Streit um die Schulreform in Hamburg

Klassenziel nicht erreicht

Die Schulreformpläne des Hamburger ­Senats sind durch ein erfolgreiches Volksbegehren gefährdet. Die von den Gegnern der Reform gesammelten Unterschriften reichen aus, um einen Volksentscheid zu erzwingen.

Plakate mit dem Motto »Sechs Richtige!« in der ganzen Stadt, Broschüren in verschiedenen Sprachen – der schwarz-grüne Senat warb intensiv für die geplante Schulreform in Hamburg. Mit wenig Erfolg, die Initiative »Wir wollen lernen« sammelte rund 184 000 Unterschriften gegen die Reform, mehr als drei Mal so viele Stimmen wie für ein erfolgreiches Volksbegehren nötig gewesen wären. Im Zentrum der Pläne des Senats steht die Einführung einer sechsjährigen Primarschule, auf die der Besuch einer Stadtteilschule oder eines Gymnasiums folgen soll. Das Gymnasium würde das Abitur nach zwölf Jahren anbieten, die Schüler der Stadtteilschulen hätten für diesen Abschluss ein Jahr mehr Zeit. Die Reform sieht vor, alle anderen Schulformen abzuschaffen, auch für Sonderschulen ist eine sukzessive Auflösung geplant. Die Initiative kritisiert vor allem die Einführung der Primarschule und das eingeschränkte Wahlrecht der Eltern beim Übergang ihrer Kinder auf die weiterführenden Schulen. Vor allem konservative Eltern sorgen sich um die Karrierechancen ihres Nachwuchses. Mit Beginn des Schuljahres 2010 sollte die Reform in Kraft treten, durch einen erfolgreichen Volksentscheid im kommenden Jahr könnte sie jedoch gänzlich hinfällig werden. Die komplette Umstrukturierung und der Umbau zahlreicher Schulgebäude sollen dann allerdings schon abgeschlossen sein.
Über das Ergebnis gefreut haben dürfte sich die nicht im Senat vertretene FDP, sie hatte das Volksbegehren unterstützt. Die NPD gratulierte der Initiative zu ihrem Erfolg. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) sprach von einem »Paukenschlag«, der ihn auch persönlich treffe. Und Christa Goetsch ging es wahrscheinlich wie dem Zauberlehrling, der seine eigenen Geister nicht mehr los wird. Schließlich hat ihre GAL im Koalitionsvertrag mit der CDU darauf gedrungen, den Senat in Zukunft an Volksentscheide zu binden. Bis zur Regierungsübernahme stand die GAL auch immer auf der Seite der Unterschriftensammler – mal gegen den Verkauf der landeseigenen Krankenhäuser, mal für mehr »Demokratie« in der Stadt. Jetzt sieht das anders aus. Hamburgs Bürger opponieren gegen die Bildungspolitik, und bei der Senatorin für Bildung ließ sich sofort ein Sinneswandel erkennen.

Die Initiative setze auf »dumpfen Populismus«, sie habe »Ängste« bei den Eltern geschürt, tönte es aus der Bildungsbehörde. Kein Wort mehr vom mündigen Bürger. Die vielen Unterschriften begreife sie als Aufforderung, »Argumente in die Stadt zu tragen«, erklärte Goetsch. Doch daran mangelte es in den vergangenen Wochen keineswegs. Die »Argumente« waren eigentlich nicht zu übersehen – neben der großangelegten Plakat­aktion im gesamten Stadtgebiet wurde auch auf Elternabenden für die Reform geworben. Dennoch stimmten viele Hamburger dagegen, nicht nur Eltern aus den noblen Elbvororten, aus denen sich die Initiatoren des Volksbegehrens vor allem rekrutierten. Den Unterzeichnern per se eine konservative Grundhaltung zu unterstellen, wäre zu einfach.

Viele Eltern und Lehrer befürchten, dass mit der Schulreform auch Einsparungen einher gehen werden. Die GEW unterstützt die Schulreform, ihr Landesvorsitzender, Klaus Bullan, erklärte in einer Pressemitteilung jedoch: »Nur wenn der Senat endlich einsieht, dass massiv in das Personal an den Schulen investiert werden muss, wird die Zustimmung zur Schulreform und zum längeren gemeinsamen Lernen zunehmen.« Danach sieht es derzeit jedoch nicht aus. Im Gegenteil, nach der Haushaltsklausur des Senats drangen Gerüchte über erste Sparpläne nach draußen. Finanzsenator Michael Freytag (CDU) habe umfangreiche Kürzungen im Kinder- und Bildungsbereich angekündigt. »Dann wäre es eine Reform auf dem Rücken der Beteiligten! Reformen müssen materiell und personell ›versüßt‹ werden«, so Horst Bethge, der Mitglied im Landesvorstand der »Linken« ist.
Jetzt soll es ein Mann aus der Wirtschaft richten. Vor wenigen Tagen präsentierten Christa Goetsch und Ole von Beust den Unternehmer Michael Otto, Aufsichtsratsvorsitzender des Versandhauskonzerns Otto, als Vermittler im Schulstreit. Er soll fortan die Gespräche zwischen den Kontrahenten moderieren und zu einer Lösung verhelfen. Zwar ist Goetsch zu Gesprächen über das Elternwahlrecht bereit, die sechsjährige Primarschule sei jedoch »unantastbar«. Ole von Beust hält das längere Lernen ebenfalls für unabdingbar, innerhalb der CDU dürfte das Volksbegehren jedoch zu Kontroversen führen. Diejenigen in der Partei, die dem Reformprojekt schon immer skeptisch gegenüberstanden, fordern bereits umfassende Nachbesserungen und plädierten für die Primarschule als Modellprojekt – natürlich nur als Modellprojekt. Walter Scheuerl, der Sprecher der Initiative, bekräftigte in einem Interview mit der Welt, dass er die weiterführenden Schulen ab der fünften Klasse erhalten will. Kommt es zu keiner Einigung, wird in einem Volksentscheid über die gesamte Reform entschieden. Damit die Initiative »Wir wollen lernen« erfolgreich ist, müssten dann rund 249 000 Wahlberechtigte gegen die Reform stimmen. Nach ihren bisherigen Erfahrungen sollte dieses Ziel erreichbar sein.