Über die repressive Stimmung gegen Autonome und Antifas

Autonom schockt

Hausbesetzer und Brandstifter, Autonome und Nazis – die Berliner Boulevardpresse und der Verfassungsschutz nehmen es mit den Unterschieden nicht so genau.

Es sind oft die kleinen, scheinbar bedeutungslosen Dinge und beiläufigen Bemerkungen, die man ernster nehmen muss als alles andere. Wenn, wie vorige Woche in der Berliner Brunnenstraße, 600 Polizeibeamte den Schutz des Eigentums gegen 23 Hausbesetzer-Punks durchsetzen und anschließend eben dieses Haus vollständig unbewohnbar machen, dann beklatscht das die Springer-Presse aus Prinzip. Aber auch Spiegel online berichtete in diesem Fall triumphierend: »In Berlin-Mitte hat der linksautonome Spuk ein Ende!« Und die Wortwahl ist verräterisch. Die Bezeichnung »linksautonom« entstammt dem rheto­rischen Waffenschrank des Verfassungsschutzes und soll suggerieren, dass es auch so etwas wie Rechts­autonome gebe. Damit sind Nazis gemeint, die keine Parteigänger sind, sich selbst »autonome Na­tionalisten« nennen und linke Codes kopieren. Doch Nazis, egal wie sie sich nennen, organisieren oder kleiden, haben nichts mit der Idee der Autonomie zu schaffen, weder im bürgerlichen, also kantischen Sinne, noch in dem der operaistischen Klassenautonomie. Wer Autonome und Nazis begrifflich in eine so enge Verwandtschaft setzt, hält sie auch für zwei unterschiedliche Symptome des gleichen Problems.
Dass ein Kampfbegriff wie »linksautonom« von den Medien übernommen wird, ist bezeichnend, insbesondere für die Stimmung in Berlin. Seit Angehörige der linken Szene im »Kampf ­gegen die Gentrifizierung« medienwirksam Privatautos in Brand setzen, ist die Aufregung groß. Wer die Hetze gegen »Hassbrenner« in der Boulevardpresse der Stadt glaubt, muss annehmen, dass die letzten besetzten Häuser und linke Wohnprojekte als Kommandozentralen einer ­pyromanen Guerilla fungieren. Entsprechend forderte Bild, das Zentralorgan der Stammtische: »Brennende Autos! Besetzte Häuser! Räumt endlich die linken Terror-Nester!«
Voll im Trend wartet der Berliner Verfassungsschutz mit einer neuen Broschüre über linke Gewalt in Berlin auf und plaudert über eine neue Strategie gegen Linksextremismus. Um diesen zu bekämpfen, müsse man »inhaltlich präventiv« tätig werden. Wie eine solche inhaltliche Auseinandersetzung aussehen kann, zeigt derzeit das nordrhein-westfälische Landesamt mit einem Anti-Antifa-Comic für Jugendliche. Da müssen ein paar brave Nachwuchsdemokraten »mit ansehen, wie ihr Freund Ben in die linksautonome Szene abdriftet. Am Ende sind alle geschockt.« Nicht wegen der allzu schlichten Story, sondern wegen der autonomen Gewalt, versteht sich. In Niedersachsen bereiten derweil sogenannte »Demokratielotsen« vom Verfassungsschutz Nach­hilfe­stun­den in Totalitarismustheorie für Schulen vor.
Darüber hinaus sollen befreundete Politiker und Journalisten die »demokratische Linke« für ihre vermeintliche Toleranz gegenüber Linksextremisten geißeln. Ziel ist es, die radikale Linke in die völlige Isolation zu drängen. Autonome Antifas sollen eine Art Hausverbot bekommen, wenn die sogenannte Zivilgesellschaft Bündnisse gegen Nazis schmiedet. Der strategische Ansatzpunkt dafür ist die allgemeine Ächtung von Gewalt, abgesehen von der staatlichen. Die Zeiten werden härter, die sozialen Konflikte schärfer, da reagiert der Staat besonders sensibel auf radikal­oppositio­nelle Störungsversuche.
Die wichtigste Aufgabe besteht nun darin, die Bildung von kritischem Bewusstsein voran zu treiben. Alle Handlungsformen, die diesen Zweck erfüllen, sind diskutabel. Den Nachbarn das Auto anzuzünden, gehört nicht dazu, die solidarische Verteidigung von linken Strukturen schon.
Zurück zu den bemerkenswerten Kleinigkeiten: Auf der nächtlichen »Freiraum«-Demonstration durch Kreuzberg und Mitte wird das Medienbild der vermummten, gewaltbereiten Chaoten von der Realität eingeholt: Es wird zur Karikatur. Die mit Sturmhauben maskierten Polizisten sind die einzigen Vermummten weit und breit. Demonstranten rufen ihnen entgegen: »Ihr reißt uns die Häuser ein, und wir sollen die Chaoten sein?«