Über die Klima-Proteste in Kopenhagen

Die Wut der Pandabären

Die Großdemonstration der NGO und der Klimaschützer in Kopenhagen verlief weitgehend friedlich. Trotzdem griff die dän­ische Polizei hart zu. Hunderte De­mon­­stranten wurden am Samstag als »gewaltbereit« eingeschätzt und in Gewahrsam genommen. Am Ende waren es über 900 Menschen. Die Veranstalter der Demon­stration werfen der dänischen Po­lizei die massive Kriminalisierung der Bewegung und die Verletzung von Menschenrechten vor. Sie wollen den dänischen Staat beim internationalen Gerichtshof für Menschenrechte in Den Haag ­verklagen.

Es ist ein sonniger und kalter Wintertag in Kopenhagen. Auf dem Schlossplatz haben sich Zehntausende Demonstranten versammelt an diesem Samstag, dem großen Aktionstag für den Klimaschutz. Die Suche nach dem Block von Climate Justice Action (CJA), der mit dem Motto »System change, not climate change« Kapitalismuskritik in den Protest tragen will, gestaltet sich schwierig. Bei der Vielfalt an anwesenden NGO und verschiedenen Organisationen – die Demonstration wurde von mehr als 500 Gruppen initiiert –, kann man leicht den Überblick zu verlieren.
Aus dem CJA-Block wird später en masse verhaftet werden, »präventiv«, wie die dänische Polizei meldet, das heißt, ohne dass es irgendwelche Provokationen der Demonstranten gegeben hätte. Knapp 1 000 Demonstranten nimmt die Polizei allein am Samstag in Gewahrsam. Am Sonntagmorgen teilt sie mit, von 968 Betroffenen würden noch 13 in Arrest gehalten.

Dabei ist die Stimmung beim Auftakt der Demon­stration am Samstag ausgesprochen entspannt. Viele Demonstranten tragen hellgelbe Plakate mit Slogans wie »There is no Planet B« und »Bla …  Bla … Bla Act Now!«, die eine große NGO vorbereitet haben muss, denn es sind Tausende davon zu sehen. Eher vereinzelt finden sich Forderungen nach der »Befreiung« Tibets und Irans. Eine Statue von Karl Marx wird aus eher obskuren Gründen herumgetragen. Auch drei Freiheitsstatuen sind zu sehen. Der dänische Künstler Jens Galschiot hat sie gemacht. »Es geht mir darum, die Freiheit anzuprangern, die der amerikanische Lebensstil repräsentiert«, erklärt er sein Kunstwerk. Naiver noch wirken Plakate mit Aufschriften wie »Learn from Mother Nature« oder »Nature does no compromise«. Im Einklang mit den Naturfreunden fordert eine Gruppe Veganer auf, durch den Verzicht auf Tierprodukte das Klima zu retten.
Tierkostüme erfreuen sich besonderer Beliebtheit auf der Demonstration. Eisbären sind da, ein Drachen, zwei Kühe, ein Pferd und eine Gruppe Pandabären. Ich frage einen Pandabären, was er repräsentieren soll. Der Bär entpuppt sich als Bärin. Ihre Antwort lautet: Pandabären sollten ihr Schicksal selber in die Hand nehmen. Eine weitere Demonstrantin merkt vermutlich meine Ratlosigkeit und erklärt, der Pandabär sei das Symbol des World Wildlife Fund, einer großen NGO. Alles klar. Die Verkleidung ist also Werbung.
Eine Frau auf dem Podium sagt: »The world has spoken.« 100 000 Demonstranten seien an diesem Tag auf die Straße gegangen, behauptet sie. Dann übernimmt eine Gruppe von acht ganz in Grün gewandeten Animateuren das Podium. Einer von ihnen schlägt vor, sich gegenseitig zu umarmen. »Let’s have fun while we are doing this!« lautet der Aufruf.
Einige britische Demonstranten haben sich – diesem Motto folgend – als Emissionshändler verkleidet. In Anzügen und Kostümen ziehen sie durch die Demonstration und provozieren mit Sprüchen wie »Klimawandel ist ein prima Geschäft« und »Geht doch arbeiten!« Nicht alle verstehen den Spaß, die Fake-Emissionshändler werden von einem Demonstranten angespuckt.
Wer dagegen einen gewissen Sinn für Humor beweist, ist die Polizei. Einige Busse, mit denen die Menschen weggefahren werden, die vor der Demonstration präventiv festgenommen wurden, sind weihnachtlich geschmückt.
Beim Klimaforum 09, dem »Forum der Zivilgesellschaft«, das von NGO und sozialen Bewegungen organisiert wird und in der Nähe des Hauptbahnhofs stattfindet, gibt es am Tag nach der Demonstration Ärger unter den Teilnehmern. Eine Vertreterin des CJA beschwert sich über die »mangelnde Solidarität« vieler Demonstranten am Samstag. Dabei bezieht sie sich auf die Entscheidung der Demonstrationsleitung, während der Massenfestnahmen einfach weiterzumarschieren, ohne die Informationen an die anderen Demon­stranten weiterzugeben. Von den Polizeiübergriffen erfahren die meisten Demonstranten erst am Abend. Die hinter dem CJA-Block steckengebliebenen Demonstranten lassen sich brav von der Polizei um die Massenfestnahmen herumleiten. Die Polizei behauptet später, man habe die friedlichen Demonstranten vor einer »Minderheit von Gewalttätern« schützen wollen, und das Verhalten der Demonstrationsleitung scheint dies zu untermauern.
Vor der so genannten People’s Assembly erklärt die Sprecherin des CJA wütend, man habe wochenlang verhandelt und Absprachen getroffen, um eine Spaltung des Protestes zu verhindern. Das sei aber alles umsonst gewesen.

Im Forum sind sich allerdings inzwischen alle darüber einig, dass das Verhalten der Polizei zu verurteilen ist. Das liegt auch daran, dass die Polizei nicht bloß Antikapitalisten verhaftet hat. Betroffene Mitglieder der schwedischen Sektion von Friends of the Earth, einer der weltweit größten Umweltorganisationen, die auch an den internationalen Verhandlungen zum Klimawandel beteiligt ist, erklärten in einer Pressemitteilung, sie seien gefoltert worden. Man habe sie ohne Zugang zu sänitären Anlagen, Wasser oder Verpflegung sechs bis zwölf Stunden auf der kalten Straße sitzen lassen. Sie kündigten an, den dänischen Staat zu verklagen. Dänische Menschenrechtsgruppen wollen eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einreichen.
Die dänische Polizei bedauerte am Samstagabend, dass aus Versehen eine Reihe von »Unschuldigen« festgenommen worden sei. Sie bestätigte später, dass lediglich gegen drei der fast 1 000 Festgenommen tatsächlich ermittelt wird. Die Polizei entschuldigte sich auch dafür, dass die Festgenommenen so lange im Kalten sitzen mussten. Es habe nicht genug Busse gegeben.
Ihre Strategie ändert sie aber auch am folgenden Tag nicht. Am Sonntag kommt es bei einer weiteren kleinen Demonstration im Stadtteil Oesterbro erneut zu Massenfestnahmen. Wiederum schreitet die Polizei ein, ohne dass es zu einer Provokation der Demonstranten gekommen wäre, nimmt 250 Menschen fest und führt sie ab. Mehrere Journalisten befinden sich unter den Festgenommen. Weiteren Medienvertretern wird der Zutritt zum Schauplatz der Festnahmen verweigert.
Lysbeth Bryhl engagiert sich in der dänischen Organisation »Eltern gegen Polizeibrutalität«. Die Organisation wurde 2006 gegründet, als die Auseinandersetzungen um das ehemals besetzte Ung­domshuset ihren Höhepunkt erreichten. Mitglieder der Organisation beobachten und dokumentieren die Arbeit der dänischen Polizei bei Demonstrationen. »Die derzeitige Strategie geht auf die Auseinandersetzungen um das Ungdomshuset zurück«, ist sich Bryhl sicher. »Die Straßenschlachten in Kopenhagen sorgten damals wochenlang für internationale Schlagzeilen. Die Regierung will nun sicherstellen, dass sich solche Bilder nicht wiederholen«, erklärt sie. Deshalb habe man beschlossen, Massenverhaftungen präventiv durchzuführen, bevor es zu Auseinandersetzungen kommt. Das so genannte Lømmelpakke (Lümmelpaket), das zwei Wochen vor der Klimakonferenz verabschiedet wurde, bildet die gesetzliche Grundlage der präventiven Festnahmen. »Die Regierung zeigt sehr wenig Respekt für demokratische Rechte«, sagt Bryhl.
Die rechtspopulistische Danish People’s Party, die eine konservative Minderheitsregierung unterstützt, habe vor der Klimakonferenz mehr und mehr den öffentlichen Diskurs bestimmt und ein Klima der Angst verbreitet. Bryhl berichtet von einer dänischen Journalistin, die bei den Auseinandersetzungen in Oesterbro von der Polizei mit Pfefferspray verletzt worden sei. »Ich habe ihr angeboten, eine Beschwerde zu schreiben, aber das wollte sie nicht. Sie sagt, sie fürchte um ihren Job.«

Beim Klimaforum präsentieren die NGO und soziale Bewegungen ihre Vorschläge für den Umgang mit dem Klimawandel. Die People’s Assembly eröffnet mit einer Performance der lateinamerikanischen Bauernorganisation Via Campesina. Während die Bauern mit Kerzen durch die verdunkelten Reihen ziehen, hält eine Frau eine Art spirituelle Predigt, in der sie die »Kraft des Bodens und der Saat« beschwört. In den Reihen werden Saatkörner verteilt. Die »Philosophie der Authentizität von Boden und Naturverbundenheit« wird propagiert und durch den Bezug auf »Indigenität« legitimiert.
Dann kommt Tom auf die Bühne, »from the belly of the beast«, aus den USA, wie er sagt. Er sei ein Vertreter der nordamerikanischen indigenen Bevölkerung. Seine Kritik am Kapitalimus formuliert er mithilfe einer Romantisierung des Lebens der nordamerikanischen Ureinwohner. Im Publikum kommt das gut an, Fragen oder Kritik gibt es nicht. Die Widersprüche treten dennoch zu Tage, zum Beispiel als Ökologen und Feministinnen sprechen. Über die Kritik am Kapitalismus herrscht zwar ein undefinierter Konsens, die Perspektiven sind jedoch durchaus unterschiedlich. Es wird ein Film gezeigt über indigene Frauen irgendwo in Lateinamerika, die vier Stunden am Tag damit beschäftigt sind, Wasser zu besorgen. Konterkariert werden diese Bilder mit Szenen aus dem Leben von Frauen in der Stadt, wo das Wasser aus dem Hahn kommt. Dann kommt jemand auf die Bühne, der das »traditionelle Leben« als das eigentlich »authentische« preist.
Später wird der Resolutionstext des alternativen Klimaforums vorgestellt, dessen Titel lautet: »System Change, not Climate Change«. Eine der Grundforderungen in dem Dokument ist der vollständige Verzicht auf fossile Brennstoffe innerhalb von 30 Jahren. Die Forderung wird an die Regierungen der Industrienationen und an die Teilnehmer der offiziellen Klimakonferenz (UNFCCC) gerichtet. Die Entwicklungsländer sollen von den Industrienationen entschädigt werden und »Reparationen« erhalten, heißt es weiter. Der Markt und Technologien seien nicht die Lösung. Die im Titel versprochene »Systemkritik« kommt in der Resolution allerdings über eine allgemeine Verurteilung von Neoliberalismus und Globalisierung nicht wirklich hinaus.

Nicht alle Teilnehmer des Klimaforums teilen die Positionen der Resolution. Julian Chen arbeitet für die Heinrich-Böll-Stiftung in Peking als Programmkoordinator im Bereich Klimaschutz. Er ist gleichzeitig auf dem Forum und in die offiziellen Verhandlungen der UNFCCC involviert. »Die Komplexität des globalen Wirtschaftens ist nur durch den Markt zu managen«, sagt er. Das gelte auch für den Klimaschutz. »Mechanismen wie der Emissionshandel sind daher der richtige Weg«, sagt er. Es bedürfe allerdings einer besseren Regulation.
Ob er denke, dass Klimaschutz möglicherweise besser auf undemokratische Weise erreicht werden könne? »Die chinesische Regierung hat es relativ leicht, Gesetze zu verabschieden. Die Schwierigkeiten liegen darin, sie auch anzuwenden. Barack Obama hat die Schwierigkeiten bereits mit der Verabschiedung eines Klimagesetzes.«
Dass einige Demonstranten die UN-Verhandlungen blockieren und die Konferenz stürmen wollen, um sie durch die People’s Assembly zu ersetzen, davon hält Chen ziemlich wenig. Er findet das unproduktiv und problematisch, weil es den Verhandlungsprozess stören könnte. Bei den vergangenen Treffen der UNFCCC sei eine Einigung immer erst in den letzten Tagen der Verhandlungen erreicht worden.