsten Tag wurde eine Blutvergiftung festgestellt. Ich hätte nicht überlebt, wenn Dr. Zimerman mich nicht operiert hätte. Glücklicherweise war das an einem Sonntag, als wir nicht arbeiteten. Dr. Zimerman hatte die Instrumente bei sich und führte die Operation in der Baracke durch. Er betäubte mich sogar, dann öffnete er die Wunde und säuberte sie. So hat er mir das Leben gerettet.

Die Juden von Ostrowiec werden nachts in die Gaskammern getrieben.
Sie leisten Widerstand.
Lagerchef Matias ist verletzt.
Eine neue Zerstreuung.
Schlägerei in der Gaskammer.

Bis zum 15. Dezember kamen die Transporte regelmäßig, mit ungefähr zehntausend Personen täglich. Wenn ein Zug nach sechs Uhr abends ankam, wurden die Insassen im Allgemeinen nicht mehr am selben Tag vergast. Der Zug blieb im Bahnhof von Treblinka stehen und fuhr erst am folgenden Morgen ins Lager ein.
Am 10. Dezember hielt ein Transport mit ­Juden aus Ostrowiec (8) im Bahnhof. Die Lagerleitung wurde informiert, am nächsten Morgen würde ein weiterer Transport in Treblinka eintreffen. Es wurde angeordnet, die Juden aus Ostrowiec noch in derselben Nacht in die Gaskammern zu schicken. Der Befehl wurde ausgeführt. Wir waren schon in den Baracken eingeschlossen und konnten nichts sehen. Wir hörten nur die üblichen Schreie. Aber als wir am nächsten Morgen zur Arbeitsstelle ­gingen, entdeckten wir die Spuren dessen, was nachts geschehen war. Die Rampenarbeiter öffneten die Klappen der Gaskammern und begannen, die Leichen herauszuziehen. Die Träger schleppten sie bis zu den Gruben. Dieses Mal hatten die Träger und die Aufräumer der so genannten Schlauchkolonne eine ganz neue Aufgabe zu erfüllen.
Der Gang des Gebäudes mit den drei kleinen Gaskammern war mit Leichen übersät. Das geronnene Blut reichte bis zu den Knöcheln. Von den Ukrainern erfuhren wir, was geschehen war. Eine Gruppe von mehreren Dutzend Männern hatte sich geweigert, die Gaskammer zu betreten. Nackt, wie sie waren, wehrten sie sich mit ihren Fäusten und wollten sich nicht hineinstoßen lassen. Daraufhin eröffneten die SS-Männer mit ihren Maschinengewehren das Feuer und machten die Rebellen auf der Stelle nieder.
Die Träger haben die Leichen weggebracht, die Aufräumer haben den Gang sauber gewaschen. Wie gewöhnlich haben die Maler die mit dem Blut und dem Gehirn der Ermordeten verschmierten Wände mit frischem Kalk übertüncht. Dann stand das Gebäude wieder dafür bereit, neue Opfer aufzunehmen.
Der Scharführer-Chef Matias kam dann zu uns Dentisten und sagte zu unserem Kapo Dr. Zimerman: »Und weißt du, Doktor, diese Kerle wollten sich entziehen.«
Matias war aufrichtig verwundert und überrascht. Er konnte einfach nicht fassen, warum sich diese Juden nicht bereitwillig hatten töten lassen, das war für ihn nicht normal.
Dieser Tag war besonders anstrengend gewesen. Kurz darauf kam schon der nächste Transport, und der Zufall wollte, dass es sehr viel falsche Zähne und Kronen zu entfernen gab.

Sobald ein Teil der Leichen bearbeitet war, wurden die Zähne in ein Gefäß getan und von zwei Dentisten zu einem Bad gebracht und gewaschen. Dann brachte man sie für die weitere Arbeit zu uns zurück. In unserer Zelle gab es ständig eine Reserve an Zähnen, und wenn sie nicht vom Blut und den Zahnfleischresten gereinigt worden wären, hätten sie früher oder später einen pestilenzialischen Gestank verbreitet.

Wenn einmal eine kurze Pause eintrat, nachdem wir eine Gaskammer geleert hatten und in der nächsten das Vergasen noch nicht fertig war, weil die Leute drinnen noch Lebenszeichen von sich gaben oder noch Schreie zu hören waren, dann zwangen uns diese Bestien, in der kurzen Pause zur Musik des aus Juden bestehenden Orchesters, das neben unserer Baracke stand und ununterbrochen musizierte, zu tanzen und zu singen.

Im Dezember sind die Transporte seltener geworden. Ein Teil der Deutschen ging in Urlaub. Matias war früher abgefahren und kam erst nach dem Neujahrstag 1943 ins Lager zurück. Er sah schlechter aus als zuvor bei uns im Lager. In Treblinka hatte er sich offensichtlich besser gefühlt als zu Hause. Die Luft von Treblinka tat ihm gut. Während der beiden Weihnachtstage waren keine Transporte angekommen.
Erst um den 10. Januar herum kamen sie wieder regelmäßig. Der Tag, an dem sie wieder einsetzten, war sehr schwer. Wir empfingen einen »Gast« aus dem Lager Nr. 1, den Untersturmführer Franz (9), genannt »Lalka«, »die Puppe«. Er brachte auch seinen Hund Bari (10) mit, der so berühmt war wie sein Herr.
Als die Arbeit wieder aufgenommen wurde, wandten die Deutschen neue Methoden an.
Um den 10. Januar herum kamen Transporte aus den Grenzgebieten, aus Białystok, Grodno und Umgebung. Der Winter war äußerst hart, es herrschte klirrende Kälte. Die Sadisten hatten sich einen neuen Zeitvertreib ausgedacht. Bei zwanzig Grad unter null schickten sie die jungen Frauen nicht gleich in die Gaskammer, sondern ließen sie erst einmal nackt im Freien stehen. Die Männer und älteren Frauen waren schon erstickt, aber die Mädchen, in Reihen aufgestellt, mussten halb erfroren mit bloßen Füßen im Schnee warten, sie zitterten vor Kälte, sie weinten, drängten sich aneinander und flehten vergeblich, »ins Warme« gelassen zu werden, wo der Tod auf sie wartete.
Die Ukrainer und die Deutschen blickten amüsiert auf diese jungen Körper, sie machten Witze und lachten, bis sie sich endlich gütig zeigten und dazu herabließen, sie ins »Bad« zu schicken.
Solche Szenen wiederholten sich noch oft den ganzen Winter über.

Es ist wichtig anzumerken, dass im Winter das Ziehen der Zähne um vieles schwieriger war. Vielleicht waren die Leichen nach dem Öffnen der Klappen erfroren, oder die Kälte hatte schon vor dem Eintritt in die Gaskammern ihre Wirkung getan, auf jeden Fall kostete es viel Mühe, die Münder zu öffnen. Und je mehr wir uns anstrengten, umso heftiger schlugen die Mörder auf uns ein.
Überhaupt war es auch im Sommer so, dass die Menschen so schnell wie möglich die Gaskammer erreichen wollten, wenn sie das letzte Stück durch den Schlauch getrieben wurden. Die Kammern boten ihnen Schutz vor den Schlägen, und sie wollten so schnell wie möglich alles hinter sich bringen.

Im Februar 1943 trat das Problem mit den Aschehaufen auf, die nach der Verbrennung der Leichen übrig blieben. Man richtete eine »Aschekolonne« ein. Am Morgen begannen die Träger damit, die Asche in Kisten wegzuschaffen, die an den Tragen befestigt waren. Man muss dazu sagen, dass die Leichen, die aus den Massengräbern geholt wurden, meistens in einem solchen Zustand der Verwesung waren, dass sie nicht mehr auf der leiterartigen Trage transportiert werden konnten. Deshalb legten wir die Teile in die Kisten und kippten dann Asche darüber.
Die Glieder der Leichen, die auf den Rosten verbrannt wurden, waren oft noch ganz. Wir zogen verkohlte, aber ganze Köpfe, Arme und Beine aus der Asche hervor. Das Aschekommando musste sie mit Holzstampfern zerkleinern. Diese ähnelten Eisenschaufeln, die zum Zerkleinern des Schotters auf den Straßen eingesetzt wurden, so wie andere denen ähnelten, die bei Sand- und Steinarbeiten eingesetzt wurden. Man hatte Gitter aus engmaschigem Eisendraht aufgestellt: Damit konnte die zerkleinerte Asche gesiebt werden, so wie man Kiesel vom Sand trennt. Was auf dem Gitter hängen blieb, wurde erneut zermalmt. Das geschah auf einem Stück Blech. Die Leute vom Kommando durften die Knochen erst dann von diesem ­Gitter nehmen, wenn sie vollkommen verkohlt waren. Solange das nicht der Fall war, blieben sie neben dem Ofen liegen und wurden dann auf eine neue Ladung Leichen geworfen. »Beendet« war die Arbeit, wenn die Asche auch von den kleinsten Knochenteilchen befreit und so fein wie Zigarettenasche geworden war.
Als sich große Haufen dieser feinen Asche angesammelt hatten, führten die Deutschen verschiedene Experimente durch, um sich der Asche zu entledigen und die Spuren der begangenen Morde zu vertuschen.
Zuerst haben sie versucht, die Asche mittels spezieller Flüssigkeiten in »Erde« zu verwandeln. Dafür kamen sogar Fachleute angereist. Sie standen vor den Haufen und mischten in verschiedenen Anteilen Sand unter die Asche, dann schütteten sie geheimnisvolle Flüssigkeiten auf das Gemisch. Was dabei herauskam, befriedigte sie nicht. Am Ende dieser Versuche beschlossen sie dann, die Asche unter einer dicken Sandschicht zu begraben.

Auf dem Boden der Gruben, aus denen die Leichen ausgegraben wurden, musste eine dünne Schicht Asche ausgestreut werden, darauf kam eine dünne Schicht Sand, und so weiter, bis etwa zwei Meter unterhalb der Erdoberfläche. Die letzten zwei Meter wurden nur mit Sand aufgefüllt. Auf diese Weise hofften sie, für immer die Spuren ihrer furchtbaren Verbrechen zu verwischen.
Die Juden, die dazu bestimmt waren, die Gruben auszuräumen, versäumten keine Gelegenheit, Überreste menschlicher Gebeine in der Erde zu lassen. Die Gruben waren unten enger, und von den Wänden rieselte Erde. Die geringste Unaufmerksamkeit eines Deutschen oder eines Spitzels wurde genutzt, um möglichst viele Knochen unter der Erde zu begraben.
Die Asche wurde in feinen Schichten ausgebreitet: eine Schicht Asche, eine Schicht Sand. Das war Routine. Diejenigen, die von morgens bis abends Asche und Sand herankarrten, traten dabei den Boden mit den Füßen fest.

Ich erinnere mich, wenn wir morgens wieder zur Arbeit zurückkehrten, stellten wir fest, dass die Oberfläche der Gruben an vielen Stellen aufgeplatzt war. Tagsüber wurde sie ständig mit den Füßen bearbeitet, aber nachts schob das Blut so viel Erde beiseite, dass die Träger alle Mühe hatten, mit ihren Karren voller Asche und Sand in die Gruben hinunterzusteigen.
Das Blut der Abertausend Opfer kann nicht in Frieden ruhen und drängt an die Oberfläche.

(1) Das Verbrennungsgas wurde vom Dieselmotor eines von den Deutschen beschlagnahmten sowjetischen Panzers produziert; A.d.franz. Hg.
(2) Es handelt sich um SS-Scharführer Heinrich Arthur Matthes, Chef des Lagers.
(3) Es handelt sich um SS-Scharführer Karl Pötzinger; A.d.Ü.
(4) Rajchman verwendet für die Feuerstellen zur Leichenverbrennung durchgängig das Wort »Ofen«, worunter man sich hier allerdings keine Krematoriumsöfen vorstellen darf. Die Verbrennungen fanden im Freien auf offenen Feuern statt, also eher auf »Scheiterhaufen«, ab Frühjahr 1943 systematisch auf den so genannten Rosten; A.d.Ü.
(5) Die Vernichtung der polnischen Juden wurde im Rahmen der so genannten Aktion Reinhardt organisiert und von Lublin aus geleitet, wo sich die »Hauptabteilung Einsatz Reinhardt« unter Hermann Höfle und die Inspektion der drei Lager unter Christian Wirth befand; A.d.franz. Hg.
(6) Jankel (geläufigere Schreibweise) Wiernik, 1889 geboren, wurde am 23. August 1942 deportiert. Da er von Beruf Tischler war, wurde er an verschiedenen Baustellen im Lager eingesetzt und war so bei der Koordinierung des Aufstands ein Vermittler zwischen Lager Nr. 1 und Nr. 2. Nach der Revolte floh er nach Warschau, wo er bis Kriegsende untertauchte. 1944 schrieb er einen kurzen Text über Treblinka (Jankel Wiernik, A Year in Treblinka. An inmate who escaped tells the day-to-day facts of one year of his torturous experience, New York o. J.), der vom polnischen Widerstand verbreitet und der polnischen Exilregierung in London zugeleitet wurde. Nach dem Krieg emigrierte Wiernik nach Israel, wo er 1961 beim Eichmann-Prozess aussagte, dann auch beim Treblinka-Verfahren in Deutschland; A.d.franz. Hg.
(7) Es handelt sich um SS-Unterscharführer Gustav Münzberger, der die Aufsicht beim neuen Gaskammergebäude hatte; A.d.Ü.
(8) Tatsächlich kam der Transport mit den Juden aus Os­trowiec am 12. Oktober; A.d.Ü.
(9) Es handelt sich um SS-Oberscharführer, ab Juni 1943 Untersturmführer Kurt Franz, der zunächst Stellvertreter des Lagerkommandanten Franz Stangl und dann, von August bis November 1943, selbst Lagerkommandant war; A.d.Ü.
(10) Übliche Schreibweise: Barry; A.d.Ü.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags aus: Chil Rajchman: Ich bin der letzte Jude. Treblinka 1942/43. Aufzeichnungen für die Nachwelt. Aus dem Französischen von Ulrike Bokelmann. Piper-Verlag, München 2009. 157 Seiten, 16,95 Euro. Das Buch ist soeben ­erschienen.

Chil Rajchman, geb. 1914 in Lodz (Polen), überlebte das Vernichtungslager Treblinka, in das er als 28jähriger ­deportiert wurde. Nach dem Aufstand im Lager im August 1943 gelang ihm die Flucht. Bis zum Kriegsende versteckte er sich an verschiedenen Orten. In dieser Zeit schrieb er seinen Bericht über die zehn in Treblinka ­verbrachten Monate. Er starb 2004 in Uruguay.

Geändert: 11. Dezember 2009